Wie ein steirischer Elektriker versucht, Fluchtrouten zu schließen
Johann Merl ist Elektriker in Bruck an der Mur, ein Unternehmer mit rund 50 Mitarbeitern – und drei Zweigstellen in Westafrika, konkret im Senegal, in Mali und Tansania.
Im Rahmen der R20-Initiative von Arnold Schwarzenegger hat sich Johann Merl auch um Projekte in Afrika beworben. Denn in einigen Staaten kennt er sich gut aus, ist Spezialist und Pionier.
Im KURIER erzählt er, wie es dazu gekommen ist, und warum seine Unternehmungen nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel helfen.
Wie sind Sie dazu gekommen, in Afrika als Elektriker tätig zu werden?
Johann Merl: Ich habe als junger Spund Missionsautos nach Afrika überstellt, konkret nach Ghana, und habe bis heute Freunde in und Beziehungen zu Westafrika. Damals habe ich bemerkt, dass ein Großteil der Dörfer am Land gar keinen Strom hat. Ich kennen gut Senegal, Mali, Ghana, Burkina Faso, das einst Zielland für österreichische Entwicklungshilfe war, es gibt dort noch ein ADA-Büro (Austrian Development Agency) in Ouagadougou.
Was ihr Ihr jüngstes Projekt?
Wir sind gerade mit Kamerun in Verhandlungen, die Regierung überlegt, die Dörfer an der Grenze zu Nigeria aufzuwerten, zu elektrifizieren, um den Leuten einen besseren Lebensstandard zu bieten, damit diese nicht den Boko Haram zulaufen.
Was bieten Sie in diesen Ländern konkret an?
Wir haben einen Container entwickelt, der nahe dem Zentrum eines Dorfes aufgestellt wird, der mit Photovoltaik, also Strom durch Sonnenenergie, diese Energie in eine große Batterie einspeist und verteilt, um den Leuten in der Nacht die Möglichkeit zu geben, ein Licht anzudrehen oder ihr Handy aufzuladen, oder damit sie Radio und TV konsumieren können.
Ein Container versorgt in etwa 60 Haushalte, das sind rund 300 Personen, und benötigt eine Photovoltaik-Fläche von rund 88m², damit schaffen wir rund 15 Kilowatt. Wir müssen natürlich den Energieverbrauch begrenzen über so genannte Limiter. Durch diese Limiter schaffen wir es, dass etwa Licht oder Handy-Laden funktioniert, ein Wasserkocher aber keinen Strom beziehen kann, weil der vergleichsweise wahnsinnig viel Strom brauchen würde. Die Bedürfnisse sind aber meist ohnehin sehr bescheiden, Kochen würde ohnehin niemand mit Strom.
Wofür wird der Strom gebraucht?
Es geht um Licht, es geht um Steckdosen, es geht aber auch darum, dass man etwa ein Bügeleisen betreiben kann. Bügeln ist in Afrika echt ein Problem, es gäbe sonst nur „Stacheleisen“, wie sie bei uns in Österreich vor hundert Jahren mit glühenden Kohlen betrieben wurden, so wird noch immer in Afrika gebügelt, das Verletzungsrisiko ist da aber groß. Ein Bügeleisen ist in den Dörfern das Nonplusultra. Wir erlauben das aber nur an wenigen Stellen und nur wenn die Sonne da ist.
Woher beziehen die Menschen dort bisher ihren Strom?
Alternativ kann man Strom nur mit Dieselgeneratoren erzeugen. Da hat man einerseits einen sehr hohen Kohlendioxid-Ausstoß, andererseits ist der Betrieb eines Dieselgenerators wahnsinnig teuer und kaum finanzierbar.
Wenn kein PV und kein Diesel vorhanden ist, bleibt es zumeist nachts stockdunkel. Außer, die Menschen haben Batterien. Doch die werden meist weggeschmißen, sobald sie leer sind, und verseuchen so das Grundwasser und die Böden.
Wie hoch sind die Kosten für so einen Container?
