Wurde Österreich im Jahr 1945 befreit - oder nicht?
Am Ende ist es diese schlichte Frage, die Österreichs größte Parlamentspartei in der jüngeren Zeitgeschichte ins Schlingern brachte bzw. noch immer bringt.
Im Grunde gibt es ja nichts zu deuteln oder anzuzweifeln: Österreich wurde 1945 befreit. Im April haben die Truppen der Alliierten die nationalsozialistische Herrschaft beendet, sie erkannten eine vorläufige Bundesregierung an, die Republik wurde wieder errichtet, und am 26. November fanden erstmals freie Nationalratswahlen statt.
Was, wenn nicht eine zu bejubelnde Befreiung war das Ende des NS-Terrors in Österreich?
In der FPÖ tun sich dennoch immer wieder namhafte Vertreter schwer, das Kriegsende 1945 einfach als Befreiung zu bezeichnen.
Anfang der 2000er Jahre stellten mehrere FPÖ-Mandatare - darunter der frühere EU-Abgeordnete Andreas Mölzer - infrage, ob man 1945 als Befreiungsjahr feiern könne. "Es war ein Jahr der Niederlage", befundete Mölzer damals. Und auch später zogen Funktionäre wie Harald Vilimsky oder Walter Rosenkranz offen oder verdeckt in Zweifel, ob man angesichts der späteren Besatzung und deren Belastung für die Bevölkerung tatsächlich von einer Befreiung sprechen darf, kann oder soll.
Für diese Haltung, die in der FPÖ bis heute spür- und sichtbar ist, gibt es mehrere Erklärungen.
Eine ist schlicht ihre Gründungsgeschichte: Die FPÖ entstand 1956 aus dem Verband der Unabhängigen (VdU) und damit einem Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten. Der erste FPÖ-Chef, Anton Reinthaller, war ein hochrangiger NS-Aktivist und SS-Brigadeführer. Ewiggestrige, die nach dem VdU in der FPÖ eine neue politische Heimat gefunden haben, konnten nicht anders, als das Jahr 1945 als Niederlage und nicht als Befreiung zu empfinden - die NS-Ideologie entsprach ihrer Grundhaltung.
Hinzu kommen noch andere Faktoren: Nicht nur in der FPÖ, sondern in ganz Österreich wurde nach 1945 der sogenannte Opfermythos gepflegt. Bis in die 1990er Jahre wurde in Schulen die Haltung vertreten, Österreich sei das erste Opfer Adolf Hitlers gewesen. Mit folgendem Hintergrund: Die Alliierten erklärten in der Moskauer Deklaration, dass der "Anschluss" Österreich an Hitlerdeutschland ungültig war. Mit dieser Argumentation konnte man Österreich wieder selbstständig werden lassen, für die Souveränität des Landes war die Moskauer Deklaration wichtig. Gleichzeitig unterwanderte die fortgeschriebene Opfer-Rolle viel zu lange eine selbstkritische Betrachtung Österreichs. Denn viele Österreicher waren Täter. Spätestens mit der Rede des damaligen Kanzlers Franz Vranitzky, der 1995 im Nationalrat auf die Täter-Rolle Österreichs im Holocaust bzw. im Zweiten Weltkrieg verwies, ist der Opfer-Mythos überholt. Dass er weiter gepflegt wird, ist eine andere Sache.
Abgesehen von diesen Aspekten kommt bei der FPÖ das historische Spezifikum hinzu, dass man sich parteipolitisch gern als Partei der "kleinen, einfachen Leute" verstand und inszenierte, und solcherart auch das Leiden dieser Generation in den Fokus rückt. Bombardierung, Vertreibung und Hunger nach 1945 waren in der blauen Rhetorik wirkmächtiger als bei SPÖ und ÖVP, die - im Unterschied zu den Freiheitlichen - der "Mythos der Lagerstraße" verband, sprich: Vertreter von Christlichsozialen und Sozialdemokratie waren gleichermaßen Opfer der Nazis. Sie wurden gemeinsam in Konzentrationslagern inhaftiert und ermordet und schworen sich deshalb nach Kriegsende, die parteipolitischen Unterschiede zu überwinden, um das viel größere Übel, den Nationalsozialismus, im Sinne des "Niemals Wieder" dauerhaft zu überwinden.
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