"Hassprediger" und "Staatsfeind": FPÖ heizt noch einmal ein

"Hassprediger" und "Staatsfeind": FPÖ heizt noch einmal ein
FPÖ-Wahlkampf-Finale: Rund 800 Fans und Funktionäre versuchen sich als "freiheitliche Familie" auf den Wahltag einzuschwören

„Für das, was alles passiert ist, ist es sehr gut gelaufen“, sagt ein Joachim Stampfer, FPÖ-Bundesgeschäftsführer nach zwei Stunden am Viktor-Adler-Markt. Nach zwei Stunden Wahlkampf-Abschlussfest in Wien-Favoriten. Zwei Stunden, in denen es galt, freiheitliche Fans und Funktionäre sowie Schaulustige auf die „freiheitliche Familie“ einzuschwören. Mit Bratwurst und Bier.

 

"Hassprediger" und "Staatsfeind": FPÖ heizt noch einmal ein

Mit Funktionären wie Harald Stefan, Ursula Stenzel, Martin Graf, Petra Steger im Publikum. Mit der Partei-Spitze auf der Bühne. Und mit der John-Otti-Band, die nach den Pflichtreden von Wien-Chef Dominik Nepp und Wiens Spitzenkandidatin Dagmar Belakowitsch dafür zu sorgen haben, die Stimmung hochzuhalten. Das geht an Ort und Stelle mit wenigen Akkorden, indem die Band das FPÖ-Lied anstimmt. "Wir sind eine große Familie. Wir gehören zusammen. Hier ist keiner allein."


"Hassprediger" und "Staatsfeind": FPÖ heizt noch einmal ein

Bier & Bühne

Von Heinz-Christian Strache spricht hier niemand. Weder beim Bierstand noch auf der Bühne. Lieber gesellen sich Funktionäre zu Ursula Stenzel, der nicht amtsführenden Stadträtin, die jüngst durch ihre Rede bei einer Identitären-Demo für Aufregung sorgte, und sprechen ihr zu.


"Hassprediger" und "Staatsfeind": FPÖ heizt noch einmal ein

Annähernd Volksfeststimmung bei Tattoo-, Lederhosen-, Dirndl- und Anzugträgern, Müttern mit Kinderwägen, Funktionären mit FPÖ-Jacken und Securities, mit "Ordner"-Badges. Alles ist so wie immer bei FPÖ-Wahlveranstaltungen am Viktor-Adler-Markt. Vermeintlich. Denn nicht nur Heinz-Christian Strache fehlt, sondern auch die gewohnte Stimmung bei blauen Großveranstaltungen. Die „Jetzt-erst-recht-Mentalität“, das „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“-Credo von Plakaten ist nicht sichtbar, nicht wirklich bemerkbar.

 

AUSTRIA-VOTE-PARLIAMENT-POLITICS

Wiewohl sich rund 800 Menschen, flankiert von dutzenden Polizisten, vor der Bühne mit blauen Ballons eingefunden haben, Strache von niemandem mit einer Silbe erwähnt werden wird, wird man als Beobachter die ganze Veranstaltung über das Gefühl nicht los, es gehe hier mehr um eine Pflichtübung aller Beteiligten. Es wird routiniert geklatscht, gesungen und geredet.

 

"Hassprediger" und "Staatsfeind": FPÖ heizt noch einmal ein

Um halb sechs steht Herbert Kickl auf der Bühne. Doch sein Auftritt wird jäh gestört. Durch Akklamationen der eigenen Anhänger. Statt "HC, HC" heißt es jetzt "Herbert, Herbert". Und durch eine kleine Gegendemonstration von Tierschützern. Kickl lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Er erzählt von einem Frühschoppen in Hartberg mit 3000 Menschen.

