Wenn das Handy Zeitgeschichte erzählt

Smartphone-Projekt des DÖW
Homepage. "www.mementowien.at" macht 5000 Opfer-Geschichten in Wien per GPS erlebbar.

Wer die Wiener Salvatorgasse entlang auf die Kirche Maria am Gestade zuspaziert, der kommt linker Hand irgendwann am Haus "Stoß im Himmel 3" vorbei. Heute eine formidable Adresse, war die Situation im Nationalsozialismus eine andere. Denn genau dieses Haus war damals eines der vielen "Judenhäuser" der Stadt.

In Judenwohnungen bzw. -häusern wurden zwangsumgesiedelte und entrechtete jüdische Bürger von der NS-Maschinerie gesammelt und zusammengepfercht, um sie später massenhaft in Konzentrationslager und damit in den sicheren Tod zu schicken.

Seit wenigen Tagen kann man die Namen und mitunter sogar die einzelnen Geschichten der vom NS-Regime Ermordeten bei Stadtspaziergängen durch die Wiener Innenstadt erfahren.

Unter der Web-Adresse "www.mementowien.at" hat das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, kurz DÖW, eine für Tablets und Smartphones optimierte Homepage aufgesetzt, die dank der Koppelung an das GPS-System quasi im Vorbeigehen Informationen zu den Opfern der NS-Diktatur preisgibt.

Dokumente und Bilder aus dem DÖW wurden durch Dokumente und Bilder aus dem Institut Theresienstädter Initiative bzw. dem Národní Archiv in Prag, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek ergänzt.

"Egal, ob es sich um Schulklassen handelt, die auf Wien-Woche sind, um Touristen oder um interessierte Bürger: Für sie alle soll mit dem neuen Tool Zeitgeschichte besser erlebbar werden", sagt DÖW-Mitarbeiter Stephan Roth zum KURIER.

In einem ersten Schritt wurden die Daten von 5000 Opfern gesammelt, die zuletzt in Wiens erstem Bezirk gemeldet waren. Mitglieder des Widerstandes, politisch Verfolgte – und eben jüdische Opfer.

Opfer wie der Textilkaufmann Arthur Chat, der mit seiner Familie zuletzt auf "Stoß im Himmel 3" gemeldet war. Während Chats älteren Töchtern Martha und Elisabeth die Flucht nach England gelang, blieb die Jüngste, Edith, bei den Eltern und wurde aus der Wohnung direkt ins Vernichtungslager Sobibor deportiert; Vater Chat starb im KZ Theresienstadt, Frau Gertrude wurde in Auschwitz ermordet. Abgesehen von Vater, Mutter und Tochter Chats waren im "Stoß im Himmel"-Haus noch weitere 90 Menschen, die später vom NS-Regime zu Tode gebracht wurden. DÖW-Mitarbeiter Roth ist wichtig, dass das Projekt längst nicht abgeschlossen ist: "Rein technisch könnten wir auch alle anderen Bezirke mit hineinnehmen." Und wenn Geld vorhanden ist, könnte die interaktive Landkarte sogar auf ganz Österreich ausgeweitet werden.

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