Es geht ja nicht alleine um den Container und die Photovoltaik-Module. Wir brauchen und bauen da eine Infrastruktur im Dorf, Leitungen, die so gebaut werden, dass wenn einmal ein echtes Stromnetz kommt, kann das einfach daran angeschlossen werden. Dann müssen Menschen geschult werden, die das bedienen und bei einfachen Fehlern reparieren können. Man muss ein Ersatzteildepot einrichten. Und alles das zusammen kostet rund 290.000 bis 350.000 Euro, je nachdem, wie man das Dorf erreicht. Viele Dörfer sind nur sehr schwer zu erreichen.
Und wie lange hält so ein System?
Auf die PV-Zellen geben wir eine Garantie von 25 Jahren. Auf die Elektronik garantieren wir fünf Jahre, obwohl ich sagen muss, dass wir am Hochschwab, am Schiestlhaus, diese Technologie erstmals installiert haben, dort haben wir das sozusagen gelernt, das „Haus der Zukunft“, und dort läuft die Elektronik seit 15 Jahren. Was aber kaputt wird, ist die Batterie, die verbraucht sich nach einiger Zeit und sie muss erneuert werden. Das finanzieren die Dörfer selbst: In Afrika werden die Strompreise paritätisch geregelt. Wie früher bei uns gibt es dort paritätische Kommissionen, die den Strompreis sozial festlegen. In der Regel sind das rund 20 Cent pro kWh. Von den Dorfgemeinschaften gibt es Flatrate-Modelle mit einer gewißen Gebühr, um so das Geld anzusparen, damit man nach sechs Jahren neue Batterien anschaffen kann.
Der Zugang zum Strom bleibt also sehr teuer?
Die Milchmädchenrechnung geht so: eine Freileitung kostet pro 10 km rund 300.00 Euro. Das können sich die Stromanbieter dort nicht leisten, die sind meist ziemlich marod beieinander. Weil sie aus teurem Erdöl thermisch den Strom erzeugen, den sie dann nach einem Sozialtarif anbieten müssen. Die werden zwar subventioniert, aber das bleibt schwierig. In Westafrika gibt es kaum Wasserkraft, weil es nur wenige Flüsse gibt, und diese kaum Gefälle aufweisen, wie etwa die Flüsse Sine und den Saloum im Senegal. Der Senegal-Fluss ist weit weg von den Zentren, wo die Menschen leben. Natürlich werden dort auch Wasserkraftwerke gebaut, Andritz ist übrigens Marktführer bei Wasserkraft in Afrika. Erst im Süden, in Kamerun und Kongo, da gibt es genügend Flüsse, in der Sahelzone nicht. Dafür viel Sonne, tödlich viel Sonne.
Wer bezahlt Sie dann?
Es gibt etwa ein softloan-Programm der österreichischen Kontrollbank, die den Staaten einen Kredit gibt, der zinsgestützt ist, mit langen Rückzahlungszeiten. Normalerwiese ist unser Kunde das Energieministerium, es geht um Infrastrukturhilfe, wie in Österreich, da wurde die Elektrifizierung des ländlichen Raumes ab 1945 mithilfe der Gelder des Marshallplanes gemacht, teilweise werden diese Kredite bis heute zurückgezahlt.
Was Sie machen sind also Insellösungen, vom eigentlichen Stromnetz abgekoppelt?
Was wir in Afrika machen, sind sogenannte Minigrids, kleine Stromnetze. Diese Idee ist schon alt, die UNO schreibt immer wieder Programme aus, etwa im Senegal, wo jetzt 150 Dörfer elektrifiziert werden sollen mit Hilfe der Weltbank. Der Elektrifizierungsgrad in Afrika liegt noch unter 40 Prozent, und das soll massiv verbessert werden.
Sie versuchen auch über Schwarzeneggers R20 einen Auftrag zu bekommen?
Beim R20 sind wir in der engeren Wahl, es geht da um 25 Dörfer im Benin, für das wir uns beworben haben. Ob das klappt, wissen wir noch nicht.
Ist das für Sie auch ein Klimaschutzprojekt?
CO2-relevant sind die kleinen Einheiten nur in einem geringen Maß, damit werden wir die Welt vor der Klimakatastrophe nicht retten. Aber der sozioökonomische Impact ist wesentlich größer. Bis jetzt haben nur wir 41 Dörfer elektrifiziert, 2500 Haushalte, Strom für 150.000 Menschen, und rund 100 km Freileitungen gebaut.