 

NR-WAHL: WAHLKAMPFABSCHLUSS FPÖ

„Freiheitliche for future“

Eine Woche zuvor sei die SPÖ dort gewesen mit 300 Leuten. "Da hat man geglaubt, man ist eine Aussegnungshalle." Er macht sich über die Klima-Demonstranten lustig und plädiert für "Freiheitliche for Future". Das Publikum dankt es ihm mit Lachern, Johlen und Applaus.

 

AUSTRIA-VOTE-PARLIAMENT-POLITICS

"Ich war der sensibelste Innenminister, den es je gegeben hat", sagt Kickl. Er hätte sich laut Kurz aufgeführt wie ein Bulldozer. Der Ex-Kanzler könne noch nie auf einer Baustelle gewesen sein, wisse nicht, wie aufräumbedürftig das Innenministerium gewesen sei. "Der schönste bin ich nicht", sagt Kickl und macht sich über das Magazin profil lustig und über sich selbst. profil hatte Kickl als "Haßprediger" bezeichnet. Kickl benutzt den Titel nun, um sich und seine Leistungen hervorzukehren.

„Haßprediger & Staatsfeind“

"Ich habe hingegriffen, wo es wehtut. Ich hätte auch mit dem Dienstwagen von Buffet zu Buffet fahren können", aber das habe er nicht getan. Er, der "Haßprediger" und selbsternannte "Staatsfeind Nummer Eins" wiederholt alle Phrasen des Wahlkampfs, um deren Wirkung er Bescheid weiß.

"Haßprediger wirst Du, wenn Du einen Zaun baust." Kickl habe sich mit der EU-Kommission angelegt, habe gezeigt, dass ein anderer Wind weht. "Nicht einen einzigen" Asylwerber wollte er nehmen. "Ich bin in die Politik gegangen, um Politik zu machen. Niemand nimmt mich an die kurze Leine." Ein Sager. Ein Lacher. Ebenso vollzieht es sich, wenn er mit seinen Sprachbildern arbeitet, um Schnitzel und Kritiker in einem Satz zu beschreiben.

 

AUSTRIA-VOTE-PARLIAMENT-POLITICS

"Wir verzichten aufs Panieren, wir hauen sie einfach so in die Pfanne", sagt Rhetoriker Kickl in die Menge. Am 29. September gehe es diesmal um mehr. "Es geht um eine Weichenstellung. Es geht um viel mehr als sonst." Erst kritisiert Kickl die EU-Kommission und mutmaßt, dass die SPÖ eine Tropenmedizinerin (Pamela Rendi-Wagner) deshalb aufgestellt hat, weil mehr Flüchtlinge kommen werden.

Söldnertruppe“

Dann hat es der Ex-Innenminister Herbert Kickl auf Sebastian Kurz, die Grünen und Neos "Söldnertruppe des Hans-Peter Haselsteiner" abgesehen. Er macht sich über Ex-KURIER-Herausgeber, den nunmehrigen Neos-Kandidaten Helmut Brandstätter lustig, indem er sich auf eine Diskussionssendung mit ihm bezieht und ihn "Brandstotter" nennt.

 

AUSTRIA-VOTE-PARLIAMENT-POLITICS

Applaus flammt auf. Wind kommt auf. Doch das Publikum hat auch nach einer knappen halben Stunden Kickl noch nicht genug. Sie hören ihm zu. "Ihr wisst eh, dass sich da was zusammenbraut. Am Balkan. In der Türkei." Und „Ohne uns ist es so, dass sich der Islamismus ausbreiten wird. Wenn ich Innenminister wäre, werden wir aus dem Teppich einen fliegenden Teppich machen. Ohne uns, könnt ihr euch sicher sein, dass die Kopfabschneider und Brennstoffattentäter in Syrien oder dem Irak, dass sie alle in Windeseile nach Österreich geholt werden. Das einzige, was wir uns zurückholen, ist unsere Staatsbürgerschaft."


