Kind entführt: Vater will sich stellen
Nach der Entführung des fünfjährigen Oliver vor seinem Kindergarten in Graz überschlagen sich die Ereignisse. Kindesvater Thomas S. befindet sich mit dem Kind bereits wieder in seiner Heimat. "Dem Buben geht es gut, er ist in Sicherheit", wird er in der Boulevardzeitung B.T. zitiert. Der Fernsehsender TV2 avisiert, der Vater werde sich der dänischen Polizei stellen und es zulassen, dass Kinderpsychologen Zugang zum Buben bekämen. Oliver wirke fröhlich und unberührt von der Situation, wird berichtet. Dass Thomas S. laut Augenzeugen das Kind brutal aus dem Wagen der Mutter zerrte und es in ein Mietauto stieß, wird in Dänemark nicht thematisiert.
S. hat nun ein Problem. "Der europäische Haftbefehl bleibt so lange aufrecht, bis er über die dänischen Behörden mit uns auf dem Rechtshilfeweg kooperiert. Wir müssen wissen, wo das Kind ist und wie es ihm geht. Der Vater muss Stellung beziehen", erläutert Thomas Mühlbacher, Chef der Staatsanwaltschaft Graz. Entziehung eines Unmündigen aus der Obhut des Erziehungsberechtigten ist mit bis zu drei Jahren Haft bedroht.
Gut geplant
Der Fluchtwagen wurde Dienstag in Hitzendorf auf einem Waldweg entdeckt: 15 Minuten vom Entführungsort entfernt. Daher verlief die Fahndung erfolglos. Der Helfer bei der Straftat soll ein Verwandter sein. In Dänemark besitzt Thomas S., ein 40 Jahre alter IT-Experte, das alleinige Sorgerecht, in Österreich hat dies Olivers Mutter Marion Weilharter: Ein Lapsus auf europäischer Ebene. "Oliver lebte 2010 schon ein halbes Jahr in Österreich. Die dänischen Behörden haben dann dem Vater im Nachhinein das Sorgerecht übertragen. Eine Frechheit", empört sich Olivers Opa Hanns Weilharter.
"Dschibuti" In dänischen Internetforen wird bereits abgestimmt, ob der Vater richtig gehandelt hat. Die Anwältin der Kindesmutter, Britta Schönhart, wird einen Antrag auf Rückführung des Kindes stellen. "Die diplomatische Korrespondenz zwischen Dänemark und Österreich ist allerdings in einem unguten Ton verlaufen", sagt die Wiener Anwältin und rechnet sich daher wenig Chancen aus.
Auch die Grazer Anwältin des Dänen, Barbara Prasthofer, räumt ein: "Die EU kümmert sich um die Gurkenkrümmung, aber in Sorgerechtsbelangen herrscht irgendwie Dschibuti."
S. hat gegen die österreichische Entscheidung, Oliver dürfe in Graz bei der Mutter leben, berufen – und verloren. Das Wohl des Kindes wurde im Landesgericht Graz hinterfragt. Schönhart schildert: "Herr S. war dabei, als ein Gutachten erörtert wurde. Das Kind der Mutter zu entreißen, würde dieses schwer traumatisieren. So steht das schwarz auf weiß. Egal, was dänische Psychologen behaupten werden."
Ehrenwort
Die Anwältin ärgert auch: "S. hat sein Ehrenwort gegeben, nichts Ungesetzliches zu unternehmen. Ich bin überzeugt, dass er die Entführung minutiös geplant hat. Er ist ein hochintelligenter, sehr bestimmender Mann." Das Besuchsrecht übte der Däne alle drei Wochen in Graz aus: drei Stunden, unter Beobachtung. Olivers Grazer Familie ist fix und fertig. "Der Bub war glücklich, er spielte bei Sturm Fußball, er tanzte, er hatte viele Freunde", kränkt sich Opa Weilharter.
Hintergrund: Verwirrendes EU-Abkommen
Das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) soll genau diesen Fall verhindern: Dass es in zwei Ländern einander widersprechende Sorgerechtsentscheidungen für dasselbe Kind gibt, wie im Fall Oliver. Und es soll dafür sorgen, dass das Kind im "Ursprungsland" (also am letzten Aufenthaltsort) bleibt bzw. nach einer Entführung dorthin zurückkommt. Aber erstens wurde es – wie z. B. von Dänemark – nicht von allen EU-Staaten ratifiziert. Zweitens kümmert es sich weder um die momentane Situation des Kindes, noch berücksichtigt es Gewaltanwendungen gegen die Mutter, wie Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern kritisiert. Und drittens nehmen die Fälle zu, in denen Länder außerhalb der EU involviert sind, wie etwa Tschetschenien. Dort entscheidet dann auch noch der Ältestenrat im Dorf mit "und alle Rechtsmittel sind überhaupt obsolet" (Brem).Die Mütter (mitunter auch Väter), die nach einer Kindesentführung allein zurückbleiben oder die mit ihrem Kind nach Österreich geflüchtet sind, werden laut Brem finanziell ausgeblutet. Sie brauchen einen Anwalt hier und einen im Ausland, müssen an mehreren Fronten immer härter kämpfen.Eine Niederösterreicherin floh mit ihrer Tochter Ana 2008 vor dem gewalttätigen Mann aus Spanien in die Heimat. Nach dem HKÜ müsste sie Ana zurückschicken. Inzwischen ist das Mädchen fast 12 und darf bleiben. Aber die Mutter wurde in Spanien zu acht Monaten unbedingter Haft verurteilt.Ein Italiener schickte der vor ihm geflüchteten Mutter seiner Tochter zur Einschüchterung das Video der Obduktion einer Frauenleiche. Aber gegen sie wurde in Italien wegen Entführung ein Strafverfahren eingeleitet.
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