Warum wir an die Grenze gehen

Warum wir an die Grenze gehen
Geld, Abenteuer, Ehre für das Vaterland - drei Gefreite erzählen, warum sie an die Grenze wollen.

Der Stellung bewusst, treu der Pflicht, wachsam und gerüstet. In dicken schwarzen Lettern thront der Schriftzug wie ein Mahnmal über den Köpfen der jungen Soldaten. Grelles Neonröhrenlicht fällt von der Decke und spiegelt sich in den lacküberzogenen Tischplatten der Cafeteria. Es ist kurz vor acht Uhr morgens, doch der Tag will nicht richtig erwachen. Vor dem Eingang sammelt sich seit Stunden der Regen in Lacken, dicke Wolken hängen über der Landwehr-Kaserne in St. Michael in der Obersteiermark.

Eine Überraschung für alle

Das mit den Grundwehrdienern, sagt Markus Wilfinger, hätte sie alle überrascht. Wilfinger ist Hauptmann, für das Personalmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit in der Kaserne St. Michael zuständig, und mit der Überraschung meint er jene Zahlen, die das Verteidigungsministerium vergangene Woche veröffentlichte: 74 der rund zweihundert Grundwehrdiener in St. Michael, sehnen nicht, wie es die Kommandanten gewohnt sind, den Tag ihrer Abrüstung herbei. Ganz im Gegenteil: Sie wollen nicht. Sie wollen beim Heer bleiben - für mindestens zwei weitere Monate. Die jungen Soldaten wollen an die Grenze. Mehr als ein Drittel hat sich freiwillig für die Assistenzkompanie des Jägerbataillons 18 gemeldet, um am 1. März das Jägerbataillon 17 an der steirisch-slowenischen Grenze abzulösen. Warum bloß?

Warum wir an die Grenze gehen

Rund um den Stammtisch in der Cafeteria der Kaserne sitzen Artjom , Jonas und Johannes, wache Bubengesichter, straffe Uniformen, neunzehn Jahre jung. Sie gehören zu jenen 74 Rekruten und erzählen an diesem Morgen, warum sie sich für den Grenzeinsatz entschieden haben. "Na ja", sagt Artjom zuallererst und grinst. "Es ist ja kein Geheimnis, dass wir kein schlechtes Gehalt bekommen." Das stimmt: Die Milizgefreiten erhalten für Inlandseinsätze eine Zulage von 1.180 Euro und kommen somit monatlich auf einen Nettolohn von 2.770 Euro. Außerdem möchte Artjom im Herbst ein Studium beginnen, und das biete sich gut an, sagt er, um die Zeit bis dahin zu überbrücken. Das sind die praktischen Gründe. Aber es gibt noch andere, bedeutendere.

Geld ist nicht alles

"Sicher, für wen ist Geld kein Thema?", sagt Johannes. "Aber für mich ist das zweitrangig, echt." Jonas neben ihm nickt zustimmend. "Ich sehe das als Chance, als Lebenserfahrung", er könne eine Ausbildung erleben, die nicht alltäglich sei. "Es ist eine Herausforderung", sagt Artjom. "Dort sind sicher Menschen, die emotional geladen sind, und das muss man eben richtig managen können." Artjom sagt oft Sätze wie diesen. Er ist der Stratege in der Runde, antwortet stets überlegt. Nach vier Monaten beim Heer klingt der Neunzehnjährige wie ein langgedienter Soldat. Da werden "emotional geladene Menschen" zu Situationen, die man "managen" muss, es geht um "Maßnahmen zur Deeskalation" oder um "psychologisches Rüstzeug", das man für den Einsatz braucht.

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Die Vorbereitung

Seit einer Woche bereiten sich die Grundwehrdiener gemeinsam mit den Berufssoldaten auf den Einsatz vor, insgesamt dauert die Ausbildung lediglich zwei Wochen. Was sie umfasst, bestimmt die Landespolizeidirektion Steiermark. Das Innenministerium fordert die Hilfe der Soldaten an, die Polizei leitet den Einsatz, erlässt Vorschriften, bestimmt, wer an der Grenze was darf. Das Heer hingegen leistet bloß Assistenz.

Im Ausbildungskatalog steht etwa, dass die Milizsoldaten auf die psychische Belastung vorbereitet werden müssen, sie lernen, wie sie sich bei der Überwachung des Grenzbereiches verhalten sollen, bei Demonstrationen und Ausschreitungen oder überhaupt gegenüber Menschen aus fremden Kulturen. Während Artjom, Jonas und Johannes in der Cafeteria sitzen, stehen die restlichen Rekruten im Gang im Gebäude gegenüber und versuchen, eine menschengroße Puppe zu beleben. Der Erste-Hilfe-Kurs wird aufgefrischt, sie lernen, wie sie sich selbst und ihren Kameraden helfen können, werden über die rechtliche Lage aufgeklärt – wie führt man Festnahmen und Wegweisungen richtig durch? Später an diesem Tag erfahren Artjom, Johannes und Jonas, wie man Personenkontrollen richtig durchführt. "Also die Crowd Control", sagt Artjom.

