Zwei Jahre Kanzler Karl Nehammer: Viel Arbeit ohne Lohn

Als Karl Nehammer (ÖVP) am vergangenen Mittwoch beim Festakt "100 Jahre Kanzleramt" seine Grundsatzrede zur Demokratie hielt, waren es genau zwei Jahre, dass er als Bundeskanzler angelobt worden war. Ihm mag die Zeit wohl länger vorgekommen sein, weil sich seit seinem Amtsantritt am 6. Dezember 2021 die Welt verändert hat. Einen wirklichen Kanzler-Bonus konnte er sich in dieser Zeit allerdings nicht erarbeiten, wie die aktuellen Umfragen und am vergangenen Freitag sein Ranking beim APA/OGM-Vertrauensindex gezeigt haben. Da hinken er und seine Partei hinterher. Und es sind nicht einmal mehr zehn Monate Zeit, um im Hinblick auf die Nationalratswahl 2024 das Ruder herumzureißen.
Dabei ist in seiner Kanzler-Zeit wirklich etwas weitergegangen. Die Opposition sieht das zwar - erwartbar - anders. Aber sein Koalitionspartner, die Grünen, bestätigen, dass mit Kanzler Karl Nehammer viel umgesetzt worden ist. Auch im Klimaschutzbereich, wie Vizekanzler Werner Kogler zuletzt in einem KURIER-Interview unterstrichen hat. Nehammers Team hat anlässlich "Zwei Jahre Kanzler" eine Liste jener Entscheidungen zusammengestellt, die in dieser Zeit gefallen sind. Und diese ist sehr lang.

Die Zeit von Sebastian Kurz liegt noch immer wie ein Schatten über der Regierungszeit von Kanzler Karl Nehammer
Lange Liste an Entscheidungen
Zur Erinnerung die wichtigsten Punkte daraus: die Abschaffung der Kalten Progression, die Entlastung der Überstunden, die Erhöhung der Pensionen, die Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen, der Bonus für pflegende Angehörige, das digitale Amt, das Informationsfreiheitsgesetz, hohe Investitionen in das Heer und in die Sicherheit (Stichwort Sky Shield), die Erhöhung des Familienbonus, der Finanzausgleich, die Gesundheitsreform, ein Familienpaket gegen Kinderarmut, die Strompreisbremse, Energiekostenzuschüsse für die Unternehmen etc.
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Das alles konnte in seiner Zeit als Regierungschef erledigt werden. Dennoch ist er in den Umfragen mittlerweile mit seiner ÖVP auf den dritten Platz abgerutscht. Weit hinter Herbert Kickl und der FPÖ, aber auch hinter der SPÖ unter dem neuen Parteichef Andreas Babler. Das nagt auch an ihm und seinem engeren Team. Man habe so viel vorzuweisen und dennoch würden die Werte nicht nach oben klettern. Man arbeite sehr, sehr viel, ohne dafür von der Bevölkerung den entsprechenden Lohn zu erhalten.
Die Schwierigkeit von Karl Nehammer ist, dass er nicht nur mit den vielen Krisen - von Corona über Ukraine-Krieg inklusive der Verteuerung am Energiemarkt, die Inflation bis hin zum Konflikt im Nahen Osten - zu kämpfen hat, sondern auch mit parteipolitischen Rahmenbedingungen, für die er selbst gar nicht so viel kann. Dazu zählen die bisherigen U-Ausschüsse, dazu zählen auch Affären wie zuletzt jene rund um den geheimen Mitschnitt der Pilnacek-Vorwürfe, dazu zählen noch immer die Chats aus der Zeit von Thomas Schmid, obwohl der Name von Karl Nehammer dort nie aufgetaucht ist.
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Dazu zählt aber auch der Schatten von seinem Vorgänger Sebastian Kurz, auch wenn dieser immer wieder dementiert, dass er zurück in die Politik will. Er selbst stand ja nur in zwei Fällen im Mittelpunkt. Das eine war die Cobra-Affäre rund um zwei Personenschützer des Kanzlers, die betrunken einen kleinen Blechunfall verursacht hatten. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile alle Ermittlungen gegen den Kanzler eingestellt. Und da ist jenes Handy-Video, das ihn bei einem Treffen mit ÖVP-Funktionären zeigt, bei dem er den berühmten Burger-Sager bezüglich der billigsten warmen Nahrung für Kinder gesagt hat. Das Video hat ihm in Umfragen Prozentpunkte gekostet. Danach hat er allerdings sozialen Vereinen und Einrichtungen gestellt, um diesen seine Aussagen zu erläutern.

Herbert Kickl: In eine Duell-Situation mit ihm will die ÖVP ihren Kanzler Karl Nehammer bringen
Der zweite Platz muss es zumindest sein
Für die ÖVP wird es eine Herkules-Aufgabe werden, im kommenden Jahr die Stimmung zu drehen. Noch dazu, da es zwei U-Ausschüsse geben wird. Das Ziel, im Wahlkampf wenigstens in die Duell-Situation mit FPÖ-Chef Herbert Kickl zu kommen, bedarf einer großen Anstrengung, bei der die Partei - vor allem die neun Landesorganisationen - an einem Strang ziehen muss. Grundsätzlich hat Karl Nehammer den Rückhalt. Und dort, wo er mit der Bevölkerung in direkten Kontakt tritt, da könne er auch punkten, sagt ein ÖVP-Funktionär zum KURIER. Was diesen wundert: Dass diese Vorzüge des Kanzlers nicht bundesweit von seinem Team öfters ausgespielt werden, dass teilweise ÖVP-Ministerinnen öfters und offensiver über die Medien kommunizieren als der Regierungschef selbst.
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Für die Nationalratswahl im September wurde und wird Karl Nehammer wohl keine Latte gesetzt werden. In der Partei spricht man aber davon, dass er zumindest Zweiter werden müsse, damit er von Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen Regierungsauftrag erhalten könne, wenn dieses mit einem Herbert Kickl als Nummer eins scheitert. Was noch niemand ausspricht, was aber irgendwie mitklingt: Wird die ÖVP tatsächlich nur Dritter, dann wird wohl die Zeit von Karl Nehammer an der Spitze der Partei vorbei sein.
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