"Die alte Fahne, von Hitler verbannt, darf wieder wehen"

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Wie die Kultur (nicht nur) nach dem Zweiten Weltkrieg dazu beitrug, Österreich neu zu definieren – am Beispiel der Salzburger Festspiele.

„Kunst, Kultur und auch Sport sind die klassischen Mittel für das Kreieren von Identität“, sagt Margarethe Lasinger, die Leiterin des Archivs der Salzburger Festspiele. Das trifft vor allem auf Zeitenwenden zu.

Zum Beispiel auf das Jahr 1995 (30 Jahre her), als es anlässlich des EU-Beitrittes Österreichs darum ging, die Identität des Landes in den europäischen Raum zu integrieren beziehungsweise darum zu erweitern.

Auf das Jahr 1955 (vor 70 Jahren), als nach dem Staatsvertrag ein unabhängiger, demokratischer Staat erst wieder hergestellt bzw. etabliert werden musste.

Vor allem aber auf das Jahr 1945 (vor 80 Jahren), als Teile des Landes in Trümmern lagen und die neue Identität Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt erst definiert werden musste. Symbolisch dafür stehen die Salzburger Festspiele, 1920 als Friedensprojekt nach dem Ersten Weltkrieg gegründet und auch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Zentrum der kulturinteressierten Weltöffentlichkeit.

Festspiele im Krieg

Erstaunlicherweise hatten die Festspiele während des gesamten Krieges stattgefunden, wenn auch in stark reduzierter Form. Freilich hielten die Nazis auch an der Salzach Hof, Adolf Hitler besuchte die Festspiele unmittelbar vor Kriegsbeginn 1939 und sah zwei Aufführungen: Mozarts „Entführung aus dem Serail“ und dessen „Don Giovanni“. Das Programm wurde dann von Jahr zu Jahr dünner, 1944 fand neben einem Konzert der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler nur die öffentliche Generalprobe der Oper „Die Liebe der Danae“ von Richard Strauss statt. Dirigiert von Clemens Krauss, dessen besondere Nähe zu den Nazis bekannt ist – er war es auch, der dann 1952 die Uraufführung leitete.

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Besonderes Augenmerk verdient das Jahr 1945, in dem es ebenfalls Festspiele gab, massiv unterstützt von den amerikanischen Besatzern, die Salzburg am 4. Mai 1945 befreit hatten. „Ohne die Amerikaner hätten die Festspiele nicht stattgefunden“, betont Festspiel-Archivchefin Lasinger. „Es war sogar ein Auftrag der Besatzungsmacht, dass die Festspiele stattfinden müssen.“ Künstler wurden von Amerikanern verpflegt und von ihnen in Hotels untergebracht.

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General Mark W. Clark, der US-Hochkommissar für Österreich, hielt die Eröffnungsrede der Festspiele – seine erste Ansprache überhaupt an die Bevölkerung nach dem Krieg. „Die Salzburger Festspiele (...) sind ein wahres Beispiel des Wiederauflebens der einheimischen österreichischen Traditionen“, sagte Clark. „Österreich wird von den Vereinten Nationen die Gelegenheit gegeben, die Freiheit und Unabhängigkeit zurückzugewinnen und sich einen ruhmvollen Platz in der Gemeinschaft der friedlichen Nationen zu erwerben.“ Und: „Die alte Fahne Rot-Weiß-Rot, von Hitler verbannt, darf wieder wehen.“

Der General hielt dem Land aber auch einen Spiegel vor Augen, dessen Abbild die meisten in Österreich noch über Jahrzehnte nicht sehen wollten. „Als Ihr Land, als erstes von vielen unglücklichen Ländern, überrannt wurde, war es leider wahr, daß viele Österreicher an dem Verrat mithalfen. Noch bedauernswerter war es, daß Ihr Land in den Reihen des Feindes eingegliedert war. Sie können verstehen, daß es den Völkern der Vereinten Nationen schwer fällt, diese traurige Tatsache auf einmal zu vergessen (...) Wir erwarten von Ihnen, daß Sie uns beistehen in der Arbeit, die Diener des Hitlerismus auszurotten.“

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Festspiele nach dem Krieg

Was die Kunst betrifft, wurde die Entnazifierung von Österreich zunächst durchaus mit Verve begonnen, dann aber rasch wieder aufgegeben. „Der Verdrängungsmechanismus war in Salzburg genauso stark wie im restlichen Österreich“, betont Lasinger. „Es hatte auch damit zu tun, dass es nur wenige unbelastete Künstler gab.“

Herbert von Karajan, der wichtigste Salzburger Dirigent, der sogar zweimal der NSDAP beigetreten war, wirkte schon 1946 als musikalischer Berater (im Hintergrund) bei den Festspielen mit. Das Auftrittsverbot für ihn wegen seiner NS-Vergangenheit endete 1947, schon 1948 dirigierte er in Salzburg Glucks „Orfeo“ – übrigens die erste Oper in der Felsenreitschule. Auch Karl Böhm, durchaus ein treuer Nazi, letzter Direktor der Wiener Staatsoper vor dem Krieg und erster danach, kam schon 1947 zurück nach Salzburg (mit „Arabella“ von Richard Strauss“). Und Clemens Krauss, vielleicht der schlimmste Nazi unter den Dirigenten, eben 1952.

Im Jahr 1945 wurde eine einzige Oper aufgeführt: „Die Entführung aus dem Serail“, in den selben Kostümen wie 1939, die Hitler gesehen hatte – weil das Geld für neue fehlte (statt Böhm dirigierte Felix Prohaska). Besonders wichtig waren die „österreichischen Abende“, zum Beispiel das Eröffnungskonzert mit einem Mozart-/Johann Strauß-/Lehár-Programm sowie Auftritte der Wiener Sängerknaben, die unbelastet waren. „Die Österreichifizierung des Programmes war enorm wichtig, auch den Amerikanern“, erzählt Lasinger.

1946 wurde dann wieder der „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal gespielt, der 1938 von den Nazis gestrichen worden war. 1946 kehrte auch Max Reinhardts Witwe Helene Thimig nach Salzburg zurück und spielte wieder den Glauben. Ab 1947 brachte sie den „Jedermann“ nach dem Regiebuch ihres verstorbenen Mannes auf die Bühne. Seither wurde das Stück jedes Jahr aufgeführt.

Die Geschichte der Festspiele verlief stets durchaus parallel zu manchen Entwicklungen in der Politik. Es ist auch diesbezüglich verständlich, dass Gérard Mortier nach Karajans Tod 1989 als Intendant folgte – er kam wenige Jahre vor dem EU-Beitritt direkt aus der europäischen Hauptstadt Brüssel nach Österreich.

Während sich in Salzburg die Amerikaner stark um die Wiederauferstehung der Kunst bemühten, waren es in Wien primär die Russen. Sie waren mitverantwortlich dafür, dass die Staatsoper, deren Zuhause zerbombt war, rasch ins Theater an der Wien übersiedelte (die Wiedereröffnung der Staatsoper erfolgte 1955 mit der Freiheitsoper „Fidelio“) und das Burgtheater ins Ronacher. Die Beziehung zwischen Besatzern und der österreichischen Kultur war also zentral für den geistigen Wiederaufbau des Landes.

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