Integration: Schreckgespenst Ausländerklasse
Getto- oder Förderklasse? Eine Frage der Parteifarbe. Letzte Woche hat es in der Koalition zwischen Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) und Schulministerin Claudia Schmied (SPÖ) gescheppert. Er hielt ihr vor, die Integration zu blockieren: Es brauche eigene Klassen für Schüler, die nicht gut genug Deutsch können für den Unterricht. Schmieds Konter: So schaffe man Gettoklassen.
Gestern ist Außenamts-Staatssekretär Reinhold Lopatka zur Verteidigung seines Parteikollegen Kurz ausgerückt. Am Mittwoch gibt es ein klärendes Gespräch mit Schmied und Kurz. Eine Gallup-Umfrage im Auftrag des Integrationsfonds zeigt jedenfalls: Fast zwei Drittel sind für eigene Klassen – sogar unter Zuwanderern sind es 60 Prozent.
Karlheinz Fiedler war 20 Jahre Direktor der Hauptschule (heute: Kooperativen Mittelschule) in der Brüßlgasse in Wien-Ottakring – einem Bezirk mit hohem Migrantenanteil. Er glaubt nicht, dass solche Programme "Gettoklassen" erzeugen. "Aber man könnte die Förderung auch im Kindergarten machen. Wichtig wäre, dass die Kinder die Unterrichtssprache können, wenn sie in die Schule kommen." An den Schulen sieht er kein "Integrationsproblem", es brauche aber "mehr Elternarbeit".
Der Migrationsforscher Heinz Faßmann, Vize-Rektor der Universität Wien, sagt: "Wir haben ein Problem, darüber sollten wir reden. Ohne mit Totschlag-Vokabular drüberzufahren."
Es sei evident, dass Kinder aus Migrantenfamilien benachteiligt würden – Statistiken zu Schul-Abbrechern würden das auch belegen.
Schwierig
Der Sprachwissenschaftler Rudolf de Cillia, ebenfalls von der Uni Wien, hält hingegen gar nichts von Extra-Klassen für Kinder mit Sprach-Defiziten. Das könnte nämlich sogar gesetzwidrig sein: "Die Mehrheit der österreichischen Schüler beherrscht beim Schuleintritt die Standardsprache nicht ausreichend." Die Beherrschung der Hochsprache sei kein Kriterium für die Schulreife: "Dann würden Kinder aus Regionen mit starkem Dialekt ja auch Probleme bekommen." Außerdem seien Extra-Klassen sehr wohl eine Stigmatisierung: "Das wären , die Ausländerklassen". Integrative Modelle sind zielführender. Kinder lernen Sprache von den Gleichaltrigen."
Faßmann sieht zwei große Probleme: erstens Teenager, die nach Österreich kommen und als "Quereinsteiger" in die Schule müssen. "Die werden ins kalte Wasser gestoßen. In der Hoffnung, dass sie schwimmen lernen."
Zweitens Kinder, die in die Schule hineinwachsen müssen, weil sie im Elternhaus nicht Deutsch lernen. "Da war das verpflichtende Kindergartenjahr ein wichtiger Schritt – es bräuchte aber noch mehr vorschulische Erziehung." Faßmann wünscht sich außerdem mehr Ganztagesangebote: "Die Schule muss kompensieren, was das Elternhaus nicht schafft. Das alles ist ja auch kein Problem der Migranten – es ist eines der bildungsfernen Schichten in Österreich." So könne man auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erhöhen.
Sauer
Den Sprachforscher de Cillia stört es, dass "die Bildungsdebatte als Migrationsdebatte geführt wird". Er erinnert etwa an die Diskussion um Strafen für Dauer-Schulschwänzer: "Das mag ja ein echtes Problem sein. Aber: Wer sagt, dass das nur Kinder mit anderer Erstsprache als Deutsch betrifft? So schürt man nur Vorurteile."
De Cillia sagt, er wolle sich in den Streit zwischen Kurz und Schmied nicht einmischen. Aber es stimme nicht, dass die Schule "den Großteil" der Kinder mit Migrationshintergrund in die Sonderschulen abschiebe, wie Kurz sagt. Kurz verweist darauf, dass der Anteil der Nicht-Österreicher in den Sonderschulen eklatant höher ist als im Schnitt. De Cillia: "Nimmt man aber die Sprache her, ist das Bild so: In den Pflichtschulen haben 23,1 Prozent der Schüler eine andere Erstsprache als Deutsch. In den Sonderschulen 28,5. Das ist leicht erhöht, aber nicht der Großteil." In Wien seien die Kinder mit Deutsch als Erstsprache in den Sonderschulen sogar überrepräsentiert.
Schichten
Das Resümee von de Cillia fällt ähnlich aus wie das von Faßmann: "Es ist nicht nur eine Frage von Erstsprache und Herkunft. Kinder aus Osteuropa und Asien sind beim Bildungsabschluss sogar überdurchschnittlich gut." Das Problem sei, dass Kinder aus klassischen Zuwandererfamilien in Österreich meist aus Schichten kämen, die sozial und in der Bildung benachteiligt sind: "Da ist die Frage, wie sie daheim gefördert werden." Mehr fördern würde de Cillia auch den Unterricht in der Muttersprache.
Davon profitiere nicht nur die Wirtschaft: "Wer zweisprachig aufwächst, ist später auch weniger anfällig für Fremdenfeindlichkeit."
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