Startschuss Wahlkampf, die Vierte

Applaus der Packer für „Do it yourself“-Wahlkampf: Van der Bellen überraschte seine Helfer
Die Kampagnen von Van der Bellen und Hofer nehmen wieder Fahrt auf.

Und plötzlich gellt ein Schrei durch die Lindengasse. Es passiert auf Hausnummer 40, da, wo die Fenster offen stehen. Ein Mann, er heißt Dieter, klettert auf einen Tisch und brüllt seine Freude ins Zimmer. "Wir haben’s geschafft! 1000 Pakete! Und gebraucht haben wir halb so lang wie beim letzten Mal!"

Applaus brandet auf, Freudenpfiffe – da sag’ noch einer, aus dem Wahlkampf sei die Luft raus.

An normalen Tagen gehört das Haus in der Wiener Lindengasse den Grünen. Aber es ist Wahlkampf, verrückte Zeiten irgendwie, und deshalb ist hier bis 8. Dezember die "Mitmachzentrale" von Alexander Van der Bellens Wahlbewegung eingerichtet.

Nicht reden, tun

130 Freiwillige, darunter kein einziger Mitarbeiter der Grünen, machen Tag für Tag im Kleinen, was im US-Wahlkampf im Großen abläuft: Sie kümmern sich um die Grassroots-Bewegung (Graswurzeln, von unten herauf), und dazu gehört: Potenzielle freie Mitarbeiter – derzeit haben sich 8000 gemeldet – werden angerufen; oder man hilft eben beim Verpacken der Mitmachpakete für den "Do it yourself"-Wahlkampf.

Claire ist eine von ihnen. Im Zivilberuf Volksschullehrerin, hat die 24-Jährige nie für eine Partei gejobbt. "Aber bei dieser Wahl wollte ich nicht nur reden, sondern aktiv etwas tun." Und weil sie nicht gern an Ständen Flyer verteilt, hilft sie beim Verschicken der Mitmachpakete.

Wozu das Ganze? Was hat es mit den Packerln auf sich?

"Die Pakete gehen aufs Land, also in Gemeinden, wo die Wahlbewegung keine institutionalisierte Struktur hat", sagt eine Mitarbeiterin.

In den Kartons findet sich alles, was man für einen "Do it yourself"-Wahlkampf braucht: Sticker, Folder, VdB-Buttons, Sportgummis und ein persönlicher Brief von Alexander Van der Bellen.

Überraschungsgast

Apropos: Als der Pack-Trupp gerade in Fahrt kommt, steht der, um den es geht, plötzlich unangekündigt am Tisch-Ende. "Sich neben Job, Familie, Uni oder Lehre noch in einer Kampagne zu engagieren, zeigt, wie wichtig Ihnen die Zukunft unseres Landes ist", sagt Van der Bellen.

"Termine wie dieser geben ihm Kraft", raunt eine Mitarbeiterin dem Beobachter zu – und das ist wörtlich gemeint. Denn in der VdB-Bewegung wie im Team von Kontrahent Norbert Hofer ist es mittlerweile unübersehbar, dass die Sieben-Tage-Wochen Substanz kosten.

"Im Schnitt dauert ein Intensiv-Wahlkampf drei Monate. Wir halten jetzt bei einem Jahr, haben also facto vier Wahlkämpfe am Stück gemacht. Das gab’s noch nie", sagt ein VdB-Stratege.

Kräftesparend

Im Stab Norbert Hofers macht man erst gar kein Geheimnis daraus, dass man Kräfte-sparend agiert – allein schon ob der physischen Einschränkung des Spitzenkandidaten. "Wir bleiben beim klassischen Wahlkampf", sagt ein FPÖ-Sprecher zum KURIER. Soll heißen: Der derzeit durch eine Grippe geschwächte FPÖ-Kandidat versucht über Interviews und fein ausgewählte Termine in die Fläche zu kommen. Termine wie am 26. Oktober, wo er Hunderten Besuchern beim Tag der offenen Tür im Parlament die Hand schüttelte, werden bedächtig in den Terminkalender gesetzt. Freiwilligen-Aktionen wie die der VdB-Bewegung hat die FPÖ nicht am Laufen, die Initiative "Christen für Norbert Hofer" versucht im Netz zu mobilisieren.