Was meinen Sie mit sozioökonomischen Impact?
Was sich in den Dörfern, die elektrifiziert wurden, ändert, ist bemerkenswert. Wir können nämlich auch einen Drehstrom anbieten, also einen Dreiphasenwechselstrom. Und den brauchen kleine Gewerke, die sich in der Nähe der Container niederlassen: Die können eine Dreschmaschine anhängen, oder Schälmaschinen, oder anderes für die Erntearbeit. Es entsteht also eine gewerbliche Infrastruktur. Man kann eine Schweißmaschine oder Drehmaschine oder Drechselmaschine, für Metallverarbeitung anschließen, oder Sägen. Sobald die Batterien in den Containern voll sind, das ist etwa gegen elf Uhr vormittags, bis 17 Uhr steht die volle Leistung für diese Gewerbe zur Verfügung.
Und weil wir in den Häusern uns auch auf dem Hauptplatz Licht machen können, wir machen immer eine öffentliche Platzbeleuchtung mit LED, hat auch die Vergewaltigungsrate dramatisch abgenommen.
Dann haben wir geschafft, dass auch in den Schulen ein Strom angeboten werden kann. Wir haben in etlichen Schulen in Afrika aus Hilfsprojekten Computer vorgefunden, die aber nicht benutzt werden können, weil kein Strom da ist. Großartig war das im Senegal, in einem Dorf hatten sie 25 Computer, ein Geschenk aus Deutschland, aber keinen Strom. Dafür braucht man Module von rund 5kW.
Mehr noch, denn dazu kommt, dass es während der Trockenzeit brüllend heiß ist, es ist wahnsinnig unangenehm, bei der Hitze in der Klasse zu sitzen. Und es ist eine wesentliche Lebensverbesserung, dass die Kinder mit elektrischem Licht in den Schulen den Unterricht in die kühleren Abendstunden verlegen können. Aber auch die Marktzeiten werden damit verändert, dass die Frauen am Abend ihre Marktgeschäfte erledigen können, wenn die Sonne nicht brennt. Im Norden des Senegal haben wir Container, die tagsüber über 45°C aushalten müssen.
Aber rund 300.000 Euro für einen Stromanschluss wird sich dort kein Dorf leisten können, oder?
Die Investition ist nicht bezahlbar, das muss der Staat stemmen, so wie das auch bei uns der Fall war. Den Betrieb, den können sie dann aber selbst organisieren und finanzieren.
Können Sie uns noch andere Beispiele geben, was Sie in Afrika gemacht haben?
In Ägypten, in der ganzen Sahelzone, kann man Landwirtschaft nur betreiben, wenn man Wasser aus dem Grundwasserreservoir hinaufpumpt. Wenn ich nur Dieselpumpen habe, wird der Betrieb wegen der Treibstoffkosten wahnsinnig teuer. Der Produktionswert des Gemüses und der Kartoffel steht in keiner Relation zu den Dieselkosten. Jetzt wird das mit Photovoltaikstrom gemacht. Das ist zwar technisch anspruchsvoll, aber in Afrika inzwischen auch state of the art.
Ist das Kühlen von Lebensmittel nicht auch ein großes Problem?
Sehr. Wir haben dafür einen Container entwickelt, der mit PV soviel Eis produzieren und damit dann ein isolierter Raum gekühlt werden kann, dass man Fisch eine Woche vorrätig halten kann. Es gibt nämlich unzählige Kühlhäuser an der westafrikanischen Küche, die nicht betrieben werden können, weil die Dieselkosten so hoch sind.
Herr Merl, warum engagieren Sie sich von Bruck an der Mur aus eigentlich für Afrika, warum machen sie das?
Ich denke mir das so: Wenn wir uns in den westlichen Industrienationen nicht überlegen, wie Afrika wirtschaftlich und beim Lebensstandard entwickelt werden kann, und das sehe ich ganz pragmatisch – wenn wir das nicht tun, dann werden die Menschen über kurz oder lang alle versuchen, zu uns zu kommen. Das sind 1,3 Milliarden Menschen. Wenn nur zehn Prozent beschließen, zu uns zu kommen, sind das einhundertdreißig Millionen Menschen. Dann haben wir Krieg, und das kann niemand wollen.
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