Trollen, haten und shitposten: „Ganz normale Manöver im Informationskrieg“

Wie die politische Meinung organisiert wird.

"Das Trollen, das Haten“, zählt Martin Sellner in einem YouTube-Video auf, „das sind eigentlich ganz normale Manöver im Informationskrieg“. Der Sprecher der rechtsextremen Identitären verheimlicht nicht, dass er Debatten sabotiert. Wenn man Hass im Netz nicht aushalte, sagt Sellner, solle man sich dort nicht aufhalten: „Lösch dich.“

Ein Rechercheteam von funk, dem jungen Programm von ARD und ZDF, schleuste sich 2018 undercover in geschlossene Chatgruppen der rechten Meinungsmacher. Dort entdeckten sie eine Anleitung für „Shitposting“: wie man mit entrüsteten Internet-Kommentaren den öffentlichen Diskurs zerstört. Im „Beute“-Forum machten sie sich „fast militärisch“ organisiert „auf die Jagd“ nach „Frischfleisch“; sie posteten also Links von Usern mit einer anderen Meinung.

202.000 Tweets von 300 Usern

Die wohl größte bekannte akkordierte Meinungsmache passierte während des TV-Kanzlerduells 2017 zwischen Angela Merkel und Martin Schulz.

Die rund 100-köpfige, geheime Chatgruppe „Reconquista Germanica“ (Rückeroberung Deutschlands) bereitete sich auf die Live-Sendung mit Memes, Fotos und Videos vor, wie BuzzFeed-Recherchen zeigen. Die 388 Accounts feuerten 202.000 Tweets unter dem Hashtag #Verräterduell ins Netz und versuchten so die Deutungshoheit über das wichtigste TV-Ereignis des Wahlkampfs zu erlangen: Ein kleiner Kreis von hyperaktiven Aktivisten wollte so tun, als gebe es einen Aufschrei des Volkes im Netz.

Trollen, haten und shitposten: „Ganz normale Manöver im Informationskrieg“

Die österreichische Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig plädiert im KURIER dafür, nicht zu glauben, dass Online-Kommentare die Durchschnittsmeinung des Volkes wiedergeben würden. Das belegten Brodnig und der Datenspezialist auch im „Digitalreport 2017“.

Minderheit macht Meinung

Dafür sichteten sie 763.000 Facebook-Kommentare, die bei den österreichischen, politischen Seiten gepostet wurden. 73 Prozent davon wurden von 20 Prozent der aktivsten Nutzer gepostet. 73.000 Kommentare stammen aus einem Kreis aus 200 Nutzern.

Eine der Studienautoren kommt zum Schluss: „Auf Facebook herrscht nur scheinbar eine Vielfalt an Meinungen“, man lebe „inmitten einer lauten Minderheit.“ Und: „Die Mehrheit der Facebook-User liest nur mit. Das macht es sehr einfach, das Meinungsklima zu beeinflussen.“

Und das kann politische Folgen haben. Die ehemalige ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler etwa zog die „Stimmung der Bevölkerung“ auf Facebook als Entscheidungsgrundlage heran; sie forderte aufgrund des Unverständnisses im Netz härtere Strafen bei Sexualdelikten.

Kann man die Meinung von Politikern durch Kommentare unter ihren Postings beeinflussen oder deren Fans umstimmen? Die Neos beobachten „immer wieder“, dass „30 ähnliche negative Kommentare plötzlich“ unter ihren Postings auftauchen, sagt Sprecher Julian Steiner dem KURIER. Da das wohl „gezielt passiert“ und man sich der Manipulationsmöglichkeiten in den sozialen Medien bewusst sei, haben die Neos im Bereich Community Management ihre Mitarbeiter aufgestockt.

Die Meinungssöldner

Die Kommentare müssen übrigens gar nicht direkt vom Mitbewerber kommen. Das Monatsmagazin Datum deckte 2014 auf, dass die Wiener Agentur „mhoch3“ rund 40 freie Mitarbeiter anheuerte, die mit falschen Nutzerprofilen online freundliche Kommentare zu Kunden der Agentur posteten (darunter ÖVP Wien, ÖBB und Bank Austria). „Wir machen genau dort Meinung, wo sich Ihre Zielgruppe aufhält“, wirbt die Agentur nach wie vor auf Facebook, „überlassen Sie Ihre Kommunikation nicht dem Zufall“.

Kommentare