Wahlkampf-Check

APA13318468-2 - 20062013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 299 KI - Die Puppen von Frank Stronach (l.), ÖVP-Chef Michael Spindelegger (Mitte) und SPÖ-Chef Werner Faymann der "BYE-BYE, ÖSTERREICH. Die Haderer-maschek.-Puppenshow" werden am Donnerstag, 20. Juni 2013, im Rahmen einer Pressekonferenz im Rabenhof-Theater in Wien präsentiert. +++ Abdruck oder Verwendung eines Ausschnittes ausschließlich bei Nennung "BYE-BYE, ÖSTERREICH. Die Haderer-maschek.-Puppenshow im Rabenhof Theater. www.rabenhof.at" gestattet +++ APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
Wie stellen sich die Parteien bisher an? Wie wird die Intensiv-Phase werden? Der KURIER fragte Korrespondenten von vier renommierten deutschen und Schweizer Zeitungen.

Wie bewerten Sie den bisherigen Wahlkampf? Was ist bis zum 29. September noch zu erwarten?

Wahlkampf-Check
Joachim Riedl / "Die Zeit", Redaktion Wien
Joachim Riedl:Bisher waren nur die üblichen Vorgeplänkel zu beobachten, bei denen es vor allem darum geht, eine möglichst gute Position für den Start in die intensive Phase des Wahlkampfes einzunehmen. Ich erwarte mir, dass bei den zentralen Themen (soziale Gerechtigkeit, Steuern, Arbeitsplätze und aus FP-Sicht Ausländer und EU) die Schärfe und die Untergriffe zunehmen werden. Möglich auch, dass die Regierungsparteien versuchen werden, sich mit Versprechungen und Wahlgeschenkenzu überbieten. Vermutlich kommt den TV-Konfrontationen der Spitzenkandidaten diesmal größere Bedeutung zu, weil die Parteien relativ eng beisammen liegen und niemand so genau weiß, wie sich der Newcomer Stronach in dieser Situation bewähren wird.
Wahlkampf-Check
Cathrin Kahlweit Foto:Alessandra Schellnegger
Cathrin Kahlweit:Bisher kannibalisieren sich die Regierungsparteien mit gegenseitigen Angriffen selbst, anstatt sich auf jene natürlichen Gegner zu konzentrieren, bei denen am ehesten Stimmen zu holen wären (BZÖ, FPÖ, Stronach). Das schaut erstens ein wenig merkwürdig aus, nachdem sie doch eine Legislaturperiode lang recht gut zusammengearbeitet hatten – und zeigt zweitens das grundsätzliche Problem von großen Koalitionen auf. Was noch zu erwarten ist? Mehr ausländerfeindlicher Wahlkampf von Strache, und mehr Geld von Stronach.
Wahlkampf-Check
Stefan Löwenstein, FAZ-Korrespondent in Wien
Stephan Löwenstein: Hat der Wahlkampf denn schon begonnen? Ich lese von Streit über das Lehrerdienstrecht oder das Ruhestandsalter von Frauen. Aber aufeinandergehauen haben die Koalitionspartner auch schon vor einem Jahr und sind trotzdem am nächsten Tag einträchtig nebeneinandergesessen. Und ich sehe Plakate, die die ruhige Hand des Kanzlers preisen, oder den sozialen Frank. In Wien plakatiert die SPÖ ohnehin unablässig, wen sie gegen was schützt. Da ist auch kein qualitativer Schritt nun zum Wahlkampf zu erkennen.
Wahlkampf-Check
Meret Baumann / NZZ-Korrespondentin in Wien
Meret Baumann: Durch die Volksbefragung zur Wehrpflicht und die Landtagswahlen dauert der Wahlkampf insgesamt schon ziemlich lange. Und er verlief mit einigen Ausnahmen – etwa die Bienen-Debatte – noch eher ruhig. Im Vordergrund standen bisher die Regierungsparteien sowie das „Team Stronach“ als neuer Akteur. Ich gehe davon aus, dass die Grünen und die Freiheitlichen in der heißen Phase des Wahlkampfs vermehrt versuchen werden, Themen zu setzen und zu mobilisieren.

Was ist das typisch Österreichische am Wahlkampf?

Joachim Riedl: Ich weiß nicht, ob man von „typisch“ sprechen kann. Ich denke, ein spezifisches Element steckt vor allem in eigenwilligen stilistischen Ausprägungen, in einer gewissen, man muss es so nennen, rhetorischen Primitivität bei einigen Wahlwerbern. Und natürlich ist das mediale Umfeld ein österreichisches Unikum: Nirgendwo in Europa dominieren Boulevardmedien derart die Auseinandersetzung, hofieren Politiker derart den journalistischen Schund.

