Wo iPads so wichtig wie Hefte sind
Der kleine Kerl biegt immer falsch ab! Anfangs läuft es gut, der Roboter rollt entlang der Linie, die die Schüler mit Tixo auf den Boden geklebt haben. Doch am Eck’, wo er abbiegen soll, dreht er in die falsche Richtung. Kruzifix!
„Stellt einmal 30 Grad weniger ein“, sagt Lehrer Ingo Stein. Die drei Buben tun es, irgendwann kratzt der Roboter die Kurve, und all das wäre nicht bemerkenswert, hätten die Buben nicht dieses Gerät in der Hand. Der Roboter wird nicht über eine herkömmliche Fernbedienung gesteuert, nein: Die Schüler bestimmen den Kurs per iPad, sie programmieren. Es sind ihre erste Schritte auf dem Weg zu einer Computersprache – und das ist erst der Anfang.
Denn hier, in der NMS Koppstraße in Wien-Ottakring arbeiten 320 Schüler (10 bis 14-Jährige) und der gesamte Lehrkörper in fast allen Fächern mit iPads – die Koppstraße gilt als Wiens erste iPad-Schule.
Wie funktioniert das? Wo liegen Vor- und Nachteile? „Das Wichtigste ist, dass die Arbeit mit den iPads einen Mehrwert bieten muss“, sagt Pädagoge Stein, der treibende Motor hinter dem Projekt.
Was heißt das mit dem „Mehrwert“? Die Tablets kommen nur zum Einsatz, wenn sie den gewohnten Unterricht nachweislich verbessern.
Anschaulich sieht man das etwa in Mathematik: Hier sitzen Schüler mit unterschiedlichen Leistungsniveaus nebeneinander und lösen Rechenaufgaben.
Lehrer Stein schickt ihnen die jeweils passenden Übungsblätter aufs Tablet. Alle Kinder sind mit ihm verbunden und er weiß in jeder Sekunde, was sie mit den Gerät anstellen – er kann sich auf jedes iPad verbinden. Die Rechenaufgaben erledigen die Kinder analog mit Stift und Papier, in einer App können sie das Ergebnis kontrollieren.
Der Vorteil laut Stein: „Ich kann gleichzeitig Kinder mit unterschiedlichen Niveaus sinnvoll beschäftigen. Und die Kinder können selbst überprüfen, ob sie richtig gerechnet haben.“
Früher habe man Zettel mit den Lösungen an die Wände geklebt. „Die Kinder haben nach dem ersten Fehler zur Wand geschaut. Jetzt probieren sie es immer wieder, nur wenn sie gar nicht weiter wissen, muss ich helfen.“
Ein anderes Beispiel: Geografie. Die Schüler sollen verstehen, wie der Wasserkreislauf funktioniert.
Ihre Aufgabe: Sie drehen mit dem iPad einen Kurzfilm, in dem sie erklären, wie das mit Wolken, Bächen und Regen genau abläuft.
Während eine Gruppe vor einer grünen Wand (greenscreen) die Präsentation der Kinder filmt, erstellt eine andere Grafiken, die anstelle des greenscreens eingeblendet werden. Alles läuft am iPad, alles ohne Probleme.
250.000 Programme gibt es mittlerweile, um den Unterricht spannender zu gestalten. Für Physik, Mathe, aber auch Deutsch und Geschichte.
Das Geografie-Beispiel zeigt: Vieles wird gleichzeitig trainiert. Die Schüler müssen mit dem iPad filmen und grafisch denken; sie müssen lernen, sich zu präsentieren, und vor allem müssen sie den Stoff so gut verstehen, dass sie ihn richtig wiedergeben.
Für die Kinder ist die Arbeit mit den iPads eine willkommene Abwechslung. „Es macht einfach mehr Spaß“, sagen sie bei vielen Gelegenheiten.
Verblöden die digitalen Geräte? In der Koppstraße hat man nicht den Eindruck, im Gegenteil: Der offene Umgang führt offenbar zu einer souveräneren Handhabe. „Wir schicken uns Artikel und Kurz-Videos, dann wird darüber diskutiert. Via whatsapp oder normal“, sagte eine Schülerin. Wie gesagt, von Vereinsamung ist wenig zu spüren.
Außerdem: „Die iPads werden nicht als Unterhaltungs-, sondern als Arbeitsgeräte wahrgenommen“, sagt Direktor Wilhelm Wunderer. Das trifft auch auf die Lehrer zu. Denn dank der iPads können sie alle Schüler-Arbeiten digital einsehen und verbessern. „Wenn Eltern zu einem Gespräch vorbei kommen“, sagt Stein, „hat man automatisch alle Hausübungen parat. Anderswo muss man kiloweise Hefte schleppen.“
Lesen Sie morgen: Wie ein Gymnasium versucht hat, Handys völlig zu verbieten – und eines Besseren belehrt wurde.
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