Kommunalwahlen im Schatten von "22/07"

Kommunalwahlen im Schatten von "22/07"
Norwegen: Knapp zwei Monate nach den Anschlägen mit 77 Toten gehen die Norweger zu den Urnen. Das Interesse an Politik ist gestiegen.

In Norwegen finden heute, Montag, die sogenannten Halbzeitwahlen statt. Bei dem Urnengang, der traditionell zwischen zwei Parlamentswahlen liegt und als politischer Trendmesser gilt, werden die Regierungen der 19 Provinzen und 431 Gemeinden des Landes bestimmt. Rund 3,5 der 4,9 Millionen Norweger sind wahlberechtigt.

Zurückhaltung

Die Wahlkampagnen der Parteien drehten sich vor allem um Altenpflege, Schulen und Steuerverteilung. Der Doppelanschlag vom 22. Juli, den manche Medien in Anlehnung an den 11. September 2001 bereits "22/07" nennen, wurde zwar weitgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten, dominierte ihn aber stark. Die Politiker hielten sich mit scharfen Angriffen auf ihre Gegner zurück, viele Wahlveranstaltungen glichen kollektiven Andachten, auf denen man bunte Ballons und lustige Musik vergeblich suchte.

Viele, großteils junge Menschen zeigten reges Interesse an Politik. Die Jugendorganisation der regierenden sozialdemokratischen Arbeiterpartei - deren Sommercamp auf Utøya zum Ziel des zweiten Anschlags von Anders Breivik geworden war - erlebte einen Mitgliederboom. Bei den heutigen Wahlen wird eine hohe Beteiligung erwartet.

Premier Jens Stoltenberg war erst nach der großen nationalen Trauerfeier am 22. August in den Wahlkampf eingestiegen. Vor "22/07" galt er als nüchtern und eher farblos. Durch seine besonnene Haltung nach dem Blutbad und seine ehrliche Anteilnahme gewann er die Herzen der Norweger. Immer wieder betonte er, dass die Antwort auf die Gewalt nur "mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Dialog" sein könne - ein Motto, das sich die meisten Parteien im Wahlkampf auf die Fahnen schrieben.

Stoltenbergs Arbeiterpartei hatte in landesweiten Umfragen nach "22/07" zunächst kräftig zugelegt, pendelte sich aber fast wieder auf das Niveau vor den Anschlägen ein. Die Partei dürfte vor allem in ihren bisherigen Hochburgen zulegen, was auch für die konservative Høyre-Partei gilt.

Rechte in Defensive

Zittern muss die rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP), die seit 2005 die zweitstärkste Kraft im norwegischen Parlament ist. Ihr wird vorgeworfen, durch Islam- und Migrantenfeindliche Aussagen zu einem vergifteten gesellschaftlichen Klima beigetragen zu haben, in dem Breiviks wirre Ansichten gedeihen konnten.

Parteichefin Siv Jensen ist bemüht, die FrP als von allen Seiten verfolgte, moderate Kraft darzustellen: Sie hat sich für ihre teils extremen Aussagen entschuldigt und sich klar von Ex-Parteimitglied Anders Breivik distanziert. Viele Norweger wollen trotzdem nichts mehr von ihr wissen.

Oslo und Utøya: Norwegens nationales Trauma

Am Nachmittag des 22. Juli 2011 zündete der rechtsextreme Attentäter Breivik (32) eine Bombe im Osloer Regierungsviertel und tötete acht Menschen. Dann fuhr er zur 40 Kilometer entfernten Insel Utøya. Als Polizist verkleidet versammelte er die 600 Teilnehmer eines Jugendcamps um sich und eröffnete das Feuer. Bilanz: 69 Tote.
Breivik sitzt in Isolationshaft. Laut Ermittlern hat er allein gehandelt. Zuletzt haben Polizei und Geheimdienst Fehler eingestanden, die Breivik halfen, seine Tat durchführen zu können. So tauchte er auf einer Liste mit Personen auf, die Bombenbau-Material bezogen, wurde aber nicht überprüft, weil er unbescholten war. Zudem stand entgegen früherer Meldungen am 22. 7. doch ein Helikopter bereit, um die Spezialeinheit Delta nach Utøya zu fliegen. Er wurde aber erst um 19.16 Uhr geschickt - 45 Minuten nach Breiviks Verhaftung.

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