Cathrin Kahlweit: Die SPÖ erinnert sich an ihre klassenkämpferische Zeit und geriert sich wieder als Arbeiterpartei, die ÖVP stellt plötzlich wieder verstärkt ihre Nähe zum Bauernbund und zum Wirtschaftsbund heraus –, und die FPÖ beendet ihre regelmäßigen Versuche, sich seriös zu geben und verfällt in ihre Anti-Ausländer-Reflexe. Alles auf Anfang, sozusagen.

Stephan Löwenstein*: Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die österreichischen Parteien das Merkel-Konzept von 2009 der „asymmetrischen Demobilisierung“ gemeinsam adaptieren: Sie betreiben symmetrische Demobilisierung. Ausnahme ist Frank Stronach, deshalb ist er trotz merkwürdiger Ideen und skurriler Auftritte (oder deswegen?) interessant.

Meret Baumann: Typisch scheint mir zum Beispiel, dass Parteien, die seit Jahren regieren, nun verkünden, was sie nach der Wahl alles anders machen wollen. Zudem gibt es keinen Lagerwahlkampf wie etwa in Deutschland. Über Koalitionsmöglichkeiten wird viel spekuliert, aber die Parteien wollen sich nicht festlegen, es kämpft vielmehr jeder gegen jeden. Erstaunlich ist, wie heftig sich ÖVP und SPÖ teilweise attackieren, die ja immerhin noch eine Regierung bilden – und vermutlich auch nach der Wahl wieder zusammengehen werden.

Was läuft bei Wahlauseinandersetzungen in Deutschland bzw. der Schweiz anders als hier? Was ist gleich?

Joachim Riedl: In Deutschland herrscht ein anderer Stil; und das Verhältnis zwischen Medien und Politikern ist grundsätzlich anders geartet: Es herrscht größere Distanz, und Journalisten empfinden sich nicht als Zuträger, sondern als Kontrollorgane der Politik. Und natürlich wären gewisse verbale Entgleisungen, wie sie in der Vergangenheit gang und gäbe waren, undenkbar oder hätten ernste Konsequenzen. Zusätzlich fürchten alle Parteien nichts mehr, als dass am Wahlabend das Ergebnis dem Land eine große Koalition aufzwingen könnte – das ist in Deutschland das Worst-case-Szenario, in Österreich hingegen liebe Gewohnheit.

Cathrin Kahlweit: Wahlkämpfe zeichnen sich ja immer durch eine gewisse Inhaltsarmut und viele schöne Versprechungen aus. Ähnlich ist sicherlich auch, dass die Regierung sich zuletzt nicht durch reformerischen Aktivismus ausgezeichnet hat, aber im Wahlkampf die tollsten Reformen verspricht. Die Grünen, auch das ist vergleichbar, stellen die Ökologie nicht mehr in den Mittelpunkt, weil das inzwischen jeder tut, sondern werben um ihre Wähler in der Mitte mit Transparenz und dem Ideal der finanzpolitischen Nachhaltigkeit. Was anders ist? In Deutschland werden vor der Wahl Koalitionsaussagen gemacht (wenn auch nicht immer eingehalten).

Meret Baumann: Aufgrund der Kollegialregierung stehen Personen mit wenigen Ausnahmen weniger im Vordergrund in der Schweiz. Der Wahlentscheid für eine Partei wird eher aufgrund von Positionen in einzelnen Sachfragen gefällt. Aus diesem Grund werben Parteien auch für ihre Positionen und nur vereinzelt mit Exponenten. Die direkte Demokratie macht eine Nationalratswahl auch etwas weniger wichtig, weshalb sie die mediale Öffentlichkeit weniger dominiert als hier. Ähnlich ist der im internationalen Vergleich doch gemäßigte Umgangston.

Früher war Jörg Haider österreichisches Spitzenthema in Ihrem Land. Was ist es jetzt?

Joachim Riedl: Schlimme Erinnerung. Aber wahrscheinlich noch immer einer der wenigen österreichischen Politiker, deren Name den Deutschen etwas sagt (im Unterschied zum derzeitigen Personal).

Cathrin Kahlweit: Er ist es, post mortem, immer noch. Zu vieles, was zu seinen Lebzeiten angestoßen und angerichtet wurde, wirkt nach.

Stephan Löwenstein: Am ehesten die ganzen Affären. Also immer noch Haider. Wobei das ein Bluff ist: Mit ihm lenken die anderen schön von der eigenen Verantwortung ab, es gab ja ähnliche Machenschaften bis hin zur SPÖ, wie jetzt in Kärnten herauskommt.

Meret Baumann: Das Phänomen Frank Stronach und sein Abschneiden interessieren sicherlich. Zudem wurden bei vergangenen Wahlen die Kampagnen der Freiheitlichen verfolgt und mit denjenigen der SVP verglichen. Was in den letzten Monaten mit Abstand am meisten interessiert hat, ist aber der Umgang Österreichs mit dem internationalen Druck auf das Bankgeheimnis und den Finanzplatz. Da wurde Österreich als einer der letzten Verbündeten gesehen, dessen Nachgeben die Schweiz auch zum Handeln zwingt.

