„Im Gefängnis hat man keinem Nazi die selbstverständliche Kameradschaft aufgekündigt“, meinte er. „Wenn einer krank geworden ist, haben wir ihn gepflegt, weil er ein Mensch war.“
Kreiskys Kameradschaftsverständnis ging sogar so weit, dass er für Weninger, der immerhin im Verdacht stand, an einem Sprengstoffanschlag beteiligt gewesen zu sein, einmal eine in einem Kassiber versteckte Nachricht aus dem Gefängnis schmuggeln wollte.
Neuerliche Verhaftung
„Bei einer überraschenden Kontrolle durch die Justizwache mußte ich den Kassiber verschlucken. Wie mir der Weninger Sepp gestand, war der Kassiber so leichtfertig formuliert, daß er einem Geständnis gleichkam, und so habe ich ihn vor einem viel härteren Urteil bewahrt“, schrieb Kreisky in seinen Erinnerungen. Der SA-Mann sollte seinem jüdischen Freund die Tat nicht vergessen.
Mit ihrer Enthaftung 1936 trennten sich die Wege. Während sich der Jus-Student Kreisky wieder der Parteiarbeit widmete, schloss sich Weninger der „Österreichischen Legion“ in Bayern an, um im März 1938 als „alter Kämpfer“ in die nunmehrige „Ostmark“ zurückzukehren.
Der "Sepp" revanchiert sich
Kreiskys Verhaftung durch die neuen Machthaber ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am 15. März 1938, einen Tag nach Ablegung des Rigorosums an der Uni Wien, wurde er von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen.
„Ich habe dann ein sehr unangenehmes und brutales Verhör durchgemacht. Halb bewußtlos und blutüberströmt kam ich zurück in die Zelle. Mit einem Überschwung, so nannte man die breiten Militärgürtel, hatte man mir zwei Zähne ausgeschlagen.“
Dass Kreisky die Deportation ins KZ Dachau erspart blieb, war wiederum einem Zufall geschuldet. Ein SS-Arzt erkannte den „nazi-freundlichen Sozialisten“ aus früheren Hafttagen wieder und versprach, den „Sepp“ zu informieren. Weninger erinnerte sich sofort an den Juden, der einst seinen Kassiber geschluckt hatte, und an seine Schuld.
Als Kreisky eines Nachts zum Verhör gerufen wurde, erwartete ihn – die Freiheit. Zwei SS-Offiziere eröffneten ihm, er könne gehen, weil er sich „in der Systemzeit als wider Erwarten mutig erwiesen hätte“ und bei einigen Parteigenossen „als kameradschaftlicher Mithäftling bekannt sei“. Einzige Bedingung für die Enthaftung: das Exil.
Das ließ sich Kreisky nicht zwei Mal sagen, bestieg ein Flugzeug nach Kopenhagen und entkam knapp nach Schweden. Seine Verwandten hatten weniger Glück, 19 Familienangehörige fanden in den Gaskammern der Nazis den Tod.
Ende am Galgen
Auch der zum SA-Standartenführer und Bürgermeister von Neunkirchen aufgestiegene Weninger beteiligte sich an den Verbrechen, als er in den letzten Tagen des NS-Regimes im April 1945 fünf Personen standrechtlich erschießen ließ sowie die Ermordung Dutzender Zivilisten in Reichenau an der Rax orchestrierte.
Kreisky sollte seinen zum Kriegsverbrecher mutierten Freund nicht mehr wiedersehen – und auch nicht mehr retten können. „Nach dem Krieg habe ich mich übrigens nochmals für den Weninger Sepp verwendet“, bemerkte er. „Meine Entlastung hat ihm freilich nichts genützt.“
Josef Weninger wurde am 15. Mai 1947 im Wiener Landesgericht hingerichtet. Seine Grabstelle ist unbekannt.
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