"Sind beide auf Widerspruch ausgerichtet"

"Sind beide auf Widerspruch ausgerichtet"
Auch im Kabinett Kern geht der Streit weiter. Vize Mitterlehner kritisiert das Verhalten scharf.

KURIER: Herr Mitterlehner, innerhalb von 24 Stunden passierte ein Attentat in Nizza und ein Putschversuch in der Türkei. Was waren Ihre ersten Gedanken bei dieser Abfolge an Ereignissen?

Reinhold Mitterlehner:Ich zwar sehr schockiert. Denn eigentlich hatte man bei der EURO bei jedem Match mit einem Anschlag gerechnet. Da passierte zum Glück nichts, man atmete erleichtert auf. Und dann das. Dieses Attentat ist erschütternd, weil sich Anschläge wie in Nizza, selbst mit dem besten Geheimdienst, kaum verhindern lassen. Einen Lastwagen als Waffe findet man millionenfach im Land. Was die Türkei anbelangt, hoffe ich, dass sich die demokratischen Kräfte durchsetzen und Rechtsstaat und Stabilität wiederherstellen.

Es herrscht die höchste Terrorwarnstufe, trotzdem konnte das Attentat in Nizza nicht verhindert werden. Muss man sich eingestehen, dass der Staat machtlos ist?

Die Analyse nach diesen Anschlägen lautet meistens: Man muss dem Terror den geistigen Nährboden entziehen. Das ist eine Aufklärungs-, Informations- und Integrationsarbeit, die viele Jahre dauern wird. Deswegen glaube ich, dass wir solchen Attacken noch jahrelang ausgesetzt sein werden. Die Angst davor wird uns im Leben begleiten und zum Alltag gehören. Das ist leider eine sehr traurige Entwicklung.

Vor zwei Monaten wurde Christian Kern zum Bundeskanzler angelobt und der "New Deal" angekündigt. Sie haben sich mit den Worten "Ja, ich will" eindeutig zur neuen Linie bekannt. Verdient die Zusammenarbeit die Überschrift "New Deal" tatsächlich schon?

Ich habe schon gesagt: "Wir wollen." Und bei dem WIR orte ich das Problem in beiden Parteien. Die DNA ist auf beiden Seiten auf Widerspruch, Auseinandersetzung und Aufzeigen der Gegensätze ausgerichtet. In der Regierung hingegen sehe ich schon – besonders was Kanzler und Vizekanzler betrifft –, dass die anstehenden Probleme intensiv angegangen worden sind. Das sieht man am Beispiel des Start-up-Pakets, an der Reform der Gewerbeordnung oder an der Positionierung beim Bankenpaket. Das war keine Klientelpolitik. Die neue Linie und ein Ruck nach vorne sind schon spürbar.

Die neue Linie hat sich noch nicht bis in die hinteren Reihen in der Partei durchgesprochen. Das Hickhack, wie aktuell beim Schulpaket, geht munter weiter. Wir wollen Sie dieses Problem lösen?

Wir sind keine Zweier-GesmbH, die Österreich besitzt. Die Reflexe sind in beiden Parteien die gleichen. Das kann man nur lösen, indem die Parteiführung die neue Linie vorlebt. Sie werden mich und den Kanzler in den letzten zwei Monaten bei derartigen Auseinandersetzungen nicht ertappt haben. Gegenseitige persönliche Angriffe gibt es trotz sachlicher Unterschiede nicht.Das Verhaltensmuster wird sich auch in den Parteien aufhören, auch weil es keine Alternative gibt. Jetzt, wo die Bundespräsidentenwahl nochmals aufgelegt wird, können wir es uns nicht leisten, auch auf der Nationalratsebene eine Auseinandersetzung zu führen. Das sehe ich als Gefahr und Chance zugleich.

Die SPÖ will die 750 Millionen für die Ganztagsschule verwenden. Die ÖVP will den Schulen die Wahlfreiheit zwischen Ganztagsschule und Nachmittagsbetreuung geben. Die Länder wollen, wenn kein Bedarf an Ganztagsschulen besteht, das Geld für Kindergärten verwenden. Werden die 750 Millionen auch zur Schaffung von Kindergartenplätzen verwendet?

Das Geld wird ausdrücklich nicht dafür verwendet. Für Kindergärten gibt es ein eigenes Ausbauprogramm. Hier geht es nur darum, Personalkosten zu übernehmen. Das will der Bund nicht. Unser Ziel ist es, ein Bildungspaket zu schnüren, weil das Nachmittagsangebot derzeit nur bei 22 Prozent steht. Die Feststellung, es wäre kein Bedarf da, ist unrichtig und nicht argumentierbar. Vor Kurzem erst wurde das Kindergartenangebot auf Ganztagsbetreuung großflächig ausgebaut. Der nächste logische Schritt ist, auch in den Schulen das Ganztagsangebot bedarfsgerecht aufzustocken. Es braucht Wahlfreiheit.

SPÖ-Klubobmann Schieder meint, er kann das Propagandageschwätz der Wahlfreiheit nicht mehr hören, und dass Sobotka, Kurz und Lopatka Quertreiber in der Koalition sind.

Unsinn. Der SPÖ-Klubobmann soll sich bitte einfach auf die Analyse seiner Partei konzentrieren und die Querschüsse einstellen.

