Transgender-Debatte: "Wir behandeln keine Kinder"

Eine Person hält ein Schild mit der Aufschrift „Trans Rights Are Human Rights“ bei einer Demonstration.
Der Leiter einer Beratungsstelle für Trans-Jugendliche erklärt, warum er die Debatte für „haarsträubend“ hält und wann Brust-Amputationen bei Unter-18-Jährigen geboten sein können.

Werden Teenager und Jugendliche, die sich als transsexuell empfinden, zu leichtfertig in irreversible Maßnahmen wie Hormontherapien oder Brust-Amputationen (Mastektomien) getrieben? 

Der KURIER hat zuletzt mehrfach über die auffallend hohe Zahl an Mastektomien bei Jugendlichen berichtet; und er hat Selbsthilfegruppen von Eltern zu Wort kommen lassen, die ein Schutzalter für Jugendliche fordern. Johannes Wahala, Psychotherapeut und Leiter der LGBTIQ-Beratungsstelle Courage, hat im Standard von einer „haarsträubenden Debatte“ gesprochen. Im KURIER erklärt er, wie er dazu kommt - und warum er ein Schutzalter für Unter-25-Jährige für nicht sinnvoll hält.

Ein Mann sitzt in einem gelben Sessel und gestikuliert.

KURIER: Herr Wahala, bei transsexuellen Jugendlichen wird der „affirmative“ Behandlungspfad befürwortet. Ist es nicht höchst problematisch, wenn sich Jugendliche einfach selbst als „trans“ einschätzen und  Therapeuten dies nur  „affirmativ“, also bejahend, begleiten und nicht groß hinterfragen?

Johannes Wahala: Wäre es so, hätten wir tatsächlich ein Problem. Der affirmative Ansatz, den wir in der Beratungsstelle Courage vertreten, meint  etwas anderes. Er meint, dass wir die Situation der jungen Menschen ganzheitlich betrachten und im Vertrauen gemeinsam ihre Situation explorieren. Jugendliche, die sich als queer oder transgeschlechtlich erleben, haben oft Erfahrungen von Unverständnis und Ausgrenzung. Affirmativ heißt definitiv nicht, dass wir als Therapeuten nichts hinterfragen. Das wäre unprofessionell.

Demnach können Therapeuten auch feststellen, dass bei Jugendlichen keine Geschlechtsdysphorie vorliegt?

Ja, das kann sein. Einer meiner Ausbildner hat einmal gesagt: Als Therapeut muss man auch Spielverderber sein können. Es ist unsere verdammte Pflicht genau hinzuschauen, in welchem Verhältnis eine mögliche Transgeschlechtlichkeit zu Belastungen wie Depressionen oder Angststörungen stehen. 

Genau das bezweifeln Standeskollegen und Selbsthilfegruppen. Ihre Einschätzung ist die, dass Teenager de facto in die Transition, sprich: den Wechsel, gestoßen werden. 

Dazu kann ich nur sagen, dass es in Österreich klare Behandlungsempfehlungen und eine mehrstufige Diagnostik gibt. Ehe medizinische Eingriffe bei Jugendlichen erfolgen dürfen, müssen drei Fachexperten - ein Therapeut, ein Psychiater und ein klinischer Psychologe - feststellen, dass eine Geschlechtsdysphorie vorliegt. Ist dies nicht der Fall, erfolgt die Behandlung nicht nach professionellen Kriterien.

Ist die Pubertät nicht grundsätzlich eine Phase, in der man  keine irreversiblen Eingriffe wie Brustamputationen machen sollte?

Eines vorweg: Wir behandeln keine Kinder. Jugendliche unter 14 werden gar nicht auf eine Geschlechtsdysphorie therapiert, hier sagen wir zu den Eltern: Das ist zu früh. Bei älteren Jugendlichen haben wir genaue Behandlungsrichtlinien erarbeitet, und klar ist auch: Was wir tun,  passiert in der Regel in Zusammenarbeit mit  Eltern oder Bezugspersonen.

