Von der Liste ins Hohe Haus: Wie wird man Abgeordneter?

Wer bekommt die 183 Mandate im Nationalrat?
Die Listenerstellungen für die Wahl sind vor allem eines: hochkomplex. Der KURIER erklärt, wie die Mandate vergeben werden.

Verkehrsminister Jörg Leichtfried und Langzeit-Mandatar Josef Cap haben eines gemeinsam: Sie scheinen beide auf unwählbaren Plätzen der SPÖ-Liste für die Nationalratswahl zu stehen. Der Unterschied ist: Leichtfried wird ins Hohe Haus kommen, für Cap hingegen wird es schwierig. Der Grund ist ein komplexes System aus Bundes-, Landes- und Regionallisten. Ein Überblick, wie Abgeordnete in den Nationalrat einziehen.

Wie werden die Mandate grundsätzlich verteilt?

Am Anfang steht die Liste: Die Parteien legen intern – manche mehr, manche weniger transparent – fest, wer auf die Regional-, Landes- und Bundeslisten kommt. Nach der Wahl werden dann zuerst die Mandate über die Regionalwahlkreise vergeben. Erreicht eine Partei dort die sogenannte Landeswahlzahl (dafür werden die abgegebenen Stimmen im Land durch das jeweilige Mandatskontingent dividiert), erhält sie in diesem Wahlkreis eines oder mehrere Mandate. Im zweiten Ermittlungsverfahren, erklärt Wahlexperte Klaus Poier von der Uni Graz, „wird das Kontingent je nach Stärke der Partei aufgeteilt. Von dieser Zahl werden dann jene Parlamentssitze, die bereits über Regionalwahlkreise des Landes vergeben wurden, abgezogen “. Die übrigen Mandate werden über die Landeslisten vergeben. Im dritten Ermittlungsverfahren wird laut Poier errechnet, wie viele der 183 Mandate einer Partei aufgrund des Bundesergebnisses zustehen. Davon zieht man wiederum die bereits vergebenen Landes- und Regionalmandate ab. In diesem dritten Ermittlungsverfahren entscheiden dann die Bundesliste der Parteien darüber, wer die letzten Plätze im Hohen Haus bekommt. Sprich: Aufgeteilt wird von der kleinsten bis zur größten Verwaltungseinheit. Ein Beispiel: Erhält eine Partei 50 Mandate und davon sind 45 über Regional- und Landesmandate vergeben, ziehen fünf Abgeordnete über die Bundesliste ein.

Warum sind Kandidaten auf mehreren Listen?

Um sich abzusichern. Leichtfried zum Beispiel ist Listenerster in der Steiermark, deshalb zieht er trotz Platz 23 auf der Bundesliste in den Nationalrat ein. Cap hingegen liegt im Regionalwahlkreis Wien-Nord-West nur auf Platz zwei, dort wird es für die SPÖ aber nur ein Mandat geben. In der Regel wird das Regional- vor dem Landes- und Bundesmandat angenommen. Damit rücken auf den anderen Listen wiederum Leute nach. Auch nachgerückt wird, wenn neue Minister ihr Amt während der Legislaturperiode antreten und daher das Parlament verlassen.

Wie wichtig sind Vorzugsstimmen?

Der Wähler kann mit der Stimmabgabe durchaus noch die Listenreihung der Partei durcheinanderbringen: Erhalten Kandidaten eine bestimmte Anzahl an Vorzugsstimmen – regional sind es 14 Prozent der Parteistimmen, im Land zehn und im Bund sieben – rücken sie an die Spitze der Liste. „In der Praxis geschieht dies selten, am ehesten noch in den Regionalwahlkreisen“, sagt Parlamentsexperte Werner Zögernitz. Die ÖVP hat daher die Hürden am Wahlrecht vorbei gesenkt (siehe unten). Zudem sind Vorzugsstimmen regional leichter zu sammeln, weil der Kandidat lediglich angekreuzt (und nicht hingeschrieben) werden muss.

Über welche Listen ziehen die meisten Mandatare ein?

Über Regionalwahlkreise. Der kleinste Teil der Abgeordneten zieht über die Bundesliste ein. Kleinparteien ziehen vorrangig über Bundes- und Landesliste ein, weil sie, so Poier, „in Regionalwahlkreisen meist keine Chance haben“.

Bei der SPÖ müssen die Mandatare so genannte Blanko-Verzichtserklärungen unterzeichnen. So hat die Parteiführung ein Druckmittel gegen die an sich ja freien Mandatare in der Hand und damit mehr Spielraum, um beispielsweise Quoten einzuhalten oder sonstige Vorrückungen zu vollziehen. Dies geschieht laut SPÖ-Zentrale vor allem, um „bürokratische Abläufe zu vereinfachen“. Rechtlich bindend sind die Verzichtserklärungen nicht: Sie werden zudem „freiwillig“ unterzeichnet, heißt es.

Die ÖVP hat die gesetzlichen Hürden für Vorzugsstimmen massiv gesenkt: So rückt man im Regionalwahlkreis beispielsweise vor, wenn man nur sieben (statt 14) Prozent der Parteistimmen in Form von Vorzugsstimmen erhält. Um dies zu garantieren, unterzeichnen ÖVP-Kandidaten ein rechtlich nicht verbindliches Schreiben, mit dem sie erklären, gegebenenfalls auf ein Mandat zu verzichten. In Niederösterreich wurde die Hürde ganz abgeschafft, in der Steiermark auf sechs Prozent abgesenkt.

