Österreicherin kandidiert für UN-Posten

Renate Winter: Die Juristin kennt Kriegsgräuel und tägliche Gewalt – und kämpft dagegen an.
Renate Winter kämpft seit Jahren gegen Misshandlung und Ausbeutung von Kindern. Im KURIER-Interview spricht sie über ihre Erlebnisse.

Renate Winter hat in ihrem Leben viel gesehen und oft war das unvorstellbar: Fünfjährige Haussklaven; vierjährige Kindersoldaten, deren Kalaschnikow größer sind als sie selbst und die im Drogennebel töten und verstümmeln; Prostituierte im Kleinkindalter. Jahrelang war die Ex-Jugendrichterin bei der UN-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), im Kosovo und in Sierra Leone tätig. Dort half sie als Vorsitzende des Internationalen Strafgerichts, die Gräuel des Bürgerkriegs aufzuarbeiten.

Jetzt hat Österreich Winter für einen Sitz im UN-Kinderrechtskomitee vorgeschlagen. Der KURIER traf die 67-Jährige in Wien.

KURIER: Was ist für Sie weltweit das größte Problem im Bereich der Kinderrechte?

Renate Winter: Gewalt in der Familie – ein Thema, das immer wieder genannt wird, wo aber nicht viel passiert. Wer Watsch’n bekommt, teilt später auch Watsch’n aus. Frauen, die vom Vater verprügelt worden sind, suchen sich einen prügelnden Ehemann. Auch bei uns in Österreich gibt es viel Gewalt. Allerdings haben wir Familiengerichte, die gut funktionieren. Oft braucht man Eltern nicht zu strafen, sondern muss ihnen nur Hilfe geben. Wenn ich Vater und Mutter strafe, eskaliert die Lage nur.

Und im Ausland?

Oft höre ich: „Kinder sind unser größter Schatz, unser Juwel.“ Wenn ich Regierungen dann sage, dann tut etwas für sie, fehlt oft das Verständnis. Ich höre: „Wir wollen uns nicht einmischen“ oder „Wir haben kein Geld dafür“. Kinder gehen nicht wählen, bringen keine Stimmen. Österreich unternimmt viel gegen Gewalt, auch im Ausland, und tut, was es kann, wenn es wirklich nur ums Geld geht.

Wie hat Sie Ihre Arbeit in Sierra Leone geprägt?

Es packt dich die Wut, wenn du siehst, was dort los ist. Speziell in Sierra Leone habe ich so brutale Gewalt gegen Kinder gesehen. Ich kann mir schon nicht vorstellen, an einem Tisch zu sitzen und zu schreiben: „Folter dieses Kind zu Tode“. Aber überhaupt nicht vorstellen kann ich mir, das dann zu tun – aber es passiert. Ich habe viel mit Kindersoldaten gearbeitet. Weltweit gibt es 300.000, das sind 300.000 verlorene Leben. Die Frage ist: Wie kriegt man die betroffenen Gesellschaften dazu, dass sie diese Kinder aufnehmen und auch die, denen sie die Hände abgehackt haben? Dabei hilft Geld.

Österreicherin kandidiert für UN-Posten

Wo und wie werden Kinder noch ausgebeutet?

Brutale Gewalt gibt es überall, auch bei uns. In vielen Ländern gilt ein Kind nicht als Mensch, sondern als Eigentum, mit dem ich machen kann, was ich will. Weltweit gibt es über 200 Millionen arbeitende Kinder, von denen, die heimlich arbeiten, einmal abgesehen: Es gibt sechsjährige Dienstboten in Lateinamerika, fünfjährige in Afrika. Und unzählige Kinder in der Prostitution. Wenn man Aids hat, heißt es in manchen Ländern: „Schlaf mit einer Jungfrau, dann überträgt sich die Krankheit auf sie.“ (Ein weit verbreiteter Zauber-Glaube, Anm.) Wie muss man beieinander sein, um ein vierjähriges Mädchen absichtlich anzustecken?

Bei UNODC habe ich gelernt: Im Organisierten Verbrechen denken viele, mit Erwachsenen gibt’s nur Probleme, da nehme ich einen 14-Jährigen, auch wenn ich ihn ruiniere. Das sieht man auch in Österreich bei Bettler- und Diebestruppen. Für Mädchen heißt es dabei: „Entweder du stiehlst genug oder es geht ab in die Prostitution“, was aber auch Buben betrifft.

Wofür wollen Sie bei der UNO kämpfen?

Ein Beispiel: Kinder im Gefängnis müssen in vielen Ländern mit jemandem schlafen, wenn sie etwas zu essen wollen. Oder sie werden von Mithäftlingen geprügelt und der Gefängnisdirektor tut nichts dagegen. Bis jetzt gab es im besten Fall die Möglichkeit, sich mit einer Organisation an den Staat zu wenden. Half der nicht, war’s das. Schwerpunkt im Kinderrechtskomitee wird sein, dass sich Kinder direkt an das Komitee wenden können, etwa mit unzensierten Briefen (Individualbeschwerde) . Das gilt auch für von den Eltern misshandelte Kinder, denen Gerichte oft nur sagen: „Du hast es ja verdient.“ Die Frage ist jetzt, wie machen wir das? Dafür braucht die UNO Juristen.

Kinder- und Jugendschutz: Österreich als Vorbild und Vorkämpfer

Renate Winter ist Österreichs erste Kandidatin für das UN-Komitee für die Rechte des Kindes. Es setzt sich aus 18 Experten für Kinder- und Jugendrechte zusammen, von denen die Hälfte alle zwei Jahre neu gewählt wird. Die nächste Wahl findet im Dezember in New York statt. „Für neun Stellen gibt es 25 Bewerber“, sagt Staatssekretär Wolfgang Waldner vom Außenministerium, das international für Winter wirbt.

Österreich setzt sich seit Langem für Menschen- und Kinderrechte ein. Sie sind ein Schwerpunkt der Außenpolitik, „auch wenn das hierzulande kaum wahrgenommen wird“, so Waldner. So widmete sich Österreich im UN-Sicherheitsrat 2009/’10 dem Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten, es stellt sein Modell im Umgang mit jugendlichen Straftätern im Ausland vor und betreibt 15 Entwicklungsprojekte zum Schutz von Kindern. „Als kleines Land sind wir glaubwürdig, weil wir im Gegensatz zu großen Staaten keine Eigeninteressen vertreten.“

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