Schwägerin von Hamas-Geisel: "Die Hamas lebt vom Leiden der Palästinenser"

Drei Mitglieder ihrer Familie wurden von der Hamas ermordet, sechs als Geiseln genommen. Ihr Schwager Tal – die österreichische Geisel – ist inzwischen frei. Shaked Haran aber kämpft weiter für die Freilassung der verbliebenen Geiseln, versucht immer noch, die Welt über die Realität in Gaza aufzuklären und fordert internationales Eingreifen als einzigen sinnvollen Ausweg aus diesem Krieg.

KURIER: Die Bilder der hungernden israelischen Geiseln schockierten die Öffentlichkeit. Sie auch?

Shaked Haran: Hamas benutzt diese Geiseln, um auf zynische Weise Propaganda zu machen. Wenn man sich das Propagandavideo mit Evyatar ansieht, fällt der muskulöse Arm auf, wie er dem Hungernden Essen reicht. Während also die Hamas Essen hat, werden die Geiseln – und womöglich die eigene Bevölkerung – bewusst ausgehungert. Die Schuld wird Israel gegeben. Die Botschaft: Israel ist schuld, wenn die Geisel hungert.

Die Menschen verstehen nicht, wie wichtig die Rolle der internationalen Medien ist. Mein Schwager Tal hat erzählt, dass die Terroristen ihm und den anderen Geiseln vor der Freilassung reichlich Essen gegeben haben. Die Geiseln, die davor freigelassen worden waren, waren halb verhungert, und die Welt war empört über diese Misshandlung. Als Hamas das mitbekam, gab sie ihnen Essen. Es gibt also eine direkte Linie zwischen der Reaktion der Weltpresse und dem Überleben der Geiseln.

Viel größer aber ist die weltweite Empörung über Israels Vorgehen im Gazastreifen. Was ist schiefgelaufen?

Die Debatte über den Hunger in Gaza, da kann man nicht so einfach schwarz-weiß malen. Ist Israel schuld, oder ist Israel nicht auch zugleich das einzige Land, das Nahrung dorthin liefert? Die Hamas aber bemächtigt sich dieser Hilfsgüter und nützt sie so, dass weitere Menschen getötet werden.

Wie beurteilen Sie die Kritik an Israel?

Ich bin Israelin, ich habe meine Regierung, vor dem 7. Oktober kritisiert – und nach dem 7. Oktober, denn wir sind auch heute ein demokratisches Land. Wir haben ein Recht auf unsere Meinung. Das ist nicht die Regierung, die ich wählen würde, aber zur Zeit konzentriert sich die Kritik der Welt allein auf diese Regierung und nicht auf die Hamas und ihre Helfer. Hätte man klüger vorgehen können? Vielleicht, aber die Motive auf beiden Seiten dieses Konflikts sind komplett unterschiedlich: Israel will die Geiseln freibekommen und in Sicherheit leben. Das Motiv der Hamas ist, Israel zu zerstören, und es kümmert sie nicht, dass sie das Leben der Palästinenser zerstört.

Worauf fußt dieser Vorwurf?

Als Tal freigelassen wurde, hat er erzählt, dass er in Krankenwagen des Roten Halbmonds transportiert, in Moscheen und in Wohnungen von Familien untergebracht wurde. Er fragte die Terroristen, ob es sie nicht kümmern würde, dass sie das Leben all dieser Menschen riskieren würden. Sie sagten: Nein, so bekommen sie die Chance zum Märtyrer zu werden. Es ist egal, wie viele Hamas-Terroristen man tötet, es kümmert sie nicht. Sie haben die Kontrolle über alle humanitäre Hilfe, alles Geld in Gaza. Sie halten also nicht nur die Israelis als Geiseln, sondern alle Palästinenser dort.

Was ist also das Ziel der Hamas in diesem Krieg?

Wir haben es mit einer Terrororganisation zu tun, der das Leid in Gaza egal ist. Viel schlimmer, die vom Leid profitiert, davon lebt. Wenn die Welt Fotos von hungernden Kindern sieht, profitiert die Hamas, wird stärker, attraktiv für die Welt, wenn die israelischen Geiseln leiden, profitiert die Hamas. Wenn die Palästinenser leiden, profitiert die Hamas.

Was sollte der Westen, also auch Europa tun?Die Welt ist blind. Sieht sie denn nicht, dass ein internationales Eingreifen das alles hätte verhindern können? Es könnte heute schon Geschichte sein. Wenn die Welt die Hamas so behandelt hätte, wie sie wirklich ist – eine Terrororganisation – würden wir hier nicht mehr sitzen, und viele Leben auch von Palästinensern wären gerettet worden. Wenn man dagegen Israel alleine lässt, um diese Situation zu bewältigen, wird es immer und immer schwieriger, und es gibt immer mehr Gewalt. Am Ende hat Israel nur seine militärische Überlegenheit gegenüber der Hamas zur Verfügung. Die Welt hätte andere Möglichkeiten gehabt. Sie hätte die Millionen von Dollar, die an die Hamas gingen, stoppen können.

Was denken Sie, wenn Sie die Proteste für Gaza und gegen Israel beobachten? 

Viele Menschen sind faul. Sie machen ihre Denkarbeit nicht, sie teilen die Welt gerne in die Guten und in die Schlechten ein. Weil Israel ein erfolgreiches Land ist, mit militärischer Stärke, muss es immer der Böse sein. Diese jungen Leute, diese progressiven Linken, sind zumindest faul, im schlimmsten Fall sogar dumm. Wenn man die Chance bekommt, mit ihnen vernünftig zu reden, gehen ihnen sehr rasch die Argumente aus. Hamas, Katar und der Iran sind Propagandamaschinen. Keiner spricht von der Zeit vor dem 7. Oktober, davon, dass die Hamas alles in der Hand hatte, Schulen, Krankenhäuser. Es gibt eine Grenze mit Ägypten, warum reden wir nur über die Grenze zu Israel.

Gegen wen also richtet sich der Krieg der Hamas?

Diese Verbrechen des 7. Oktober, sie waren gegen Juden gerichtet. Der Hamas ist es egal, ob Netanjahu oder ein anderer Israel regiert. Das kümmert sie nicht, sie wollen kein Israel dort, und zwar weil sie dort keine Juden haben wollen. Aber das alles richtet sich nicht nur gegen Israel, nicht nur gegen Juden, sondern gegen die gesamte zivilisierte Welt. Die redet über Menschenrechte, internationale Standards, Rechtsstaatlichkeit … Hamas hat genau das attackiert.

Was aber bedeutet das alles für Sie persönlich? Es gibt eine starke Linke in Israel, ich selbst war eine Linke. Ich weiß nicht mehr genau, wo ich heute stehe, Als ich im Kibbuz unweit des Gazastreifens gelebt habe, hat uns das Schicksal der Palästinenser dort oft mehr beschäftigt als unsere eigenen Probleme. Es geht nicht darum, dass wir das Leid der Menschen in Gaza nicht sehen, aber ich habe es mit einer Terrorgruppe zu tun, die ihre eigenen Landsleute als Geiseln hält, die eine Stimmung geschaffen hat, in der es als besser galt, sich eine Bombe umzuschnallen und Menschen zu töten als in die Schule zu gehen. Wer verstehen will, was die Hamas will, muss ihr nur zuhören. Sie will uns alle töten, will Israel verschwinden sehen und alle Juden. Das ist die Realität – und dann will man Israel verbieten, darauf aggressiv zu reagieren?