In der Lindengasse ist es mittlerweile Abend geworden. Nach getaner Arbeit stehen Bier, Lebkuchen und Chips auf den Tischen und Dieter, der Jubelmann von vorhin, hat für die gern verlachte und verachtete Parteipolitik durchaus Positives übrig: "Ich bin Wechselwähler, hab’ mich nie für eine Partei engagiert. Aber dieser Wahlkampf scheint sehr professionell abzulaufen."

Das ist das Lob für die Organisation. Wirklich beeindruckt hat den Bewegungstherapeuten aber anderes: "Die Bürger haben von der Politik nicht die Nase voll, im Gegenteil: Ich hab’ keinen Wahlkampf erlebt, in dem sich so viele engagieren wollten."

Heute in einem Monat findet er seine Fortsetzung, der Krimi rund um die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten. Nach dem Fotofinish am 22. Mai, der FPÖ-Wahlanfechtung, der Wahlaufhebung, "Klebergate" und Verschiebung müssen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer am 4. Dezember erneut um den Sieg zittern. Laut den bisherigen Umfragen sieht es erneut nach einem knappen Rennen aus.

Die Nervosität ist in den Gemeinden und Bezirken zunehmend zum Greifen. Niemand will derjenige sein, der schuld ist an einer neuerlichen Wahlaufhebung, weiß auch Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer: "Deshalb sind jetzt einige vielleicht übergenau, aber das macht mich zuversichtlich, dass diesmal alles klappt."

Wahlbeisitzer ausgetauscht

Die Wahl-Kommissionen stehen zu einem Großteil schon fest. In einigen Bezirken sind Wahl-Beisitzer abgesprungen. In Freistadt beispielsweise waren es vier, sagt Bezirkshauptmann Alois Hochedlinger: "Die Wahlaufhebung hat die Freude an dieser Tätigkeit nicht gerade steigen lassen." Und ein Beisitzer sagt zum KURIER halb im Scherz: "Wir trauen uns zukünftig nicht einmal mehr, ohne fragen aufs Klo zu gehen." Nachsatz: "Protokollieren müssen wir’s auf jeden Fall."

Einigen Wahlbeisitzern schlagen auch die schleppenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aufs Gemüt – in 20 Bezirken wird wegen Amtsmissbrauchs bzw. Urkundenfälschung ermittelt, bisher ohne Ergebnis. "Bei uns haben sich zwei Beisitzer abgemeldet, weil sie keine Lust haben, sich ein zweites Mal dem Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen", sagt Bernd Riepan, Bezirkshauptmann von Villach-Land.

eLearning kaum genutzt

Auch im Innenministerium überlässt man nichts mehr dem Zufall. Ein umfassendes eLearning-Modul für die Wahlkartenauszählung, bei der es zuletzt ja massiv gehapert hatte, wurde online gestellt – bisher aber kaum genutzt, sagt ein Sprecher: "Je näher die Wahl rückt, umso größer dürfte die Nachfrage werden, so hoffen wir."

Weil die Wahl wegen einer Kleberschwäche bei den Wahlkarten verschoben werden musste, gibt es jetzt neue Kuverts, die laut einem Sprecher einer "laufenden und umfassenden Qualitätskontrolle" unterzogen werden. Bis 7. November werden die neuen Wahlkarten in alle Gemeinden ausgeliefert.

Der Gemeindebund hat eine Checkliste ausgegeben. Darin wird unter anderem dazu geraten, Stichproben bei den Drucksorten durchzuführen und "selbst bei nur geringfügigen Beschädigungen" das Innenministerium zu kontaktieren.

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