Österreichisch in 90.000 Stichworten

Österreichisch in 90.000 Stichworten
Interview: Das Österreichische Wörterbuch wird sechzig Jahre alt. Der Chefredakteur des Nachschlagewerks gewährt Einblicke in seine Arbeit.
Von Uwe Mauch

Ah, Sie arbeiten für den österreichischen Duden. Den Germanisten Herbert Fussy bringt nix so leicht aus der Fassung. Nur der Umstand, dass sich die Österreicher ein amtliches Wörterbuch leisten und dann doch lieber zum in Mannheim redigierten Duden greifen, ärgert ihn. Sein dringender Hinweis: Das Österreichische Wörterbuch und das dort festgehaltene österreichische Deutsch ist ein Stück Identität dieser Republik.

KURIER: Herr Doktor Fussy, schreibt man nun "Sprizz" oder doch "Spritzer"?

Herbert Fussy: Beides ist richtig. Sprizz ist die italienische Schreibweise, die in Verbindung mit einem Modegetränk zu uns importiert wurde. Das österreichische Pendant ist der Spritzer oder Gspritzte. Ich trinke den Wein übrigens lieber pur.

60 Jahre Österreichisches Wörterbuch – wird das auch von der Republik gefeiert?
Die größte Anerkennung kommt von unseren Lesern und Benutzern.

Manche halten ja den Gebrauch des österreichischen Wörterbuchs für antiquiert.
Die haben wahrscheinlich eine alte Auflage. Die 42. Auflage ist sogar sehr nah am aktuellen Geschehen dran, ein Rettungsschirm in allen sprachlichen Lebenslagen – bis hin zur Zentralmatura.

Wie viele Germanisten arbeiten eigentlich in Ihrer Wörterbuch-Redaktion?
Gut zwei Dutzend Fachkonsulenten, ständig. Dazu zahlreiche "Einsager".

Wie viele Stichwörter umfasst die 42. Auflage?
Knapp 90.000.

Wie viele waren es bei der ersten Auflage?
Knapp 23.600.

Wie kommt ein Wort ins Österreichische Wörterbuch?
Es wird aus dem Meer der gesprochenen und geschriebenen Wörter, die uns täglich umfließen, rausgefischt und auf seine Aufnahmewürdigkeit hin streng geprüft.

Was heißt streng geprüft?
Aufgenommen wird es, wenn es ausreichend häufig verwendet wird, aktuell ist, eine Rechtschreibschwierigkeit in sich birgt bzw. einen Österreichbezug hat.

Daher auch Dompfarrer?
Ja, bei dem ist alles dabei, vor allem die Häufigkeit.

Wie viele Wörter haben Sie für die aktuelle, die 42. Auflage neu aufgenommen?
Rund 8000, davon 2000 Neologismen. Das sind in der Zwischenzeit neu entstandene Begriffe.

Verändert sich unsere Sprache schneller als noch zu Beginn Ihrer Karriere?
Ja, da spiegelt die Sprache das Leben wider – auch in seiner Geschwindigkeit.

Tut es Ihnen leid, dass viele Österreicher den Duden als Maß der Sprache ansehen?
Natürlich. In der PR können wir von den Deutschen sicher noch etwas lernen, inhaltlich sind wir mindestens ebenbürtig. Schön wäre es, wenn wir nicht nur in der Schule die Nummer 1 wären.

Wie wichtig ist das Österreichische Wörterbuch neben dem Duden für die österreichische Identität?
Der Duden spielt meines Erachtens für unsere Identität gar keine Rolle. Unser Wörterbuch ist dagegen seit sechzig Schuljahren der Identitätsstifter schlechthin.

Es hieß öfters, dass die neue Rechtschreibung nur den Wörterbuch-Verlagen dienen soll. Auch Ihre Sicht?
Ich bin überrascht, wie viele Menschen über gewisse Veränderungen in der Rechtschreibung froh sind.

Welche wären das?
Die s-Schreibung, die Anredefürwörter du, deiner, dich klein im Mail, die modifizierte Beistrichsetzung ...

Hat die Reform etwas gebracht?
Zumindest eine intensivere Beschäftigung mit Sprache und Rechtschreibung.

Sind die Österreicher gut in der Rechtschreibung?
(Lacht.) Sie werden besser.

Ihr Tipp: Wie soll man ein Wort im Wörterbuch suchen, wenn man nicht weiß, wie man es schreibt?
Da gibt’s leider keine Patentrezepte. Konsultieren Sie in diesem Fall bitte unsere Sprachberatung.

"Die" oder "das" Mail?
Früher in Österreich fast nur das Mail, das Femininum dringt aber immer stärker durch. Vielleicht glauben manche, das sei feiner. Wir setzen das Mail und die Mail als gleichberechtigt an.

Sind Rechtschreibfehler in einem Mail Kavaliersdelikte?
Wenn es flott gehen muss, kann man schon einmal ein Auge zudrücken. Aber wenigstens muss die Botschaft richtig rüberkommen.

Gibt es das Österreichische Wörterbuch auch als App?
App
gibt es als Stichwort im Wörterbuch, das Wörterbuch gibt es aber nicht als App. Wir arbeiten daran.

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