Kuba-Krise 1962: "Es stand fünf vor zwölf"
Im Oktober 1962 entging die Welt nur knapp einem nuklearen Horrorszenario. Nie war die Gefahr größer, dass aus dem Kalten Krieg ein heißer werden könnte, als zu Zeiten der Kuba-Krise. Die Sowjetunion hatte 150 atomar bestückte Mittelstreckenraketen auf der Karibikinsel stationiert - nur 340 Kilometer vom amerikanischen Festland entfernt. Für die USA und deren damaligen Präsidenten John F. Kennedy eine noch nie dagewesene Provokation, die beinahe fatale Folgen gehabt hätte.
Zur Vorgeschichte: Die beiden Weltmächte USA und die Sowjetunion hatten in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen beispiellosen Rüstungswettlauf absolviert, mit klaren Vorteilen für das kapitalistische Amerika. Das Atomwaffenarsenal von Washington und Moskau hätte gereicht, um die Welt x-fach zu vernichten.
Castro und die Sowjets
Auch das Verhältnis zwischen Kuba und den USA hatte sich in den Jahren davor drastisch verschlechtert. Der sozialistische Revolutionsführer Fidel Castro putschte sich 1959 an der Macht und war den USA von Anfang an ein Dorn im Auge. Castro ließ US-amerikanische Unternehmer und Firmen enteignen, die USA reagierten mit einem Öl-Embargo und - bis heute aufrechten - Wirtschafts- und Handelssanktionen. Dadurch trieb man den "Maximo Lider" aber noch mehr in die Hände der Sowjets.
Im April 1961 eskaliert der Konflikt: Exilkubaner landen mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA in der Schweinebucht auf Kuba. Doch die Invasion scheitert kläglich. Fidel Castro inszeniert sich als großer Triumphator gegenüber den "imperialistischen" USA und knüpft noch engere Bande mit der UdSSR.
Das Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion ist zu dieser Zeit ohnehin bereits auf dem absoluten Gefrierpunkt. Im Juli 1962 beginnt die UdSSR dann heimlich, still und leise mit der Stationierung von Soldaten und Raketen mit dazugehörigen Atomsprengköpfen auf Kuba.
Einige Monate später, am 14. Oktober 1962, entdecken Aufklärungsflugzeuge der US-Marine die sowjetischen Abschussrampen und Raketen. Binnen weniger Minuten hätten diese Raketen die wichtigsten Industriestädte der USA erreichen können.
Kennedy erfährt am 16. Oktober davon und setzt die US-Streitkräfte weltweit umgehend in erhöhte Alarmbereitschaft. Sein Gegenüber, der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow tut es ihm gleich.
"Der rote Hund muss bestraft werden"
Der US-Präsident setzt vorerst auf Abwarten: Er ordnet in den folgenden Tagen weitere Aufklärungsflüge an und empfängt sogar den sowjetischen Außenminister Andrey Grymko im Weißen Haus. Über Kuba verliert Kennedy kein Wort.
Unterdessen drängen die US-Militärs auf einen raschen Militärschlag mit anschließender Invasion Kubas. Die geplante See-Blockade sei fast so schlimm wie die Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler in München, tönt Luftwaffenchef Curtis LeMay: "Der rote Hund gräbt im Hinterhof der USA und muss dafür bestraft werden."
Kennedy hingegen warnt, die Sowjets würden im Gegenzug Berlin besetzen: "Nach allem, was sie gesagt haben, können sie uns nicht einfach ihre Raketen vernichten und massenhaft Russen töten lassen, ohne ihrerseits etwas zu tun."
Sowjet-Showdown
Am 22. Oktober geht Kennedy an die Öffentlichkeit - und er hat bitterernste Nachrichten: Als erste Maßnahme kündigt er eine See- und Luftblockade gegen Kuba an. Sollten die sowjetischen Raketen auf Kuba nicht abgezogen werden, werde er aber auch nicht vor einem Atomkrieg zurückschrecken. "Kennedy bereit für den Sowjet-Showdown", titelt die New York Times.
"Mit dieser Reaktion der USA hat Chruschtschow sicher nicht gerechnet", sagt der Politikwissenschafter Ingfrid Schütz-Müller im Rückblick. Chruschtschow hatte den USA die Muskeln zeigen wollen, weil er die Sowjets im Kalten Krieg im Nachteil sah. Nun saß er in die Klemme. Die USA boten ihm nach einigen Tagen jedoch einen Deal an: Als Gegenleistung zu einem Rückzug der sowjetischen Raketen aus Kuba würde Washington die eigenen, in der Türkei stationierten und auf die UdSSR gerichteten Raketen abziehen.
Einen Tag später ist die Lage dennoch kurz davor zu eskalieren: Ein US-Aufklärungsflugzeug wird über Kuba abgeschossen (siehe Bild unten), die USA zwingen ihrerseits ein sowjetisches U-Boot zum Auftauchen. Dennoch entscheiden sich die Supermächte für eine diplomatische Lösung.
"Uhr stand auf fünf vor zwölf"
Eine wesentliche Rolle in der Beilegung der Krise hat laut Schütz-Müller auch der damalige UNO-Generalsekretär Shitu U Thant gespielt. Dieser habe ein gleichlautendes Schreiben an beide Staatschefs gesandt, das wesentlich dazu beigetragen habe, dass es zu Gesprächen zwischen den gegnerischen Parteien kam. Sicher sei aber, dass es sich bei der Kuba-Krise um jenen Moment gehandelt habe, in dem die Welt einem atomaren Krieg am nächsten gekommen sei, meint der Politologe. Der heutige Konflikt zwischen dem Iran und Israel sei damit nicht zu vergleichen, denn 1962 sei die Uhr wirklich auf "fünf vor zwölf" gestanden.
Als Sieger der Auseinandersetzung ging jedoch eindeutig Kennedy hervor. Ein Jahr später ist er tot: Bei dem Anschlag in Dallas wird er im fahrenden Auto erschossen. Die wahren Hintergründe der Tat werden nie geklärt. Chruschtschow hingegen wird zwei Jahre nach der Kuba-Krise von Leonid Breschnew gestürzt - und gilt bis zu seinem Tod im Jahr 1971 als "Persona non grata" in der Sowjetunion. Nur einer zieht in Kuba immer noch heimlich die Fäden: Fidel Castro.
Linktipp: Der US-Journalist und Kubakrisen-Experte Michael Dobbs twittert die Ereignisse der Kuba-Krise 50 Jahre danach auf "@missilecrisis62" in Echtzeit.
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