Vizekanzler: Erst Strukturreform, dann Steuern

Vizekanzler: Erst Strukturreform, dann Steuern
Spindelegger stellt Strukturreformen in sechs Bereichen als Bedingung an die SPÖ. Dann ist der ÖVP-Chef bereit, höhere Steuern zu akzeptieren.

In der Nacht auf Freitag sind beim EU-Gipfel weitreichende Beschlüsse gefallen: Mindestens 23, möglicherweise 26 EU-Länder bekennen sich dazu, Schuldenbremsen in ihre nationale Verfassung zu schreiben. Damit soll den Finanzmärkten die Sicherheit gegeben werden, dass europäische Staatsanleihen zurückgezahlt werden. Wegen des Ausscherens Großbritanniens ist die Schuldenbremse aber kein EU-Vertrag, sondern bloß ein internationaler Vertrag unter EU-Ländern. Über die Bedeutung der Gipfel-Beschlüsse für die EU und für Österreichs Sparkurs sprach der KURIER mit Vizekanzler, ÖVP-Chef Michael Spindelegger.

KURIER: Herr Vizekanzler, die EU-Skepsis in der Bevölkerung ist hoch, und auch die Erwartungshaltung vor diesem EU-Gipfel war groß. Glauben Sie, dass sich die EU-Skepsis mit diesen Gipfel-Ergebnissen verringert?

Michael Spindelegger: Sie wird sich nicht verringern, weil wir immer noch nicht den Durchbruch geschafft haben. Das geht aber auch nicht so schnell. Ein grundlegender neuer EU-Vertrag – das sind Dinge, die reifen müssen. Aber auch in Österreich, auch in den Köpfen der Bevölkerung, müssen Dinge reifen: Wir brauchen andere Grundeinstellungen und eine neue Weichenstellung. Ein paar Maßnahmen zur Budgetsanierung und dann wieder Hurra – so geht es nicht mehr. Es sind Strukturänderungen notwendig, sonst sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig. Jeder Arbeitsplatz, der am Export hängt – und das sind viele in Österreich – ist sonst keine g’mahte Wies’n mehr.

Brauchen wir den erhobenen Finger in Brüssel, weil wir sonst Dinge in Österreich nicht durchbringen?

Wir brauchen den erhobenen Finger in Brüssel und in Österreich. Es müssen Grundstrukturen anders werden, damit man zukunftsfähig bleibt. Das ist in Österreich offenkundig noch nicht allen klar.

Vizekanzler: Erst Strukturreform, dann Steuern

Haben Sie sich gefreut, als Kanzler Werner Faymann im KURIER gesagt hat, er sei ein glühender Europäer?

Ja, denn wir brauchen glühende Europäer an der Spitze. Für mich war das schon vorher selbstverständlich. Wir können nur als 27 Länder gemeinsam stark nach außen auftreten. Ich selbst bezeichne mich als rationalen Europäer, denn ich glaube, dass man die notwendige Integration sehr gut argumentieren kann. Wir brauchen Europa, denn sonst haben wir am internationalen Markt keine Chance. Die Perspektive für unsere Arbeitnehmer und Unternehmer gibt es nur im Zusammenhang mit Europa, sonst werden wir in der globalisierten Welt etwa gegen China nicht konkurrenzfähig sein.

In der Bevölkerung wächst die Europa-Skepsis, Sie schlagen aber mehr Europa vor. Entfernt sich die Politik in dieser Frage von den Menschen?

Wir brauchen Politiker, die vorangehen, die Zeichen setzen, die sagen: Das ist meine zutiefst innere Überzeugung. Ich bin mir bewusst, dass das nicht bei allen als super-positives Signal ankommen wird, aber wo ist die Alternative? Wenn wir nur mehr auf den Stammtisch schauen, werden wir nicht die richtigen Lösungen machen, sondern die populistischen.

Wäre so gesehen eine Volksabstimmung nicht sinnvoll, damit alle Politiker hinausgehen und am Stammtisch werben und überzeugen müssen?

Das kann man zu einem geeigneten Zeitpunkt überlegen. Aber wir bewegen uns derzeit in einem Krisenszenario, da müssen wir die Priorität auf Lösungen setzen und nicht in erster Linie darauf, den Stammtisch zu überzeugen.

Auf EU-Ebene wurde ein Defizit von 0,5 Prozent in der Schuldenbremse beschlossen, die österreichische Variante sieht 0,35 Prozent vor. Werden wir jetzt auch auf 0,5 Prozent nachbessern?

Nein, wir sollten bei 0,35 Prozent jährlichem Defizit ab 2017 bleiben. Das ist für die österreichische Situation maßgeschneidert.

Laut dem EU-Beschluss muss die Schuldenbremse nun in der Verfassung der Nationalstaaten verankert werden. Damit stehen Sie vor derselben Situation wie letzte Woche: Sie brauchen eine der drei Oppositionsparteien, und die verweigern sich.

