5 Jahre nach dem Terroranschlag in Wien: "Die Bedrohungslage ist sehr hoch"
SPÖ-Staatssekretär Jörg Leichtfried.
SPÖ-Staatssekretär Jörg Leichtfried sieht den neuen Verfassungsschutz sehr gut aufgestellt.
KURIER: Herr Leichtfried, am 2. November jährt sich der Terroranschlag von Wien zum fünften Mal. Jeder hat so seine Erinnerung, was er an diesem Abend gerade getan hat, als die Schreckensmeldung publik geworden ist. Was ist Ihre Erinnerung?
Jörg Leichtfried: Es war schrecklich. Das Erste, was ich damals mitbekommen habe, war dieser riesige Polizeieinsatz, den es gegeben hat. Da haben wir sofort gedacht, es muss etwas Schreckliches passiert sein.
Die Bedrohung ist seither nicht weggegangen. Man muss tagtäglich damit rechnen, dass so ein Anschlag erneut passiert. Wie wird die Bedrohungslage derzeit vom Innenministerium eingestuft?
Die Bedrohungslage ist meines Erachtens sehr hoch – und das schon seit längerer Zeit. Im Gegensatz zu früher, als man Österreich noch als Insel der Seligen bezeichnet hat, haben wir international eine sehr schwierige Situation. Diese Konflikte werden auch bei uns ausgetragen, und zwar in vielfältiger Form. Es geht um Spionage, es geht um Desinformation, es geht um Radikalisierung, und es geht um Terrorismus. Die Antwort darauf ist eine starke Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) als erste dünne rote Linie, auf die Menschen und Organisation treffen, die uns schaden wollen. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die DSN gut arbeiten kann.
Die Gründung der DSN war eine der Konsequenzen aus dem Terrorattentat. Sie sind für diesen Geheimdienst zuständig. Wie beurteilen Sie dessen Arbeit?
In der DSN arbeiten vom Direktor abwärts herausragende Personen, die hoch motiviert sind und gut ausgebildet sind. Sie machen ihre Arbeit sehr gut. Allerdings treffen sie auf Situationen, die sehr stressig und manchmal auch schwer zu lösen sind. Es ist kein Zufall, dass in den vergangenen zwei Jahren neun geplante Terroranschläge verhindert werden konnten. Aber man muss auch sagen: Absolute Sicherheit gibt es nicht.
bei Gebhart: Jörg Leichtfried
Der geplante Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert konnte aber nur mithilfe ausländischer Dienste verhindert werden. Diese Zusammenarbeit scheint jetzt wieder zu funktionieren.
Das ist ganz wesentlich. Nach der unglaublichen Razzia unter Innenminister Herbert Kickl, wodurch die Vorgängerorganisation BVT zerschlagen worden ist, hatte als Konsequenz diese Zusammenarbeit praktisch nicht mehr stattgefunden. Diese Zusammenarbeit ist aber ein wesentlicher Teil der Terrorbekämpfung. Das ist auch keine Einbahnstraße, weil auch wir liefern Informationen an ausländische Behörden. Gott sei Dank funktioniert die jetzt wieder. Es ist auch eine meiner Aufgaben, zu sorgen, dass das noch besser wird. Deswegen war ich bereits in Großbritannien und fliege demnächst in die USA.
Eine Schwierigkeit bei der Zusammenarbeit war immer auch das Thema der russischen Spionage in Österreich. Zuletzt sind einige Agenten aufgeflogen. Sie wollen jetzt gemeinsam mit der Justizministerin und der Außenministerin das Spionagegesetz verschärfen. Wie sieht es da aus?
Spionage ist ein Angriff auf unsere Republik, auf unsere Demokratie und auf unsere Freiheiten. Es ist auch ein Angriff auf unser Wirtschaftssystem. Unsere Rechtslage spiegelt das aber nicht wider. Ich bin da mit der Justizministerin und der Außenministerin in gutem Austausch, um zu erörtern, was man da verbessern kann, gerade auch im Bereich der Betriebsspionage.
Wann wird da etwas auf dem Tisch liegen?
Wir sind inhaltlich schon sehr weit. Zu gegebener Zeit wird das dann in die Gesetzgebung einfließen.
Der Steirer hat eine bewegte Polit-Laufbahn in der SPÖ hinter sich. Er war Bundesvorsitzender der JG, EU-Abgeordneter, Nationalratsabgeordneter, stv. Klubobmann, Verkehrsminister, Landesrat. Seit März ist er Staatssekretär im Innenministerium.
Zurück zur DSN. Der Aufbau ist mit dem Namen des Direktors, Omar Haijawi-Pirchner, verbunden. Der zieht sich jetzt überraschend zurück. Aus persönlichen Gründen, wie er sagt. Es hält sich aber hartnäckig das Gerücht, dass er sich vom Innenministerium zu wenig unterstützt gefühlt hat.
Ich glaube, man muss die Entscheidung, die der Herr Direktor für sich getroffen hat, so respektieren. Es tut mir sehr leid, weil er hat wirklich ausgezeichnete Arbeit geliefert. Es war wirklich seine persönliche Entscheidung. Ansonsten gibt es alle Unterstützung für die DSN, die wir leisten können.
