Warum die Bahn nicht in Fahrt kommt

Nächstes Wochenende nach Paris? Mit der Bahn oder mit dem Flugzeug?
Eine schnelle Internetsuche zeigt: Bei den ÖBB werden als bester Preis für zwei Personen am kommenden Freitag 365 Euro angezeigt. „Ticket gilt nur bis Stuttgart“, sagt die Website. Wie man zu zwei Tickets im weiterführenden TGV von Stuttgart nach Paris kommt? Was diese kosten? Es bleibt offen. Die Zugreise würde etwa 12 Stunden in Anspruch nehmen, dreimal Umsteigen inklusive.
Gegencheck bei einer Flugreise-Plattform: 525,94 Euro, mit einem Koffer 631,84 Euro. Reisedauer: zwei Stunden; zuzüglich An- und Abreise zum Flughafen.

Sommerzeit ist Reisezeit
Große Flugangst, die selbstauferlegte Maxime eines klimaschonenden Lebenswandels – oder auch Faszination für die Eisenbahn: Natürlich gibt es triftige Gründe, um im Sommer die Bahn als Verkehrsmittel auszusuchen.
Die für viele Urlauber nicht ganz irrelevanten Faktoren Geld und Zeit gehören aber auch im Sommer 2025 definitiv nicht dazu. Viele der politischen Sonntagsreden aus Wien, Berlin oder Brüssel, die Bahnfahren im Lichte des Green Deal (die EU will bis 2050 klimaneutral sein, Anm.) als Lösung propagieren, klingen da wie Hohn.

Wobei man der Bahn – in diesem Fall auch den Österreichischen Bundesbahnen – zugestehen muss, dass sie sich vielfach bemühen. Immer wieder weisen sie auf Regelungen und Gesetze hin, die Europas Bahnen die Kundenfreundlichkeit erschweren. Ein paar Beispiele:
Tickets
Europas Bahnverkehr leidet bis heute an einer historisch gewachsenen technischen Zersplitterung. Die ÖBB versprechen ab Ende des Jahres, die Buchungsdaten mit Deutschland und Italien zu synchronisieren, damit man künftig nicht nur ein Ticket nach Rom, sondern dazu auch gleich ein Ticket von Rom nach Neapel einen Tag später buchen kann. Die Ticketkosten sind nie fix, sondern orientieren sich „dynamisch“ wie beim Fliegen nach Angebot und Nachfrage. Die ÖBB schalten Züge sechs Monate vorher zur Buchung frei, beim Flugzeug sind es 12 Monate. Und manche EU-Staaten, Frankreich etwa, lassen eine Buchung erst drei Monate vor Abfahrt zu.
Kosten
Warum das Bahnticket nicht nur schwieriger zu bekommen, sondern auch teurer ist, liegt an unseren Gesetzen: Das Flugzeug ist steuerlich deutlich bessergestellt. In der EU ist Kerosin für internationale Flüge von der Energiesteuer befreit, die CO2Steuer wird bei Kerosin ebenso nicht eingehoben. Das Flugticket ist von der Mehrwertsteuer befreit, statt dessen gibt es eine Flugabgabe, die beläuft sich auf 17,50 Euro für Langstreckenflüge, wer weniger als 350 km weit fliegt, muss 30 Euro zahlen (Auch Graz und Klagenfurt werden aus Wien noch immer angeflogen).
Auf der anderen Seite muss die Bahn immerhin nicht mehr auf den in den eigenen Wasserkraftwerken erzeugten Strom eine Abgabe zahlen, kauft sie welchen dazu, dann schon. Die Zugtickets unterliegen ganz normal der Mehrwertsteuer. Unterm Strich ist also nicht verwunderlich, warum Zugfahren teurer ist.
Europas Bahnsystem
Die EU-Verkehrskommissare der vergangenen Jahrzehnte, so heißt es bei der Bahn, waren die längst Zeit nur Freunde der Frächter-Lobby, für den Zug habe sich nie jemand ernsthaft interessiert. Und genau so sieht es heute aus: Europa hat keine Vereinheitlichung beim Ticketing, aber auch nicht bei den Zugsicherungssystemen. Der Zugsführer muss auch nur bei der Durchfahrt durch ein Land die jeweilige Sprache auf Niveau B1 beherrschen, was meistens dazu führt, dass das Personal an der Grenze getauscht werden muss. Zudem gibt es in Europa unterschiedliche Bahnstromsysteme, also muss an der Grenze meistens nicht nur der Lokführer, sondern gleich auch die Lok getauscht werden.
Wer ein Auto in einem EU-Land zulässt, darf überall fahren. Bei Loks und Waggons gilt das nicht, die Bahnen brauchen in jedem Land eine eigene Zulassung. Das kann, wie die ÖBB schmerzlich einsehen musste, zu langen Verzögerungen führen: So dauerte die Zulassung eines Nightjets für Italien wegen einer Brandschutzregel über einen Duschvorhang rund zwei Jahre.
Nachtzug
Die ÖBB ist inzwischen Europas Königin der Nachtzüge. Das klappt mal besser, mal schlechter (siehe Reportage unten). Doch auch hier macht die Praxis Probleme. Denn Metropolen wie Paris oder Brüssel haben frühmorgens einfach keine freien Schienen für neue Züge, was eine Ankunft erst am späteren Vormittag erzwingt, somit aber das eigentliche Ziel verfehlt.
Infrastruktur
Vor allem Deutschland – als wichtigstes Transitland in der EU – versucht, die marode Infrastruktur wieder zu sanieren. 2023 waren dort nur 62 Prozent der Fernzüge pünktlich. Grundsätzlich wird aber von allen Staaten wieder massiv in die Bahn investiert, wenn auch, wie in Österreich, jetzt langsamer als ursprünglich geplant.
Ein Beispiel sind die Tunnelprojekte. Die Koralmbahn sollte noch heuer freigegeben werden, der Semmeringtunnel sollte ab 2030 befahrbar sein und der 64 km lange Brenner-Basistunnel ab 2032. Es ist aber unwahrscheinlich, dass bis dahin Italien oder Deutschland ihre Zubringerstrecken fertiggestellt haben.
Hochgeschwindigkeitsnetz
China hat in knapp zehn Jahren ein Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsnetz mit einer Länge von 50.000 km gebaut. In Europa haben Frankreich (TGV), Spanien (AVE), Deutschland (ICE) oder Italien (Frecciarossa) Züge, die teils deutlich über 250 km/h fahren können. Österreich hat nach dieser Definition und letztlich aus geografischen Gründen keinen Hochgeschwindigkeitsverkehr, der Railjet schafft aber immerhin 230 km/h.
Ausblick
Österreich ist in der EU Bahnland Nummer 1. Das sagt vor allem viel über die anderen 26 EU-Staaten. Innerösterreichisch ist das Angebot und die Frequenz der Bahn zweifellos gut. Aber wie soll Europa gegen Autos und Flugzeuge so bis 2050 eigentlich die Verkehrswende schaffen?
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