Türkis-Blau fahndet nach überflüssigen Paragrafen

Justizminister Josef Moser
Deregulierung: Minister Moser will Gesetze streichen und nicht mehr Musterschüler bei EU-Vorgaben spielen. Das Reformvorhaben im Fakten-Check.

Justizminister Josef Moser, der zwölf Jahre lang Rechnungshofpräsident war, möchte als großer Reformer in die Geschichte eingehen. Bis zum Sommer will er den Paragrafendschungel durchforsten und vom Nationalrat alte Gesetze streichen lassen. EU-Vorgaben will er nicht länger übererfüllen ("Gold Plating"). Nach der Rechtsbereinigung und dem Aus für das Gold Plating bei EU-Richtlinien will Moser außerdem noch das Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern zu entflechten.

Was ist von Mosers Ansagen zu halten?

Die Ankündigungen des Ministers sind ernst zu nehmen, die Regierung steht bis dato uneingeschränkt hinter seinen Plänen. Brösel könnte es mit den Ländern bei der Kompetenzbereinigung geben. Aber: Schon unter Rot-Schwarz bzw. Schwarz-Blau I gab es Deregulierungsgesetze und zuletzt 2017 den Vorsatz, das Gold Plating von EU-Vorgaben zumindest einzuschränken. Und immer wieder beweist die Politik in der Praxis das Gegenteil.

Was sind typische Fälle von Gold Plating?

Ein sehr beliebtes Beispiel ist die Allergenverordnung. Ende 2014 trat die EU-Richtlinie in Kraft. Österreich legte die EU-Vorgabe sehr streng aus, die Speisekarten wurden fortan von einer unverständlichen Buchstabensuppe begleitet. 2017 wurde die Allergenverordnung wieder entschärft. Seither kann die Information der Gäste auch auf einer eigenen Allergikerkarte erfolgen, und die Schulung des Personals muss nicht mehr alle drei Jahre erneuert werden.

Oder, aktuell: Die Übermittlung von Fluggastdaten zur Terrorbekämpfung. Die EU-Richtlinie bezieht sich auf Flüge aus EU-Drittstaaten und schreibt die Meldung der Daten an Sicherheitsbehörden vor. Österreichs Regierung, die sich zwar dem Ende von Gold Plating verschreibt, macht bei diesem Anlassfall das Gegenteil. Sie bezieht auch Flüge innerhalb der EU mit ein und schreibt die Meldung der Daten auch an Zollbehörden vor, wie die Rechtsanwaltskammer aufzeigt.

Wie weit geht die Aufhebung alter Gesetze?

Moser will alle Bundesgesetze streichen, die vor 2000 erlassen wurden und von anderen Ministerien nicht als absolut notwendig erachtet werden. Es gibt 1704 Gesetze, die das theoretisch betreffen könnte. In der Praxis werden es wohl wesentlich weniger sein.

Gibt es für diese Pläne historische Vorbilder?

Die letzte große Rechtsbereinigung fand 1999 statt. Damals wurden alle noch gültigen Gesetze gestrichen, die vor 1946 kundgemacht wurden, aber nicht mehr benötigt wurden. Davon war rund ein Fünftel aller Gesetze betroffen. Im Verfassungsbereich wurde der Österreich-Konvent seinerzeit fündig: Rund 800 Verfassungsbestimmungen in 491 Gesetzen wurden zwischen 2013 und 2015 entweder gänzlich gestrichen oder zu einfachen Gesetzen erklärt. Ein neuer Verfassungs-Konvent ist nicht geplant.

Wo lauern Fallen?

Damit nicht irrtümlich Gesetze gestrichen werden, die später wieder erlassen werden müssten, bindet Moser neben Ministerien und Interessenvertretern auch den Verfassungsdienst ein und verweist auf die Kontrolle in Justizausschuss und Parlament. Dennoch warnen Verfassungsrechtler vor "unabsehbaren Folgen" und AK, ÖGB sowie Oppositionsparteien vor einem Kahlschlag für Verbraucher-, Mieter-, Arbeitnehmer- und Umweltschutz.

AK-Präsident Rudolf Kaske sagt: "Österreichs Arbeitnehmer, Konsumenten und Umwelt verdienen den besten Schutz." Konkret seien bei Arbeitszeit, Lohn- und Sozialdumping, der Deponieverordnung oder der Abwasserrichtlinie Verschlechterungen zu befürchten, weil die EU-Regeln viel laxer sind.

Die SPÖ fürchtet nun gar um die hohen Standards beim Trinkwasser.

Welche Argumente haben die Befürworter?

Die Freunde von Bürokratieabbau und dem Ende des Gold Plating sitzen in der Wirtschaft. Sie bemängeln die teure, wachstumshemmende Übererfüllung von EU-Recht und den Wettbewerbsnachteil gegenüber Ländern, die nicht Musterschüler spielen. Genannt werden: strengere Detailregeln bei Umweltverträglichkeitsprüfungen, Energieeffizienz, Kapitalmarkt, höhere Strafen bei der Entsende-Richtlinie oder aufwendigere Melde- und Informa-tionspflichten als anderswo.

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