Russland: Opposition fürchtet Rundumschlag

Russland: Opposition fürchtet Rundumschlag
Im Fahrwasser der Verurteilung von Pussy Riot bahnt sich ein juristischer Kahlschlag unter den Führern des Anti-Putin-Lagers ab.

Garry Kasparow hat sehr wohl eine Idee davon, wie man einen König schachmatt setzt. Aber auf dem Schachbrett herrschen klare Regeln. Dort gibt es keine Omon-Sondereinheiten, keine FSB-Spitzel, keine Regime-Richter, keine Polizei. Als der ehemalige Schachweltmeister und Oppositionspolitiker bei einer Kundgebung gegen die Verurteilung von drei Mitgliedern der feministischen Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot festgenommen wurde, soll er einen Polizisten in die Hand gebissen haben. Und damit drohen Kasparow jetzt eine Anklage, ein Verfahren und fünf Jahre Haft.

Dem von der Opposition angekündigten heißen Protest-Herbst will Russlands Führung anscheinend durch einen noch heißeren Prozess-Spätsommer zuvorkommen. Denn so wie Kasparow drohen derzeit allen relevanten Führungsfiguren der außerparlamentarischen Opposition Verfahren und Verurteilungen: Sergej Udalzow von der Linksfront, dem prominenten Blogger und Nationalisten Alexej Nawalny, dem aufmüpfigen TV-Sternchen Xenia Sobtschak sowie deren Freund Ilja J­aschin von der liberalen Solidarnost. Den Anlass dazu bieten die gewaltsamen Proteste am Vorabend der Amtseinführung von Präsident Wladimir Putin am 7. Mai: Sie werden unter dem Schlagwort Bolotnaja-Fall geführt, benannt nach dem Platz, auf dem die Ausschreitungen stattfanden.

Noch sind die prominenten Oppositionellen in dem Verfahren gegen 16 Aktivisten nur als Zeugen geladen. Dass die Unruhen vom 6. Mai aber sogleich juristisch als Massenunruhen gewertet wurden, macht die Sache auch für sie heikel. Denn auf die Organisation derartiger Unruhen steht nach dem erst kürzlich verschärften Versammlungsrecht langjährige Haft. Und kritisch gesinnte Beobachter gehen davon aus, dass es die Staatsmacht weniger auf die 16 jetzt Angeklagten als auf die Köpfe der Protestbewegung abgesehen hat. Also auf Udalzow, Nawalny, Sobtschak und Jaschin, denen nachgewiesen werden soll, eben diese Proteste und Ausschreitungen organisiert und provoziert zu haben.

Genehmigte Kundgebung

Den 16 bisher Angeklagten wird vorgeworfen, mit Steinen und Flaschen auf Polizisten losgegangen zu sein – bei einer an sich genehmigten Kundgebung, die von den Sicherheitskräften plötzlich aufgelöst werden sollte. Fast alle Angeklagten kommen aus der anarchistischen, linken oder nationalistischen Szene.

Im Juni hatten schwer bewaffnete Sonderkommandos in diesem Zusammenhang die Wohnungen von Udalzow, Nawalny, Sobtschak und Jaschin durchsucht. Nawalny darf seither und seit der Anklage gegen ihn in einem obskuren Korruptionsfall seinen Heimatort nicht mehr verlassen. Ihm drohen schon alleine durch die Anklage wegen Veruntreuung zehn Jahre Haft. Bei Xenia Sobtschak, die mit Ilia Jaschin zusammenlebt, wiederum wurden angeblich 1,5 Millionen Euro in bar gefunden.

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