Aber wäre es - analog zum Sterilisationsverbot unter 25 - nicht sinnvoll, bestimmte Eingriffe erst ab einem höheren Lebensalter zu machen?  Kann eine 18-Jährige wirklich abschätzen, welche Konsequenzen  eine Brustamputation hat?

Bei einer Störung der Geschlechtsidentität reden wir von sehr wenigen Menschen, so 0,7 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung. Wenn sich ein Bursche über viele Jahre als Frau fühlt und schwer unter einer deutlichen Geschlechtsdysphorie leidet, kann eine Behandlung bereits vor dem 18. Lebensjahr angezeigt sein, um das massive Leiden zu lindern. Ansonsten hat er durch die Hormone, die sein Körper absondert, eine Vermännlichung zu erleben, unter der er ein Leben lang leidet. Was folgt wäre ein Leben voll Anfeindungen, Diskriminierungen, etc. Als Experte will ich dafür nicht verantwortlich sein. Deshalb kann es in bestimmten, klar definierten Fällen geboten sein,  medizinisch einzugreifen.

Wie können Sie sicher sein, dass ein 17-Jähriger nicht einfach nur seine Sexualität erkundet und am Ende vielleicht nicht wirklich trans ist? 

Wenn standardisierte Tests professionell gemacht werden, wird alles abgeklärt: Persönlichkeitsstruktur, Belastungen, allfällige Autismen, etc.. Kommt ein Jugendlicher zu uns und sagt, „Herr Wahala, ich will nur die Papiere für eine Hormonbehandlung“, dann verweisen wir ihn auf den notwendigen Behandlungsprozess. Lässt er sich nicht darauf ein, können wir ihm leider nicht hilfreich sein. Eine Geschlechtsdysphorie lässt sich nicht im Schnellverfahren ermitteln. Um auf die Frage zurückzukommen: Unsere Diagnose-Treffsicherheit ist sehr hoch. In 30 Jahren habe ich keinen einzigen Jugendlichen betreut, der in die De-Transition gegangen ist. Wir haben Jugendliche, die im Zuge der Therapie erkennen, dass sie gar keine Transition brauchen. Auch das halte ich für einen Erfolg der Behandlung.

Die Uni Oxford hat erst im Februar ein Paper publiziert, aus dem hervorgeht, dass es selbst operierten Menschen mit Geschlechtsdysphorie nicht  besser geht, sondern schlechter. Beeindrucken Sie solche Studien nicht? 

Das entspricht nicht dem, was ich in meiner 30-jährigen Erfahrung erlebt habe. Ich habe, wie gesagt, keinen einzigen jungen Menschen erlebt, der in eine De-Transition gehen wollte. Was ich erlebe, sind junge Menschen, die durch die psychotherapeutische Behandlung gute Lebensperspektiven entwickeln.

Und wie erklären Sie sich, dass de facto ausschließlich Jugendliche und Teenager ihr Trans-Sein erleben, wo es doch auch viele Erwachsene geben müsste, auf die das zutrifft?

Transsexualität hat es immer gegeben. Aber viele Erwachsene sahen früher keine Möglichkeit, diesen Weg zu gehen. Weil Familie, Arbeitskollegen und Umfeld dies nicht zulassen. Sie haben sich gewissermaßen arrangieren müssen. Heute ist das Thema Transgeschlechtlichkeiten einigermaßen enttabuisiert. Was stimmt ist, dass Social Media eine sehr wichtige Rolle spielt. 

Inwiefern?

Die Trans-Community ist in Sozialen Medien sehr präsent, sehr wertschätzend, verständnisvoll und einladend. Gerade in Zeiten wie diesen ist das für junge Menschen interessant, weil sie eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit verspüren. In dieser Community kann man sich geborgen fühlen. Das heißt aber nicht automatisch, dass man trans ist oder sein muss. Dies abzuklären ist Aufgabe der professionellen Behandlung.

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