Die Opposition trifft jetzt eine große Verantwortung. Es ist unverantwortlich, Bedingungen zu stellen, die faktisch unerfüllbar sind. Ich appelliere an die Oppositionsparteien, mit uns am Verhandlungstisch zu überlegen, was man tun kann, um den EU-Beschluss zu erfüllen und die Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Es geht um die Interessen Österreichs.

Bei Herrn Strache haben Sie es ja persönlich vor der letzten Parlaments-Abstimmung versucht. Woran ist es gescheitert?

Er wollte eine verbindliche Zusage, dass es keinen weiteren Steuer-Euro für Brüssel gibt. Das heißt nichts anderes als Austritt aus der EU – was denn sonst.

Folgt daraus, dass eine Koalition von Ihnen mit der FPÖ undenkbar ist? Mit einer Partei, die de facto aus der EU austreten will?

Es geht jetzt nicht um Szenarien für nach der nächsten Wahl, sondern um glaubwürdige Signale an die Märkte. Und dazu ist jetzt eine Schuldenbremse notwendig.

Und diese Signale an die Märkte sind mit der FPÖ nicht möglich?

Wenn die Bedingung lautet, Austritt aus der EU, ist das nicht machbar. Das mache ich niemals als ÖVP. Noch einmal: Ich bin bereit, mit allen Oppositionsparteien zu verhandeln, aber nicht über Bedingungen, die nicht erfüllbar sind.

Die Grünen fordern Vermögenssteuern ...

... ja, aber in welchem Ausmaß! Vier Milliarden! Das ist nicht machbar. Wir von der ÖVP sind ja auch dafür, dass die Verursacher der Krise etwa in Form der Finanztransaktionssteuer etwas zu deren Bewältigung beitragen. Aber auch das wird derzeit von London blockiert.

Was Großbritannien betrifft: Muss sich die EU nicht schön langsam fragen, ob sie sich auf Dauer ein Mitgliedsland leisten kann, das alles blockiert?

Ich hoffe schon, dass es auch David Cameron zu denken gibt, dass man nun so deutlich wie nie zuvor sieht: Lösungen für 27 EU-Länder scheitern de facto stets an einem Land. Ich sehe die Notwendigkeit, dass man in Großbritannien eine andere Einstellung zu Europa diskutiert. Ich hoffe das, denn ein Europa ohne Großbritannien ist für mich undenkbar.

Nächtliche Beschlüsse ohne Parlamente, krude Rechtskonstruktionen – bei allem Verständnis, dass man in der Krise rasche Maßnahmen braucht: Es gibt ein Demokratiedefizit auf EU-Ebene, das auf Dauer nicht tragbar ist. Wie soll man denn das beheben?

Durch ganz starke Signale. Etwa, indem künftig bei EU-Wahlen weniger die nationalen Kandidaten im Vordergrund stehen. Wir brauchen gemeinschaftliche, europaweite Kandidaten. Eine gute Möglichkeit wäre, den europäischen Präsidenten direkt zu wählen, jemanden, dem man vertraut, und der in die europäische Richtung zielt.

Also Präsidentenwahlen wie in den USA. Fiele Ihnen ein Österreicher ein, der für den EU-Präsidenten kandidieren könnte?

Aus der Vergangenheit heraus Wolfgang Schüssel. Auch Gio Hahn hat als EU-Kommissar über Österreich hinaus sehr viel Reputation aufgebaut.

Zum Sparpaket in Österreich. 33 Prozent der Leute sagen laut KURIER-Umfrage, man soll nur durch Sparen das Budget sanieren. Das sind mehr, als die ÖVP Wähler hat. Das zeigt doch, dass die ÖVP ihren Standpunkt nicht rüberbringt.

Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir bei den großen Kostentreibern ansetzen müssen. Daran führt kein Weg vorbei, und das wird mit mir auch nicht anders gehen. Wenn die Grundstrukturen klar sind, wie wir dauerhaft von den Kosten herunterkommen, dann werden wir uns – gerade auch für das nächste Jahr – zusammensetzen, um auch bei den Einnahmen ein Paket zu schnüren. Dabei ist für mich auch klar: Wer mehr hat, muss mehr geben.

Das heißt höhere Steuern?

Nicht unbedingt. Man kann auch Steuerlücken schließen. Aber ich wehre mich gegen eine Vermögens-Substanzbesteuerung. Es wird am Ende des Tages ein Gesamtpaket geben. Darin müssen die sechs Punkte bei den Ausgaben enthalten sein. Bei den ÖBB, dem Frühpensionsalter, der Verwaltung, der Gesundheitsreform, dem Dienstrecht im öffentlichen Dienst und den Förderungen müssen die Kosten gedämpft werden. Klar ist: Es muss ein Ruck durch die Gesellschaft gehen, es muss sich jeder darauf einstellen, dass man bis zum Regelpensionsalter arbeitet und nicht ständig darauf schielt, wie man doch schon früher in Pension gehen könnte.

Wirtschaftsminister Mitterlehner hat gesagt, die Budgetsanierung soll zu 70 Prozent durch Sparen, zu 30 Prozent durch Einnahmen erreicht werden. Kommt das so?

Mitterlehner hat lediglich internationale Richtwerte genannt. Das heißt nicht, dass wir uns daran halten.

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