Flüchtlinge: Faymann und Merkel wollen "wachrütteln"
Die große Freundlichkeit vom letzten Mal spürt man diesmal nicht. Dennoch, beide Akteure stellen gleich zu Beginn klar: Man brauche einander in Zeiten wie diesen – sei es in der Flüchtlingsfrage oder im Eindruck des Terrors.
Nach einer Phase, in der man eher ruppige Töne anschlug, trafen die Regierungschefs Angela Merkel und Werner Faymann gestern im Berliner Kanzleramt aufeinander – und waren wieder im Gleichklang: Zwei "like-minded countries", wie die deutsche Kanzlerin das nannte. Die gegenseitigen Anwürfe – Österreich schleuse Flüchtlinge nur weiter, Deutschland hingegen lade sie förmlich ein, hieß es bis vor Kurzem – schienen vergessen. Die "verehrte Frau Bundeskanzlerin" und der "liebe Werner" standen harmonisch Seite an Seite.
Jetzt kommt es aufs Tempo an
Mit nationalem Geplänkel hielt man sich deshalb auch nicht auf. Zentral stehe für beide die geopolitische Dimension der Flüchtlingskrise, wurde extra betont: Die Verhandlungen mit der Türkei müssten schnell voranschreiten, die Hotspots in Griechenland und Italien baldigst zum Funktionieren gebracht werden, so die beiden Kabinettschefs. Zudem sei es an der Zeit, jene EU-Länder, die eine faire Flüchtlingsverteilung auf die lange Bank schieben wollten, "wachzurütteln". "Jetzt kommt es aufs Tempo an", sagte Faymann.
Wie das allerdings konkret vonstatten gehen soll, ließen beide offen. Im Raum stehen jedenfalls seit Längerem Sanktionen für jene Länder, die sich querlegen – Merkel konnte sich mit Faymanns Idee, die Quote über finanzielle Einschnitte zu regeln, bisher aber nicht anfreunden. Mag sein, dass sie sich dies angesichts der jetzigen Lage anders überlegt. Polen hatte kürzlich verlautbart, gar keine Flüchtlinge gemäß der Quote aufnehmen zu wollen – wegen möglicher Terroristen unter ihnen.
Zaunbau-Wettbewerb
Gegen genau diese Art von Populismus wehrten sich die beiden auch lautstark, Merkel beschwor die Einheit der Länder. "Hier muss Europa zusammenstehen." Faymann, der zuvor schon beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung in Berlin aufgetreten war, gab sich bei seiner dortigen Rede noch angriffiger: "Flüchtlinge sind die Opfer, nicht die Täter", ärgerte er sich lautstark – unter großem Applaus.
Ebenso heftig kritisierte er die vielen Zäune, die derzeit in ganz Europa aus dem Boden sprießen. "Der Wettbewerb, wer die besten und höchsten Zäune baut", gefalle ihm ganz und gar nicht, sagte er beim SZ-Gipfel. Sein eigenes Exemplar, den österreichischen Mini-Zaun bei Spielfeld, ließen Faymann und Merkel bei ihrem Auftritt deshalb auch dezent unerwähnt.
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