Freedom Party's rally ahead of Austria's parliamentary election in Vienna

„Danke einem Mann“

Kickl ist in Fahrt und redet ohne Unterlass. Er weiß, was die Menschen hören wollen. Nach Islam-Kritik geht es um „die Schande“, dass das Bundesheer zu wenig Geld hat. Und die Justiz. "Es kann nicht sein, dass es den Häftlingen drinnen besser geht als draußen."

Kickl, der immer austeilt, steckt nicht ein. Er kritisiert "Willkommen Österreich", die ORF-Sendung, in der sich Grissemann und Sterman über seine Körpergröße lustig gemacht hatten. "Ich komme mit meinen 1,72 gut zurecht." Er warnt vor einem Staat in Staat. "Sie wollen uns zermürben", sagt Kickl und meint die Konkurrenz der anderen Parteien. Einen "Schlag gegen das Hosentürl" möge man am Sonntag den Gegnern versetzen. Dann wird Kickl sanft, bedankt sich bei seiner Familie und den Funktionären und potenziellen Wählern. "Danke, an die Tausenden, die Zettel verteilt haben, die überzeugt haben, dass die freiheitliche Familie die richtige ist. Und: Danke einem Mann. Danke Norbert Hofer."

Mit seinem Auftritt, der folgt, nimmt die Aufmerksamkeit ab.


Freedom Party's rally ahead of Austria's parliamentary election in Vienna

„Erzählung & Einzelfälle“

Norbert Hofer spricht über Minuten über "Einzelfälle". Nicht jene der FPÖ natürlich, sondern jene anderer Parteien. Er erinnert an das Dosenschießen einer SPÖ (Dosen zeigten Konterfeis der ÖVP-FPÖ-Regierung). Doch seine Geschichten kommen nicht an. Die Reihen lichten sich nach 20 Minuten seiner Rede langsam aber deutlich. Nur bei Versatzstücken seiner Rede, die Stichworte wie "Staatsbürgerschaft", "Mindestsicherung" oder "Gerechtigkeit" beinhalten, scheint das Publikum kurz aufmerksam und hellhörig zu werden. Im Gegensatz zu Herbert Kickl, der die Menge von Minute Eins an auf seiner Seite hatte, zieht Hofer, die Nummer Eins der Freiheitlichen, an diesem Freitagabend bei den Schaulustigen weit weniger. Er ist sichtlich müde und nachweislich ob einer Grippe nicht fit.

Die Pflegeproblematik in Österreich anzusprechen kommt am Viktor-Adler-Markt nicht an, sondern eher einer Themenverfehlung gleich. "Wie sich das Land verändert sieht man in Wien", so Hofer und erzählt über Schulbücher, die Allah zum Inhalt haben. "Der Islam ist nicht Teil unserer Geschichte." Kurzer Applaus ehe er weiterspricht. Bezeichnete sich Kickl zuvor als "Haßprediger" ist jetzt von islamischen "Haßpredigern" die Rede.


AUSTRIA-VOTE-PARLIAMENT-POLITICS

Norbert Hofer sagt zum Schluss seiner mehr als halbstündigen Rede: "Jede Stimme für die Freiheitlichen verhindert Schwarz-Grün-Neos". Er bedankt sich mit dem klassischen "Glück auf". Nun ist die Stimmung wieder dort, wo sie zuvor nur bei John-Otti und Kickl war. "Norbert, Norbert"-Sprechchören folgt die Bundeshymne.

 

AUSTRIA-VOTE-PARLIAMENT-POLITICS

Die Menschen schwingen ihre kleinen Österreich-Fahnen. Es wird gesungen, manch einer bewegt nur den Mund lippensynchron dazu. Auf der Bühne schwingen alle FPÖ-Redner große Österreich-Fahnen. Jetzt zu ihrer blauen Hymne. Zu "Immer wieder Österreich."

2017 stand hier Heinz-Christian Strache auf der Bühne und im Mittelpunkt.

2019 scheint er vergessen, verdrängt, hat sich die "freiheitliche Familie" neu aufgestellt. Mit Norbert Hofer und Herbert Kickl.

Kommentare