Wäre ein Frank Stronach als Parteiführer in Deutschland bzw. der Schweiz denkbar?

Joachim Riedl: Nein,absolut nicht. Ein skurriler Krösus, der sich in die Politik einmischt, wäre in Deutschland eine Witzfigur und kein Hoffnungsträger. Siehe Flick-Affäre benutzen Vermögende andere Methoden, um in der Politik mitzumischen.

Cathrin Kahlweit: Es ist kaum auszuschließen, dass auch in Deutschland viele Menschen auf einen alten Herren hereinfallen würden, der mit seiner Lebensleistung und sehr simplen Parolen wirbt. Und die Aura des elder statesman zieht immer, was man an der Begeisterung für Ex-Kanzler Helmut Schmidt sieht. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass sich ein Mann eine Fraktion und einen Wahlkampf kaufen könnte. Dazu hält das deutsche Wahlrecht zu viele Schutz-Vorkehrungen bereit.

Stephan Löwenstein: In Deutschland könnte ein Milliardär nicht so in die Politik einsteigen wie Stronach. Das hängt mit der Größe des Landes zusammen, aber ich denke, auch mit der protestantischen Prägung. Barockes Gehabe und demonstratives Was-kostet-die-Welt käme da in der Politik nicht so an. Und die deutschen Milliardäre sind mehr wie die Gebrüder Albrecht als wie Stronach und Mateschitz. Öffentlich gibt es sie am liebsten nicht.

Meret Baumann: In dieser Form kaum. Stronachs Erfolg ist für mich ein Zeichen der Unzufriedenheit mit der politischen Elite. In der Schweiz äußert sich Protest mehr in Abstimmungsresultaten wie etwa dem Ja zur Minarett- oder zur Abzockerinitiative. Die Regierung und Parteien können in Abstimmungen einfach überstimmt werden, weshalb man Frust weniger einzelnen Exponenten in die Schuhe schieben kann. Im internationalen Vergleich ist die Zufriedenheit der Schweizer mit ihren Politikern zudem hoch. Dazu kommt, dass schon allein aufgrund der verschiedenen Sprachregionen eine derart auf eine Person zugeschnittene Partei Mühe hätte.

Wie wird die Wahl ausgehen? Und welche Parteien werden hernach koalieren?

Joachim Riedl: Aus heutiger Sicht fürchte ich, die Regierungskoalition könnte ihre Mehrheit ganz knapp über die Ziellinie bringen. Im Endeffekt ändern sich ein paar Minister, die bestehende Konstellation bleibt erhalten. Leider. Ich hoffe, ich irre mich.

Cathrin Kahlweit: SPÖ und ÖVP werden Partner bleiben, die Vergiftungserscheinungen der vergangenen Monate auskurieren und weitermachen wie bisher. Das BZÖ wird die Vier-Prozent-Hürde nur schwer überwinden, Straches FPÖ wird mehr zulegen, als es die Wahlforscher derzeit vorhersagen. Und Stronach? Wenn er Diskussionsrunden und Interviews im Fernsehen meidet, wo er ja gelegentlich eher seltsame Eindrücke hinterlässt, dann könnte er bis zu zehn Prozent schaffen. Aber es kann auch anders ausgehen, wie 2000 zu beobachten war. Der damalige Schock hat bei vielen meiner österreichischen Bekannten ein Trauma hinterlassen, sie trauen vor einer Wahl daher keinen Vorhersagen oder Versprechungen mehr.

Stephan Löwenstein: Wie die Wahl ausgeht, das überlasse ich den Österreichern. Danach: Für neue, kühne Koalitionen sehe ich nicht so recht das Personal, das diesen Wurf wagen würde. Es sei denn, die Umstände zwängen es dazu.

Meret Baumann: Ich fürchte, dass es aus journalistischer Sicht nicht sehr spannend wird nach der Wahl. Die SPÖ und die ÖVP werden nochmals etwas verlieren, aber knapp über 50 Prozent kommen. Zulegen werden die Grünen, während die Freiheitlichen höchstens stagnieren werden. Stronach wird problemlos einziehen, aber nicht auf 10 Prozent kommen. Das BZÖ geht im Wahlkampf schon ziemlich unter – und wird wohl an der Vier-Prozent-Hürde scheitern. Insofern bleibt alles, wie es ist, viele der Abgeordneten Stronachs sind ja ohnehin aus dem BZÖ. Es kommt wieder zur großen Koalition, die wiederum die SPÖ anführen wird.

*S. Löwenstein hat Frage 2&3 in einem beantwortet

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