Kadyrow: „Ich liebe Russland“

Kadyrow: „Ich liebe Russland“
Interview: Einst kämpfte Ramsan Kadyrow gegen die Russen. Heute ist er Moskaus mit harter Hand regierender Vertrauensmann in Tschetschenien.

Ramsan Kadyrow ist einer der umstrittensten Politiker der Gegenwart. Einst Separatist, steht er heute als Präsident der Tschetschenischen Republik stramm an der Seite Russlands – und schwer in der Kritik von Menschenrechtlern, die ihn für Folter und Mord verantwortlich machen. Im KURIER-Interview enthüllt der 35-Jährige, wie er sich selbst sieht.

KURIER: Bezeichnen Sie sich als Patrioten? Vielleicht als russischen Patrioten?
Ramsan Kadyrow:
Ich liebe Russland. Ich liebe meine Heimat – die Tschetschenische Republik. Zusammen sind sie mein Vaterland. Ich erinnere mich an das großartige Gefühl, als Russland bei der Fußball-Europameisterschaft gegen Holland gewonnen hat. Nach dem Schlusspfiff sagte ich zu mir: „Danke Guus (Nationaltrainer, Anm.) . Danke für dieses Glück.“ Und ich habe gelitten, als die Russen im Semifinale gegen die Spanier verloren haben. Ich war glücklich, als in Grosny zum ersten Mal nach dem Krieg die Straßenbeleuchtung angeschaltet wurde, als Kinder in neu aufgebaute Schulen gingen. Sehe ich mich als Patrioten? Ich denke, ein Mann muss es sich verdienen, Patriot genannt zu werden. Ich denke, dass Patriotismus aus dem Bestreben besteht, sein Land besser, stärker, glücklicher zu machen. Was bedeutet das: Vaterland? Es geht nicht um Territorien. Es sind die Menschen. Also wenn man etwas für diese Menschen tut, wenn man ihnen mit ganzem Herzen dient, dann kann man sich Patriot nennen. Das hat mich mein Vater gelehrt. Das ist, was mich meine Religion lehrt. Wenn ich den Menschen diene und sehe, dass sich ihr Leben verbessert, fühle ich, dass ich Patriot bin. Darum kann ich sagen: Ja, ich bin Patriot meines Landes – Russland. Und ich bin ein Patriot meiner Heimat – Tschetschenien.

Wünschen Sie sich mehr Autonomie für diese Heimat?
In der russischen Verfassung steht klar: Jedes Subjekt der Föderation besitzt die gleichen Rechte und Pflichten. Ich denke, dass die Regionen ausreichend Autorität haben, um ihre eigenen Probleme zu lösen. Wir in den Regionen kennen die Situation besser und reagieren besser auf regionale Bedürfnisse. Wir haben also absolut genug Autonomie.

Spielt der islamistische Untergrund noch eine Rolle im Nordkaukasus – und besonders in Tschetschenien?
Kann ich die Gegenfrage stellen: Islamistischer Widerstand wogegen? In Bezug worauf? Das sind diese westlichen Klischees, die mit der Realität nichts zu tun haben. Und übrigens auch nicht mit dem Islam. Wissen Sie, was der Islam sagt? Dass sich der Widerstand gegen jene Kräfte richten muss, die auf deinen Glauben übergreifen, die dich nicht Muslim sein lassen, die dich wegen deines Glaubens verfolgen. Und jetzt sehen Sie sich bitte die Situation hier an. Gegenwärtig gibt es 700 große Moscheen. In Gudermes und Zentaroe wurden Schulen für Hafis (eine Person, die den Koran auswendig kennt, Anm.) eröffnet – in Grosny ist eine solche Schule in Bau. Wir haben eine russische Islam-Universität eröffnet. Muslimische Festtage werden begangen. Keine Veranstaltung findet ohne Beteiligung bekannter Geistlicher statt. Reliquien, die jedem Muslim heilig sind, wie die Schüssel des Propheten – Friede sei mit ihm – und drei seiner Haare wurden hier hergebracht. Sagen Sie mir: In diesem Gesamtbild – ist da vielleicht ein einziger kleiner Fehler, der dieses Gerede über einen „islamistischen Widerstand“ auslösen könnte? Darüber kann nur jemand reden, dem nicht gefällt, dass der Islam in Tschetschenien stärker wird, dass ein Umfeld herrscht, das es den Tschetschenen erlaubt, islamische Riten einzuhalten. Dem „islamistischen Widerstand“ gefällt es nicht, dass wir heute im Glauben an Allah leben; dass Russland einen respektvollen Umgang mit unserer Religion pflegt. Nur die Feinde des Islam können damit unzufrieden sein. Dann lass sie doch ihre Bewegung umbenennen in „Widerstand gegen den Islam“. Das passt besser zu ihnen.

