Wie die EU künftig arbeiten soll

Die EU-Staatschefs wollen die Ergebnisse der EU-Wahl besprechen
Warum die jetzigen EU-Regeln nicht immer brauchbar sind – und wie das Europa von morgen aus Expertensicht aussehen sollte.

Ein neuer EU-Vertrag? Das klingt nicht gerade prickelnd. Da kann man gleich das Telefonbuch lesen.

Das Gegenteil ist der Fall. Von der Frage der Steuergerechtigkeit über Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes bis hin zu Flüchtlings- und Grundrechtsfragen geht es beim EU-Vertrag um den Kern dessen, was Europa ausmacht. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat die Diskussion nun angestoßen – und postwendend Kritik geerntet. Grünen-Chef Werner Kogler sieht den Vorstoß eher als „Wahlkampfgag“, denn als „ernst gemeinten Reformwillen“, gesteht aber ein: „Jede pro-europäische Partei ist sich bewusst, dass nach dem Brexit eine Reform des EU-Vertrages notwendig ist.“

Tatsächlich lehnt nur die FPÖ das Vorhaben ab: „Ein neuer EU-Vertrag würde möglicherweise die Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips und noch mehr EU-Zentralismus bedeuten“, sagt FPÖ-EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky.

Worum geht es? Der KURIER hat mit dem Innsbrucker EU-Rechtsexperten Walter Obwexer die Vorschläge des Kanzlers analysiert.

- Schwächen des EU-VertragsKlar sei, dass der jetzt gültige „Lissabon-Vertrag“ lange vor der Banken-, Wirtschafts- oder Migrationskrise entstanden sei, sagt Obwexer. „Heute haben wir neue Herausforderungen, etwa beim Klimaschutz oder bei Angriffen auf den Rechtsstaat.“

- SanktionsmöglichkeitViele strittige Fragen wären bereits jetzt klar geregelt, auch Sanktionen. Das scheitere aber meist daran, dass nicht ausreichend viele Staaten Sanktionen gegenüber befreundeten EU-Ländern auch zustimmen, erklärt der Experte.

- Defizit-SünderDie Maastricht-Regeln geben jetzt schon die Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen. „Das Problem ist, dass die Regeln nicht sehr eng formuliert sind und Ausnahmen bestehen“, erklärt Obwexer. „Da sollte man vom Prinzip der ‚qualifizierten Mehrheit‘ abkommen.“ Diese EU-Regel besagt, dass mindestens 16 von 28 EU-Staaten, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, zustimmen müssen.

- Grundrechtsverletzungen

Artikel 7 des EU-Vertrags gibt die Möglichkeit, einzelne Staaten bei schweren Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zu sanktionieren, erklärt Obwexer. Alle Staaten – außer dem betroffenen – müssten zustimmen. Tatsächlich haben aber die Polen dagegen gestimmt, Ungarn zu sanktionieren – aus Sorge, als nächstes Land wegen der eigenen Verstöße sanktioniert zu werden.

- FlüchtlingspolitikKurz will Staaten sanktionieren, die Flüchtlinge „einfach durchwinken“. „Das wäre notwendig, wird aber nicht einfach“, glaubt der Experte. „Dafür müsste man grundsätzlich die Regeln ändern, weil ja nicht sein kann, dass Spanien, Italien und Griechenland mit den Flüchtlingen allein gelassen werden.“

- Einstimmigkeit Bei großen Themen wie der Finanztransaktionssteuer oder Maßnahmen gegen Steuerwettbewerb sollte die Einstimmigkeit fallen, findet Obwexer. Stattdessen sollten qualifizierte Mehrheiten gelten oder bei klaren Regelverstößen gleich eine „umgekehrte qualifizierte Mehrheit“: Der Vorschlag der EU-Kommission gilt als angenommen, es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten stimmt dagegen“, sagt der Experte.

- Weniger EU-Kommissare„Das steht schon im Vertrag, Irland ist aber dagegen. Das ginge auch nur, wenn große und kleine Staaten gleich oft auf eine Nominierung verzichten müssten.“

- Sitz des EU-ParlamentsDerzeit gibt es zwei Sitze: in Straßburg und Brüssel. Regelmäßig findet ein teurer Wanderzirkus statt. „Es wäre klüger, auf Straßburg zu verzichten. Das ginge aber nur, wenn man Frankreich einen Kompromiss anbietet, es braucht ja Einstimmigkeit. Das ist nicht geschehen.“

- Vertragsänderung„Es hat fast sieben Jahre gedauert, bis der jetzt geltende Vertrag von Lissabon 2009 in Kraft treten konnte“, gibt Obwexer zu bedenken, da jedenfalls alle Regierungen und deren Parlamente zustimmen müssten. „In Irland ist außerdem eine Volksabstimmung zwingend vorgesehen.“

Warum Kurz das Thema nicht schon während Österreichs Ratspräsidentschaft eingebracht hat? „Da waren wir mit dem Brexit beschäftigt. Wir wollen das nach der EU-Wahl im Zuge der Neuaufstellung der EU-Institutionen umsetzen“, sagt ein Kurz-Sprecher. Beim EU-Gipfel diesen Donnerstag im rumänischen Sibiu sei das Thema bereits auf der Agenda. Gipfelthema: „Zukunft Europa“.

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