Prozess: Millionenbetrug mit Letztem Willen

Prozess: Millionenbetrug mit Letztem Willen
Im Bezirksgericht Dornbirn wurden jahrelang Testamente manipuliert. Der Schaden beträgt zehn Millionen Euro.

Es hat lange gedauert, bis ich den Gedanken zulassen konnte", erklärt Manfred Bolter in seinem Eröffnungsplädoyer. "Dann ist mir klar geworden: Die Laus sitzt im eigenen Pelz." Der Feldkirchner Staatsanwalt hat in dem schwierigen Fall von Anfang an ermittelt. "Das Gefühl, ich habe die Sache ausrecherchiert, hat sich aber bis heute nicht eingestellt."

In Salzburg begann am Montag einer der aufsehen­erregendsten Prozesse des Jahres. Von 2001 bis 2008 sollen vier Mitarbeiter des Bezirksgerichts Dornbirn ihre Position missbraucht und Testamente und Schenkungsverträge zum eigenen Nutzen gefälscht haben.

Involviert waren auch drei Geschwister, eine Verwandte und ein Freund des 47-jährigen Hauptangeklagten. Der ehemalige Grundbuchspfleger Jürgen H. gilt als Motor hinter den Manipulationen. Vor Gericht wird sich auch die 49-jährige Ex-Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirchen verantworten müssen. Die Frau ist derzeit suspendiert und soll ein falsches Testament bestellt haben. Ihr Verfahren wird aber erst im Mai in den laufenden Prozess integriert.

Methode

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Die Fälscher hielten gezielt Ausschau nach vermögenden, alten Leuten. Die waren durchwegs alleinstehend, verwitwet oder ohne eigene Kinder, manchmal dement oder unter Sachwalterschaft stehend. Mithilfe alter Schreibmaschinen und Tusche wurden Unterschriften abgepaust und Testamente rückdatiert. "Um dem Ganzen Glaubwürdigkeit zu verleihen, haben die Dokumente eine Legende bekommen", betont Bolter. "Man hat so getan, als wären sie schon vor vielen Jahren bei Gericht hinterlegt worden." Dazu wurden Register gefälscht oder Zeilen freigelassen, um später rückwirkend Einträge leichter möglich zu machen. Bestehende echte Testamente – etwa zugunsten der Pfarre, der Caritas oder des in Brasilien tätigen Bischofs Erwin Kräutler – verloren ihre Gültigkeit.

Bei Jürgen H. – er saß fast zwei Jahre in U-Haft und hat ein umfassendes Geständnis abgelegt – wurde auch eine Sporttasche mit über 750 Dokumenten sichergestellt.

Nicht alle geständig

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"Der Erfinder des Systems war er nicht", betont sein Anwalt Klaus Grubhofer. Auch H.s Familienmitglieder zeigen sich geständig. Die drei anderen Gerichtsmitarbeiter leugnen die Taten. Sie sehen sich als Opfer von H. Mysteriös ist auch, dass im Urkundenarchiv im Gericht in Dornbirn noch immer 510 Testamente verschwunden sind.

Der materielle Schaden durch die Manipulationen dürfte bei rund zehn Millionen Euro liegen. Der Fall flog auf, als einer jungen Richterin im Jahr 2009 Ähnlichkeiten bei den Testamenten auffielen – und sie immer wieder auf dieselben Namen als Begünstigte stieß.

Für den Prozess sind 17 Verhandlungstage anberaumt, bis Geschädigte zu einer Wiedergutmachung kommen, könnten aber noch Monate vergehen. "Wir erhoffen uns Gerechtigkeit – und das die Geschädigten zur ihrem Gut kommen", meint etwa Reinhard Mazzurana. Dessen Frau – sie ist Nichte eines Verstorbenen – verlor durch die Manipulationen ihren Erbteil.

Daten und Fakten

10.000.000 Euro entstandener Schaden
23.000
Seiten Aktenumfang
758 schriftliche Unterlagen in der Sporttasche von Jürgen H.
510 Testamente fehlen
82 Privatbeteiligte haben sich dem Prozess angeschlossen,
76 weitere Opfer nicht
18 angeklagte Fälschungen

Chronologie

Als die Affäre am 20. November 2009 öffentlich bekannt wird, war zunächst von etwa zehn manipulierten Testamenten die Rede. Später zeigte sich, dass es bereits 2002 und 2003 erste Verdachtsmomente gab, Ermittlungen aber mangels Beweisen eingestellt wurden.

Im März 2009 erstattete dann eine Dornbirner Richterin Anzeige, weil ihr verdächtig ähnliche Testamente auffielen, und als Verlassenschaftskuratoren immer dieselben Justizmitarbeiter auftauchten.

Am 17. November werden die Justizmitarbeiter Jürgen H. und Kurt T. sowie H.s Freund Peter H. verhaftet. Bei einer Sonderrevision werden rund 20.000 Verlassenschaftsakten überprüft. Dabei zeigt sich, dass im Archiv des Dornbirner Bezirksgerichts 510 Testamente fehlen. Die Staatsanwaltschaft geht inzwischen von rund 20 Fällen aus.

Am 27. November wird Jürgen H. vorläufig suspendiert, Kurt T. entlassen.

Am 21. Dezember wird mit Clemens M. ein weiterer Justizmitarbeiter verhaftet, am 5. Februar 2010 auch der pensionierte Grundbuch-Rechtspfleger Walter M. Einen Tag später gerät die Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch, Kornelia Ratz, unter Verdacht, ein gefälschtes Testament zum Vorteil ihrer Mutter und ihrer Tante "bestellt" zu haben. Die 48-Jährige wird am 25. Februar suspendiert.

Jürgen H. und Peter H. kündigen am 23. August an, sich an der Schadensgutmachung beteiligen zu wollen. Ihre Anwälte regen eine Anlaufstelle für Geschädigte an, die im Oktober eingerichtet wird. In drei Zivilprozessen wurden bereits mehreren Geschädigten 788.000 Euro und zwei Grundstücke zugesprochen. Dem gegenüber stehen beschlagnahmte Vermögenswerte von 1,5 Millionen Euro.

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