Van der Bellen: "Müssen unsere EU neu erfinden"

Van der Bellen: "Müssen unsere EU neu erfinden"
Auf Wahlkampftour im deutschen Bundestag: Der Ex-Chef der Grünen hielt dort eine flammende Rede gegen Kleinstaaterei und für die vereinigten Staaten von Europa.

Nicht alle wissen, wer Alexander van der Bellen ist. Dass der Moderator den ehemaligen Chef der österreichischen Grünen mit "Von der Bellen" anspricht, ist aber nicht weiter tragisch - nach der flammenden Rede des Grünen Professors weiß er es besser.

Berlin empfängt Alexander Van der Bellen herzlich, der Applaus für ihn ist lang und anhaltend. Auch die deutsche und die europäische Grünen-Spitze sitzen erste Reihe klatschen begeistert, als der Österreicher bei der "Grünen Zukunftswerkstatt Europa" im Berliner Bundestag seine Thesen zu seinem Europa darlegt. Sie empfangen ihn als den nächsten Bundespräsidenten Österreichs: "Wir gehen davon aus, dass du der nächste bist", sagt Fraktionschef Anton Hofreiter in breitem Bayerisch. "Das wäre eine große Freude für Österreich." Für Deutschland natürlich auch - Van der Bellen wäre der erste grüne Bundespräsident Europas; auch wenn er als unabhängiger Kandidat antritt.

Brandrede für Europa

Ein Wahlkampf-Auftritt ist van der Bellens Europa-Rede nicht, sie ist vielmehr eine Brandrede für ein neues Europa. "Wir müssen unsere EU neu ;erfinden", sagt Van der Bellen - er registriere mehr und mehr "Symptome des Verfalls", und das stimme ihn nicht gerade hoffnungsfroh, so der grüne Professor in gewohnt lässigem Ton. Sei es der Brexit, der andere dazu anstachle, ebenso Ausstiegsszenarien durchzuspielen, sei es das Zerbröseln des Schengen-Systems, das ihn "als Tiroler ins Herz trifft", sei es die Bestrebungen zur Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit - das alles seien "Alarmzeichen ersten Ranges".

Die Flüchtlingskrise hätte all diese Probleme an die Oberfläche geschwemmt, sagt er; sie würden aber auf ein tieferliegendes Problem hinweisen: Nämlich die falsche Konstruktion der europäischen Institutionen. Dass der Rat der 28 Beschlüsse fasse;und die von den Mitgliedsländern ignoriert werden - wie das bei der Quotenregelung der Fall war -, sei das beste Beispiel dafür, das etwas gravierend falsch laufe. "Das sind Verhältnisse, die jeden Beschreibung spotten."

"Verkappter Hegemon Deutschland"

Er plädiert deshalb für die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" und "gegen die Kleinstaaterei", sagt Van der Bellen - wissend, dass diese Idee nicht nur Freunde hat. Mittlerweile sei die Globalisierung so weit vorangeschritten, dass nationales Handeln ohne Folgen für andere unmöglich sei; das habe die Finanzkrise ebenso gezeigt wie jetzt die Migrationsdebatte. "Was ein Staat macht, hat unmittelbare Auswirkungen auf alle anderen", so Van der Bellen. Deshalb sei ein starkes Europa notwendiger denn je: "Nicht die EU versagt, sondern die Mitgliedsstaaten."

Die Zukunftsvisionen, die Van der Bellen dabei heraufbeschwört, sind ziemlich düster. "Die Diagnose ist leichter als die Therapie", gibt er schlussendlich selbst zu. Um einen Ausweg zu finden, nimmt er aber vor allem Deutschland in die Pflicht. Als wirtschaftlich potentestes Mitglied der Union habe das Land eine Rolle als "verkappter Hegemon", der es noch nicht so ganz gerecht werde, so Van der Belle. Er erwarte sich mehr Einsatzbereitschaft aus Berlin.

Selbst bei dieser recht offenherzigen Kritik war der Applaus für den grünen Professor laut - ebenso wie die Lacher, von denen er einige erntete. Der Moderator zeigte sich jedenfalls beeindruckt - ein "von der Bellen" kam ihm danach nicht mehr über die Lippen.

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