Warum Bildungsreformen immer stecken bleiben

Warum Bildungsreformen immer stecken bleiben
Buchautor Andreas Salcher bilanziert: In den kurzen Amtszeiten der Bildungsminister könne System nicht umgekrempelt werden

KURIER: Herr Salcher, Sie waren bei den Koalitionsverhandlungen als Experte am Bord. Die Regierung ist aber nach 17 Monaten geplatzt. Wie beurteilen Sie die Bilanz von Bildungsminister Heinz Faßmann? Andreas Salcher: Ich würde sagen: Die Pflicht ist erfüllt, Reformen bitte warten. Die Kür fehlte. Dazu muss man sagen: Kurz nach der Regierungsbildung kamen 2018 drei Landtagswahlen, und dann folgte der EU-Vorsitz. Daher ist man die wirklichen Tabuthemen zu wenig angegangen.

Welche Tabus?

Beispielsweise die verpflichtende Lehrerausbildung oder die ganztägigen Schulformen. Von oberster Priorität wären die Kindergärten. Sie müssen auf das Niveau von Schulen gebracht werden. Die Elementar-Pädagoginnen müssen aufgewertet, besser bezahlt und akademisch ausgebildet werden. Derzeit lassen sich viele ausbilden, gehen aber nie in den Beruf oder geben nach wenigen Jahren auf. In Kanada verdienen die Kindergartenpädagoginnen genau so viel wie Lehrer an höheren Schulen.

Wie wird das finanziert ?

Im Schulsystem steckt genügend Geld, wir müssen Ressourcen umverteilen. Wir verteidigen mit Zähnen und Klauen die 25-Klassenschülerhöchstzahl auch in der Oberstufe. In den meisten AHS-Oberstufen sitzen keine 25 Schüler, sondern meistens 18. In den Kindergärten haben wir oft 21 Kinder mit einer Pädagogin und einer Hilfskraft. Wir brauchen eine faire Verteilung der Ressourcen von oben nach unten.

KURIER Talk mit Andreas Salcher

Das Tabu Leistungsbonus für Lehrer, der geplant war, wurde auch nicht angegangen…

Eine gewisse Leistungskomponente wäre gut, aber dieses Tabu ist nicht einmal andiskutiert worden. Denn das Wort Leistung löst bei gewissen Lehrerfunktionären Hyperventilationen aus, weil sie darunter immer unbezahlte Mehrarbeit verstehen. Das Lehrergehalt richtet sich derzeit ausschließlich danach, ob der Lehrer an einer höheren Schule oder an einer Pflichtschule unterrichtet und wie viele Dienstjahre er hat. Die individuelle Leistung des Lehrers spielt keine Rolle. Leistung in diesem Verständnis sollen in erster Linie die Schüler erbringen.

Heftig diskutiert wurde die Einführung der Deutschklassen. Wie sehen Sie diese?

Das war ein notwendiger Schritt. Wir haben einen enormen Zuwachs, ich glaube den größten in der gesamten EU, von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache, die zu einem großen Teil auch aus bildungsfernen Kulturen gekommen sind. Faktum ist: Es gab eine dramatische Veränderung im Schulsystem, auf die das System entweder gar nicht oder mit einem ideologischen Wunschdenken viel zu spät reagiert hat. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass das, was in den vergangenen zehn Jahren unternommen wurde, wie etwa die Neue Mittelschule oder die generelle Senkung der Klassenschülerhöchstzahl, nicht funktioniert hat. Was die Schulleistungen der Migrantenkinder betrifft, gehört Österreich innerhalb der EU und der OECD zu den schlechtesten. Mit einer klugen Politik müssen wir das ändern.

Und die Deutschklassen können dieses Manko beheben?

Ich empfehle hier einen Blick nach Kanada. Auch dort gibt es einen sehr hohen Anteil an Migranten. Durch ein ganztägiges Schulsystem, gekoppelt mit einer Vielzahl von Integrationsmaßnahmen, verlassen die Migrantenkinder die Schule teilweise mit einem gleich hohen oder besseren Englischniveau als Kinder, die in Kanada geboren wurden.

Sie waren auch an Bord für die Einführung der Digitalklassen, was ein Vorzeigeprojekt von Sebastian Kurz werden sollte. Haben sich diese im Sand verlaufen?

Das wissenschaftliche Souding Board des Bildungsministeriums hat unter enormem Zeitdruck einen exzellenten Masterplan entwickelt. Der ist auch dringend notwendig, weil wir bei der Digitalisierung im Vergleich zu vielen anderen Ländern hinten nach sind. Die Verhandlungen, wer das Geld für die Anschaffung der Geräte und die Infrastruktur der Schulen beisteuert, waren eigentlich fast beendet – dann platzte die Regierung. Dadurch verlieren wir ein ganzes Jahr. Dagegen hat Deutschland für die Digitalisierung der Schulklassen sogar das Grundgesetz geändert und 5,5 Milliarden Euro investiert.

Welche Note würden Sie Bildungsminister Heinz Faßmann geben?

Ich gebe keine Noten, aber ich würde sagen, er hat das Bestmögliche innerhalb des Systems geleistet. Wobei man ganz fairerweise sagen muss, Gabriele Heinisch-Hosek war knapp zweieinhalb Jahre Ministerin, Sonja Hammerschmid 18 Monate, detto Heinz Faßmann. Iris Rauskala wird voraussichtlich sechs Monate im Amt sein. So kann man, unabhängig von der Person, keine Organisation mit 125.000 Mitarbeitern führen.

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