Nach dem Attentat von Wien ist die Debatte um die Überwachung von Messengerdiensten wieder aufgeflammt. In der Vorgängerregierung konnte das noch nicht beschlossen werden. Da waren auch Sie dagegen. Jetzt wird es diese Überwachung geben. Wie schwierig war es für Sie, da die persönliche Meinung zu ändern?
Man muss da genau benennen, wofür und wogegen wir da sind. Wir waren gegen die Totalüberwachung, die der Herr Kickl wollte. Daran hat sich meiner Meinung nach auch nichts geändert. Ich war ja auch einer jener, die gemeinsam mit Nikolaus Scherak von den Neos die Verfassungsbeschwerde gegen die seinerzeitige Überwachung eingebracht hatten. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist etwas anderes. Das ist eine gezielte, kurzfristige, mit großem Rechtsschutz versehene Maßnahme zur konkreten Gefährdungs- und Gefahrenabwehr bei Delikten wie Terror, Spionage und Angriffen auf die Verfassung, verbunden mit Strafen über zehn Jahre. Das ist notwendig geworden, um das verhindern zu können. Die Gefährderüberwachung setzt vor einem Delikt ein, um dieses verhindern zu können. Das ist ein Grundrechtseingriff, der meiner Meinung nach gerechtfertigt und mit hohem Rechtsschutz und Missbrauchsschutz versehen ist. Diese Kombination entspricht unserer Verfassung.
Die FPÖ hat Sie wegen dieses Beschlusses dennoch als Handlanger der ÖVP kritisiert.
Was soll man zur FPÖ sagen? Die ist einfach nur noch verantwortungslos und stimmt gegen alles, gleichgültig, was es ist. Sie weigert sich, in irgendeiner Form Verantwortung zu übernehmen, nicht einmal der Sicherheitsbereich ist ihr sehr wichtig. Sie sollte sich mehr um ihren Freundschaftsvertrag mit Russland kümmern und diesen auflösen, bevor sie sich überhaupt noch einmal zum Thema Sicherheit äußert.
Zuletzt ist eine Expertenkommission zum Ergebnis gekommen, dass der Polizeieinsatz bei der Gedenkstätte Peršmanhof in Kärnten gegen ein Antifa-Jugendlager nicht gerechtfertigt war. Sie haben diese Aufarbeitung begrüßt. Aber hätten Sie sich nicht mehr auf die Seite der Polizisten stellen müssen?
Mich hatte dieser Einsatz von Anfang an sehr befremdet, weil mir mein Juristenverstand gesagt hat, dass das schon sehr merkwürdig gewesen ist. Deswegen war ich auch froh, dass diese Expertenkommission eingesetzt worden ist. Es hat sich herausgestellt, dass es im wesentlichen drei Personen gibt, die für den Einsatz verantwortlich sind. Jetzt werden strafrechtlich relevante Tatbestände überprüft, und in der Folge wird auch disziplinarrechtlich vorgegangen. Das ist der richtige Weg.
Ein Thema, das Sie unbedingt noch erledigen wollen, ist ein Alterslimit für die Nutzung von sozialen Medien. 15 Jahre sind als Grenze angedacht. Wie schwer wird es, das umzusetzen?
Wieso interessiert sich das Staatssekretariat, das für den Verfassungsschutz zuständig ist, für Social Media? Der Grund ist, dass die Online-Radikalisierung sowohl im islamistischen als auch im rechtsextremen Bereich immer mehr zunimmt. Da haben sich die Fälle zuletzt innerhalb eines Jahres verdoppelt. Es werden Menschen beeinflusst, radikalisiert, so weit gebracht, darüber nachzudenken, ob sie Anschläge verüben wollen. Die zweite Erkenntnis ist, dass die Betroffenen immer jünger werden. Die Kinder davor zu schützen, ist für uns eine wesentliche Aufgabe.
Hat da die Justizministerin nicht sofort gesagt, dass das ganz schwierig werden wird?
Es haben einige wenige, die immer gegen alles sind – da kann man wieder einmal die FPÖ ansprechen – gemeint, dass das schwierig ist. Aber wir sehen, dass das bereits mehrere europäische Länder planen. Am weitesten ist Griechenland. Das Thema ist aber auch eine Priorität der dänischen Ratspräsidentschaft.
Wer sind da die Täter? Jene, die posten, oder die Eltern, die ihren Kinder den Zugang zu den sozialen Medien ermöglichen?
Die Täter sind in der Regel extremistische Gruppierungen. Wenn man über Mobbing spricht, dann sind es andere. Und weil die Eltern angesprochen worden sind: Ich habe noch nie so viel Feedback von Eltern bekommen, die froh sind, dass der Gesetzgeber hier tätig werden will.
Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit mit ÖVP-Innenminister Gerhard Karner? In Ihrer Zeit als Oppositionspolitiker war er auch immer wieder Ziel von politischen Angriffen.
Ich habe als Oppositionspolitiker immer dafür gesorgt, dass ich überall eine tragfähige Gesprächsbasis hatte. Das ist mir relativ gut gelungen. Die Zusammenarbeit mit Gerhard Karner ist eine sehr, sehr gute. Wir respektieren uns gegenseitig und arbeiten gut zusammen.
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