Warum die heutige Angelobung für Van der Bellen etwas Besonderes ist
In der Hofburg kursiert ein treffendes Bonmot: In seiner kurzen Amtszeit habe Alexander Van der Bellen bereits mehr erlebt als andere Bundespräsidenten in vollen zwölf Jahren.
Tatsächlich feiert Van der Bellen den Halbzeittag als Bundespräsident erst in drei Wochen am 26. Jänner – und gelobt am heutigen Dienstag bereits seine fünfte Bundesregierung an.
Und dennoch wird die heutige Zeremonie kein Akt der Routine sein.
In überparteilicher Ausübung seines Amtes darf sich Van der Bellen zwar nichts anmerken lassen – aber die Angelobung von Türkis-Grün ist für ihn persönlich ein ganz besonderer Moment.
Das hängt mit Van der Bellens Geschichte als Politiker zusammen. Der Ökonomieprofessor war elf Jahre Bundessprecher der Grünen (1997 bis 2008) und neun Jahre (1999 bis 2008) Klubobmann seiner Partei im Parlament gewesen.
2003 gescheitert
In dieser Zeit als Parteichef hatte auch er mit der ÖVP über eine Koalition verhandelt. 2003 ist er selbst vom Verhandlungstisch mit Wolfgang Schüssel aufgestanden, weil die ÖVP den Grünen nicht weit genug entgegen kam. Dennoch dachte Van der Bellen an Schwarz-Grün noch Jahre später als versäumte Gelegenheit zurück.
Bei den aktuellen Verhandlungen riet er Werner Kogler, ja nicht aufzustehen, sondern gegebenenfalls die ÖVP zum Verlassen des Tisches zu zwingen.
Grüner Politik-Verzicht
2016 kandidierte Van der Bellen für die Hofburg zwar als unabhängiger Kandidat, aber mit Unterstützung der Grünen. Aufgrund der Wahlpannen dauerte dieser Wahlkampf extra-lang. Die Grünen verzichteten in diesen zehn Monaten auf kantige Parteipolitik, um ihrem Präsidentschaftskandidaten nicht zu schaden. Auch diese Polit-Abstinenz sollte dazu beitragen, dass die Grünen wenig später von der Abspalter-Liste Pilz so leicht aus dem Parlament zu kippen waren.
Grüne brachten Opfer
Die Grünen waren Van der Bellen deswegen nie gram, im Gegenteil, sie waren froh, einen Blauen an der Staatsspitze verhindert zu haben. Aber Faktum ist dennoch, dass die Grünen Opfer brachten – politische und auch finanzielle. Von den 7,9 Millionen Wahlkampfausgaben steuerten 4,8 Millionen die Grünen bei.
Kreise schließen sich
Aus dieser Geschichte heraus schließen sich für Van der Bellen nun die Kreise.
Er gelobt eine ÖVP-Grün-Koalition an, die ihm selbst vor siebzehn Jahren nicht gelungen ist.
Und seine Ex-Partei, die, nachdem sie ihm in die Hofburg geholfen hatte, an der Parlamentshürde zerschellte, feiert nun den Triumph ihrer ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene.
Mit seinem präsidenziellen Segen.
Wendepunkt
Nicht nur für den Ex-Grün-Politiker, auch für den Bundespräsidenten Van der Bellen markiert die Angelobung von Türkis-Grün einen Wendepunkt. Als überparteiliches Staatsoberhaupt hat Van der Bellen 2017 die freiheitliche Regierungsbeteiligung zwar wohl oder übel akzeptiert. Aber Anlass zur Freude war ihm diese Koalition nicht.
Ein paar Dinge hat Van der Bellen verhindert. Er hat Johann Gudenus, den zweiten Video-Star von Ibiza, in nahezu prophetischer Vorausschau als Minister ausgeschlossen. Er hat darauf gedrängt, dass das Justizministerium nicht an die Blauen geht. Herbert Kickl als Innenminister verhinderte er jedoch nicht, wie er überhaupt zuließ, dass beide Sicherheitsapparate, Polizei und Heer, unter FPÖ-Ministerschaft gerieten.
Immer wieder meldete Van der Bellen sich korrigierend zu Wort, um die eine oder andere blaue Eskapade zu tadeln.
Anders als Klestil
Anders als sein Vorvorgänger Thomas Klestil legte sich Van der Bellen nicht mit der gesamten Bundesregierung an, sondern kooperierte eng mit dem Kanzler. Während Klestil und der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel miteinander spinnefeind waren, nahm Van der Bellen Sebastian Kurz unter seine väterlich-professoralen Fittiche. Davon profitiert auch VdB: im Gegensatz zu Klestil schlitterte er nicht in innenpolitische Isolation.
Van der Bellens bisher größte Stunde schlug in der politischen Krise nach Ibiza. „So sind wir nicht. So ist Österreich nicht“: Mit dieser Botschaft verteidigte der Bundespräsident den Ruf des Landes, als das peinliche Video rund um den Globus Schlagzeilen machte.
Krisenmanager
„Wir kriegen das schon hin“, ist der zweite VdB-Schlüsselsatz aus diesem bemerkenswerten Sommer 2019. Van der Bellen beruhigte damit die unübersichtliche Situation nach dem Rücktritt der blauen Ministerriege und der parlamentarischen Abwahl der Übergangsregierung Kurz’.
Die Regierungswechsel im Stakkato brachte er verfassungsrechtlich sauber über die Bühne.
Wenig eingemischt
In die aktuellen Koalitionsverhandlungen hat sich Van der Bellen wenig eingemischt, sagen Teilnehmer. Es war vermutlich auch nicht nötig, denn seine zwei wichtigsten Anliegen wusste der Bundespräsident in Anbetracht der handelnden Personen ohnehin gewahrt: eine pro-europäische Grundrichtung und den Kampf gegen den Klimawandel als zentrales Projekt.
Diese ganze Vorgeschichte wird an diesem 7. Jänner in der Präsidentschaftskanzlei mitschwingen, wenn Van der Bellen, mit amtlicher Miene, dem türkis-grünen Team das Gelöbnis abnimmt.
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