Russland: Ein Chefredakteur auf der Flucht
Nadeshda Prusenkowa gibt sich wortkarg: "Er ist im Ausland. Er ist in Sicherheit. Wo, ist geheim." Die Sprecherin der Nowaja Gazeta sagt, sie wisse selbst nicht mehr über das Untertauchen ihres Vize-Chefredakteurs. Am Abend entschuldigte sich dann der der Morddrohungen beschuldigte Spitzenbeamte. Er habe einen "emotionalen Ausbruch" gehabt.
So begann die ganze Geschichte: Am Mittwoch war die Nowaja Gazeta, die auflagenschwache Speerspitze des investigativen Journalismus in Russland, mit einem offenen Brief ihres Chefredakteurs Dmitri Muratow erschienen. Darin die Verlautbarung, dass der stellvertretende Chefredakteur Sergej Sokolow nach sehr eindeutigen Todesdrohungen aus Angst um sein Leben Russland verlassen habe.
Betrachtet man die lange Geschichte von Morden und Übergriffen in den Reihen der Nowaja-Gazeta-Redaktion, war das ein verständlicher Schritt. Der Kommentator und Autor Andrei Kolesnikow meint jedenfalls, "wer weiß, vielleicht ist er einfach auch in Russland untergetaucht". Von der Bildfläche verschwunden ist er jedenfalls. Bisher.
Top-Beamter
Wirklich brisant wird die Geschichte aber durch den Beschuldigten: Es handelt sich um den Leiter des für Schwerverbrechen zuständigen Ermittlungsausschusses der Generalstaatsanwaltschaft, Alexander Bastrikin. Ein enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin – und einer jener Spitzenbeamten, die seitens der Nowaja Gazeta besonders viel Kritik einstecken mussten in den vergangenen Jahren. Nicht zuletzt wegen all der mehr oder weniger geklärten Morde an Nowaja-Gazeta-Journalisten.
Vor allem Sokolow hatte an der Arbeit Bastrikins viel auszusetzen. Zuletzt aber vor allem wegen eines Mordfalls 2010 mit zwölf Toten nahe Rostow am Don. Einer der Beschuldigten, der den Mord anscheinend vertuschen sollte, war mit einer Geldstrafe davongekommen. Bastrikin war verantwortlich für den Fall.
Vergangenen Montag waren Sokolow und Bastrikin dann anscheinend gemeinsam außerhalb Moskaus unterwegs gewesen. Zurück in der Hauptstadt, sei Sokolow in ein Auto gezerrt und in einen Wald bei Moskau gebracht worden. Dort habe ihn Bastrikin persönlich mit dem Tod bedroht, heißt es in dem offenen Brief in der Nowaja Gazeta. Bastrikin habe dabei gescherzt, er werde den Mord dann auch höchst persönlich untersuchen. Dafür dann später die durchaus außergewöhnliche Entschuldigung Bastrikins. Derselbe hatte die Vorwürfe zuvor in einem Interview als "glatte Lüge" bezeichnet.
Am Mittwoch dann traf sich Nowaja-Gaza-Chefredakteur Muratow mit Behördenvertretern. Danach sagte er, die Sache sei für ihn "erledigt". Sokolow werde schon bald wieder nach Moskau zurückkehren.
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