Würden Sie sagen, dass die Wunden von nahezu 20 Jahren Krieg verheilt sind?
Die materiellen Wunden ja – beinahe. Sie werden heute keine Spuren mehr finden vom Krieg. Diese Wunden sind geheilt – gepriesen sei Allah. Aber die Wunden in den Herzen der Menschen, die Narben in ihren Erinnerungen, die werden nicht so bald verheilt sein. Tausende Tote, Vermisste. Wie kann man das vergessen? Jeder Tschetschene hat in diesem blutigen Krieg jemanden verloren – Brüder und Schwestern, Töchter und Söhne, Väter, Mütter. Wir können nichts tun gegen diese Wunden.

Was braucht Tschetschenien jetzt am dringendsten? Sicherheit? Jobs?
Was die Sicherheit angeht, ist hier alles okay. Gegenwärtig ist unsere Region eine der sichersten Russlands. Was wirklich drängt, ist die Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft und die Schaffung von Jobs. Das ist ein großes Problem. Daran arbeiten wir. Aber wir haben Erfolge. Wir haben es geschafft, die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr zu senken. Letztes Jahr ging sie um zehn Prozent nach unten.

Was Ihre Sicherheitspolitik angeht, so erregten und erregen Sie viel Kritik. In Österreich war es vor allem die Ermordung von Umar Israilow 2009 in Wien. In diesem Zusammenhang fiel immer wieder Ihr Name?
Wenn hinterlistiges Gerede und falsche Anschuldigungen den politischen Level erreichen, wenn sie als „Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen“ dargestellt werden, was kann die Reaktion sein? Ich bedauere, dass Lügner Dutzende ernst zu nehmende, gescheite, gebildete Politiker, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten im Westen nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

Was denken Sie? Warum leben so viele Tschetschenen im Ausland – oder zumindest nicht in Tschetschenien?
Ich will niemanden beleidigen, aber viele mögen es, von Sozialhilfen zu leben. Weil es einfach ist. Sie streben nach nichts mehr. Und es gibt noch eine Kategorie: Das sind die Leute, die friedlich in Europa leben und Geld in die Heimat zu Verwandten schicken, die Häuser für sie bauen. Das bedeutet, dass sie sich auf die Rückkehr vorbereiten. Und es gibt diejenigen, die sofort zurückkehren würden, die aber keinen Ort haben, an den sie zurückkehren können, weil ihre Häuser zerstört sind. Wir haben immer wieder bekräftigt, dass die Behörden ihnen helfen können. Es gibt aber auch solche, die sich in Europa vor einer fairen Rache verstecken. Nicht viele – nur einige Dutzend. Das sind Menschen, die Zivilisten getötet, die Bomben gelegt haben, an deren Händen Blut klebt. Ihnen kann ich nur eines versprechen – ein faires Verfahren und eine Verurteilung. Ich wünsche allen Tschetschenen, die ihren Platz im Ausland gefunden haben, die sich in den Umständen und der Kultur dort zurechtgefunden haben, das Beste. Aber ich bin sicher, dass es nicht leicht für sie sein wird, ohne ihre Heimat. Früher oder später wird jeder Tschetschene sein verlorenes Vaterland wiederfinden wollen.

Porträt: Umstritten und von vielen gefürchtet

Er ist der Sohn eines einst separatistischen Imams, der später ein Russland-treuer Präsident Tschetscheniens werden sollte. Er kämpfte im ersten Tschetschenien-Krieg als 16-jähriger Bursche an der Seite seines Vaters gegen die Russen, ehe er sich mit ihnen verbündete – wie sein Vater. 2004 fiel Achmat Kadyrow einem Bombenanschlag zum Opfer. Drei Jahre später folgte ihm sein Sohn Ramsan als Präsident der Tschetschenischen Republik. Ein früherer Separatist an der Seite Russlands. Ein Milizführer aus den Bergen Tschetscheniens, der sich selbst als Heilsbringer der Bevölkerung stilisiert. Ein Verkaufsgenie seiner selbst.

Kritik prallt an Ramsan Kadyrow ab wie von einer Teflon-Beschichtung – egal von wem sie kommt, sie ist nur das Werk von Verschwörern. Dabei gibt es nebst allerlei Zeugenaussagen auch mehr als handfeste Kritikpunkte: Menschen, die wegen Auftragsmorden international gesucht werden, sitzen in Kadyrows Kabinett; zu den tschetschenischen Gefängnissen haben internationale Beobachter des Roten Kreuzes keinen Zugang; Menschenrechtler werfen Kadyrow und seiner Miliz vor, durch zahllose Verschleppungen, massivste Folter und Morde ein Angst-Regime aufgebaut zu habe; und kritische Beobachter weisen auch auf die fortschreitende Islamisierung der tschetschenischen Gesellschaft hin. Manche deuten dieses Phänomen aber als Strategie Kadyrows, um islamistischen Gruppen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Kommentare