Die Oppositionsparteien verzichten weitestgehend auf interne Sonderregeln zusätzlich zum geltenden Wahlrecht für den Einzug ihrer Abgeordneten in den Nationalrat. FPÖ, Grüne und Neos halten sich laut eigenen Angaben an die gesetzlichen Hürden für das Vorrücken auf einer Liste via Vorzugsstimmen. Zudem lassen sie ihre Abgeordneten keinerlei Verzichtserklärungen unterschreiben. Die Adaptionen sind allenfalls geringfügiger Natur: So haben sich etwa die Neos in ihrem Bundesvorstand darauf verständigt, immer erst das Landes- vor einem Bundesmandat anzunehmen.

Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak übt unterdessen scharfe Kritik am internen Kodex der ÖVP, der die Vorzugsstimmen aufwertet: „Das widerspricht dem Prinzip des freien Mandats“, sagt er. Auch Peter Pilz kündigt an, „keinerlei Zusatzregeln“ festlegen zu wollen: „Das Wahlrecht“, so der Parteigründer, „ist unser einziger Maßstab“. Verzichtserklärungen hält Pilz gar für „daneben“.

Der Politologe und Universitätsprofessor Peter Filzmaier analysiert das österreichische Listensystem.

Von der Liste ins Hohe Haus: Wie wird man Abgeordneter?
Politologe Peter Filzmaier. Er sagt, dass Frauen mehrheitlich nicht links wählen.

KURIER: Herr Professor, für viele sind die Wahllisten rätselhaft. Stimmt der Eindruck?

Peter Filzmaier: Die Listenerstellung ist wenig transparent. Das liegt auch an einem komplizierten Wahlrecht. Man will eine regional ausgewogene Verteilung der Abgeordneten. Deswegen gibt es Wahlkreise und Direktmandate, Mandate über Landeslisten und Bundeslisten. Die Idee ist gut argumentierbar, ich finde sie richtig. Würde man reinen Personenwahlkampf in einem Gesamtwahlkreis Österreich führen, hätte der Wiener immer größere Chancen als der Südburgenländer, mehr Vorzugsstimmen zu bekommen.

Eine Person kann auf mehreren Listen kandidieren. Absurd?

Die Person kann aber nur ein Mandat annehmen. Das führt zu Abtauschgeschäften innerhalb der Parteien.

Wie auf einem Basar ...

Das System provoziert das. Es ist üblich, ein Direktmandat anzunehmen. Zwischen Bundes- und Landeslisten kann aber fröhlich getauscht werden. Das nützt der Parteisteuerung. Tauschgeschäfte und Taktik sind nicht verboten, für den Bürger sind sie aber intransparent. Egal welche Partei man wählt, keiner weiß, welchen Abgeordneten auf Platz 3 der Bundesliste er gewählt hat. Das schafft eine Distanz zwischen Abgeordneten und Volk.

Ist das eine Schwäche des Wahlrechtes?

In Österreich vertraut man den Parteien aus historischen Gründen, dass sie eine Auswahl treffen. Damit soll ein Personenkult vermieden werden (Kaiser und Führer, Anm.). Ein Personenkult wird aber durch Medien vorangetrieben.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz favorisiert Persönlichkeiten auf seiner Liste. Liegt er damit richtig?

Die saubere Methode für eine Regierungspartei wäre zu versuchen, das Wahlrecht zu ändern. Die gesetzliche Hürde für Vorzugsstimmen sollte deutlich gesenkt werden, um eine Vorreihung zu ermöglichen. Kurz erklärt nun, dass es in der Partei niedrigere Schwellen für Vorzugsstimmen gibt, nach Bundesländern unterschiedlich. Das Gesetz gilt aber immer noch.

Alle Kandidaten – auch in der SPÖ – müssen eine Verzichtserklärung unterschreiben. Wird damit das Gesetz negiert?

Die Blankoverzichtserklärungen sind rechtlich für die Würste. Man kann das Gesetz, die Verfassung, durch eine Blankoverzichtserklärung nicht einfach aushebeln. Das sind moralische Ehrenerklärungen, um die Leute in der Partei unter Druck zu setzen.

Was ist nun attraktiv an der Idee von Kurz?

Strategisch will er dadurch Kandidaten im Wahlkampf motivieren. Die ÖVP-Niederösterreich macht das seit Jahren unter der Devise: Wir reihen nach Vorzugsstimmen neu, deswegen gibt es keine sicheren Plätze. Es gibt aber einen Schwachpunkt bei Kurz, das Reißverschlusssystem nach Geschlecht. Bei einer Vorzugsstimmenreihung gibt es keine 50:50-Entscheidung. In Niederösterreich sind über 80 Prozent der ÖVP-Mandatare Männer.

Gibt es ein Wahlrecht in der EU, das Sie für modellhaft halten?

Das deutsche System, jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine für die Person im Wahlkreis, die andere für die Partei. Das ist eine gute Mischung zwischen Personal- und Verhältniswahlrecht. Man kann die Stimmen auch splitten.

Von Margaretha Kopeinig

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