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"Es ist extrem spannend"

"Ich glaube, was man von der Zeit an der Grenze mitnehmen kann, ist sicheres Auftreten", sagt Artjom. Und Ängste gibt es gar keine? "Nein, es ist eigentlich extrem spannend", sagt Jonas. Wenn die drei jungen Männer über die kommenden Monate an der steirisch-slowenischen Grenze sprechen, erwähnen sie kein einziges Mal die Worte "Flüchtling" oder "Asyl". Es klingt nicht so, als müssten sie dort einen Dienst verrichten. Oder als würde es um Entscheidung gehen, die Menschenleben beeinflussen werden. Es hört sich viel mehr so an, als stünden sie vor dem Abenteuer ihres Lebens. "Wir waren ja noch nicht dort", sagt Johannes, "wir wissen nicht, wie das dort ist. Es ist die Ungewissheit, die es aufregend macht." Außerdem sei es bisher auch relativ ruhig gewesen, die Soldaten vor Ort würden ihnen regelmäßig berichten, sagt Jonas, also gebe es keinen Grund zur Sorge. Vor den Fremden hätten sie sowieso keine Angst, sagt Artjom, "sonst würde man sich ja gar nicht zum Einsatz melden." Außerdem würden viele Menschen kommen, sagt Johannes, die wirklich Hilfe brauchen, "auch andere, klar, aber die, die wirklich Hilfe brauchen, denen möchte ich helfen."

Keine politischen Aussagen

Auf die Frage, was sie generell vom Grenzmanagement in Spielfeld halten, antwortet keiner der drei – sondern Markus Wilfinger. Er wollte mit am Tisch sitzen, "weil die jungen Burschen nicht mediengeschult sind." Und über das Grenzmanagement könnten sie sowieso nichts sagen, "weil das neunzehnjährige Burschen sind", sagt Wilfinger. "Außerdem trifft das Innenministerium die Entscheidungen, das Bundesheer erfüllt die Aufträge." Da gebe es keine Diskussion. "Sie sollen das auch gar nicht beurteilen." Und die drei neunzehnjährigen Burschen bleiben stumm und nicken.

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"Wen macht das nicht stolz?"

Überhaupt, sagen die Drei am Ende, sei das alles eine Ehre. "Wen macht es nicht stolz, einen Dienst am Vaterland zu leisten?", fragt Johannes. "Das ist auch der Grund, warum man einen Grundwehrdienst und keinen Zivildienst macht." Jonas sieht das genauso. Er überlege sogar, den Dienst nach den sechzig Tagen zu verlängern. "Man bekommt ja auch mit, dass das keine Kleinigkeit ist, alle Verwandten reden darüber, alle interessieren sich für das Thema, da passiert etwas Wichtiges, und wir", sagt er, "wir können da dabei sein." Und rund um den Tisch funkeln sechs junge Männeraugen.

Das Heer und seine Bedeutung

Für 1200 Personen wurde die Kaserne in St. Michael erbaut, erzählt Wilfinger, während er durch die Anlage führt, heute bewohnen nur noch rund halb so viele die Gebäude. Der gelbe Anstrich an den Außenwänden ist über die Jahre ausgebleicht, der Lack an den eisernen Stufengeländern hat schon lange seinen Glanz verloren. Die abgewohnten Zimmer, die Risse, die sich durch die Badfliesen ziehen, die abgeschlagenen Bettkanten – es sind die Sinnbilder eines Bedeutungsverlustes. Das österreichische Heer ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weniger wichtig geworden, für die Republik und in der Wahrnehmung der Menschen.

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Doch dann kam der Spätsommer 2015. Dann überquerten täglich tausende Menschen Österreichs Grenzen, dann rückten die Kompanien des Bundesheeres aus, um die Polizei an den Bahnhöfen, in Nickelsdorf, in Salzburg und Spielfeld zu unterstützen. Seit die Flüchtenden ankommen, kommen plötzlich auch Österreicher auf die Soldaten zu. Sie kommen, weil sie sich bedanken, ihnen die Hände reichen wollen, so, wie es die Berufssoldaten sonst nur im Kosovo oder im Tschad bei ihren Auslandseinsätzen erleben. Täglich rufen nun Leute von der Presse bei Markus Wilfinger an, plötzlich interessieren sich die Menschen wieder für das Heer, und Markus Wilfinger freut das. Werbung für das Bundesheer zu machen, ist Teil seines Jobs, wenn Wilfinger aber über das Militär spricht, über seine Bedeutung und Aufgaben, über die Kaserne, über die jungen Rekruten und den Wehrdienst, dann klingt das nicht wie Arbeit. Es klingt wie eine dieser Geschichten, die von den großen Themen im Leben erzählen, von Treue, Ehre, Sieg und Niederlage, von Freundschaft und Liebe. Und irgendwie wirkt es so, als sei dieser Grenzeinsatz ein Gewinn für das Heer. An der ersehnten Bedeutung nämlich.

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