Werden die Länder einen Anteil von den 750 Mio. bekommen?

Das ist schon so vereinbart. Aber das wird im Detail noch zu entwickeln sein.

Beschreibt der Streit ums Schulpaket nicht die Misere? Die Regierung schnürt ein Maßnahmenpaket. Anschließend wird jedes Wort der Vereinbarung neu interpretiert.

Um dieses Hickhack zu vermeiden, haben wir im Ministerrat lange um die genaue Formulierung gerungen. In diesem einen Punkt scheint es uns nicht ganz gelungen zu sein. Aber es ändert nichts daran, dass die Linie bleiben wird. Das ist nach den Irritationen mit allen Betroffenen auch abgeklärt. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich es unnötig finde, dass jeder seine Standpunkte sofort in den Medien bekannt gibt. Wenn wir uns das nicht langsam abgewöhnen, dürfen wir uns über bestimmte Entwicklungen nicht wundern.

Die Zeit drängt. Welche Pflöcke sollen im Herbst eingeschlagen werden?

Neben den fünf angekündigten Projekten wollen wir im Herbst das leidige Steuerthema mit einer Lösung in der Frage der kalten Progression in den Griff bekommen. Das wäre wichtig, weil sonst die Vorteile der neuen Steuerreform nach drei Jahren schon wieder erschöpft sind. Ein weiteres Thema, das wir angehen müssen, sind flexiblere Arbeitszeiten. Die dritte Komponente wird sein, dass wir die neue Aufgabenwahrnehmung beim Staat in ein gewisses System bekommen. Salzburg schlägt uns einen Deregulierungsbeauftragten vor. Hier kann ich mir nach dem Vorbild Großbritanniens eine kühne Ansage vorstellen, wie, dass für jedes neue Gesetz zwei alte Gesetze weg müssen.

In den letzten 25 Jahren schaffte die Politik bei der Gewerbeordnung nur Reförmchen. Warum soll der große Wurf gelingen?

Wir sind die Reform insofern ganz gut angegangen, weil wir nicht bei der Organisation ansetzen, sondern beim Unternehmer. Wir haben 440 freie Gewerbe, wo ich keine Extra-Qualifikation brauche, sondern nur die Anmeldung. Das soll in Zukunft vereinfacht und entbürokratisiert werden sowie weniger Kosten für den Unternehmer verursachen. Der zweite Ansatzpunkt sind die 82 reglementierten Gewerbe, wo stets mit der Qualifikation argumentiert wird. Auch da werden wir überprüfen, ob wir nicht weniger zustande bringen können, ohne gleich den Meister infrage zu stellen.

Wenn ein Unternehmer nur mehr einen Schein statt bisher vier Scheine benötigt, entfällt der Wirtschaftskammer der Umlagenbeitrag. Sie meinen, das wird einfach so hingenommen?

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Finanzierung. Man wird sich in der Fachorganisationsstruktur überlegen müssen, wie man reagiert, was man eventuell zusammenlegen kann. Und die Gegenargumente, die uns derzeit in den Weg gelegt werden, dass wir die Kollektivvertragssystematik stören oder die Lehrlingsausbildung infrage stellen, werden wir entkräften. Der Handel ist auch ein freies Gewerbe und hier funktioniert die Lehrlingsausbildung sehr gut. Sie werden unseren Erfolg ganz einfach messen können: Wenn wir nur Lob bekommen, ist die Reform so viel wert wie ein schlechter Tennisaufschlag, der immer ins Feld geht. Dann nimmt man zu wenig Risiko.

Die Gerüchte, dass 2017 statt 2018 schon gewählt wird, verstummen nicht. Dazu kommt, dass Österreich möglicherweise wegen des Brexit die EU-Ratspräsidentschaft statt Anfang 2019 schon im Herbst 2018 übernimmt. Wäre das ein Grund für vorgezogene Wahlen?

Ich möchte die Spekulationen um Neuwahlen nicht befeuern. Mein Ziel ist es, die Zeit seriös für konkrete Arbeit zu nützen. Die Regierung wird meiner Meinung nach unter ihrem Wert geschlagen. Dem Satz – die Stimmung ist schlechter als die Lage – wollen wir entgegenwirken. Das ist jetzt die Chance dafür – wann immer Neuwahlen stattfinden.

Die ÖVP liegt derzeit nur bei 20 Prozent. Werden Sie versuchen auf der Welle nun mit nach oben zu schwimmen? Oder steht zu befürchten, wenn die Reformen klappen, dass Christian Kern die Wählerstimmen abräumt?

Es ist logisch, dass der Erste immer etwas bessere Chancen hat. Meine Einschätzung ist, dass beide miteinander nach oben gehen, wenn Leistung gebracht wird. Statt der Auseinandersetzung der Regierungsparteien ist die Auseinandersetzung mit den Oppositionsparteien notwendig, etwa mit den Inhalten der FPÖ. Hier herrscht eine Unsicherheit und ein Populismus, der auch beweisbar ist. Bestes Beispiel: Drei Tage nach dem Brexit hat der FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat schon den Öxit in den Mund genommen. Als klar wurde, wie groß die Probleme für die Briten werden, hat man den Öxit zurückgenommen. Genau hier muss man stärker aufzeigen, dass der Konkurrent fragwürdige Inhalte aufweist, die uns nicht weiterbringen.

Kommentare