Sigmar Gabriel: "Deutschland hat die EU vernachlässigt"

Interview mit Sigmar Gabriel SPD Bundesaussenminister a D und Vorsitzender der Atlantik Bruecke
Beim Europaforum sprach der Ex-SPD-Vizekanzler mit dem KURIER über die Rolle der Deutschen in der EU, Donald Trump, den Zustand der SPD und die Hoffnung auf ein Wirtschaftswachstum.

Beim Europaforum Wachau im Stift Göttweig konnte der neue Präsident Michael Linhart, ehemaliger Außenminister und Diplomat, diesmal auch den ehemaligen SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel als Redner begrüßen.

Dessen Botschaft war, dass sich Europa neu aufstellen müsse und nicht darauf hoffen dürfe, dass die USA – auch nicht nach Präsident Donald Trump – seine Interessen wieder mehr auf Europa ausrichten werde. Dennoch sollte man trachten, die Beziehungen mit den USA aufrechtzuerhalten.

KURIER: Wie sollen die Beziehungen mit Amerika aufrechterhalten werden? Und vor allem, wer soll sie aufrechterhalten? Die Einzelstaaten? Die werden in Washington mehr respektiert als die EU.

Sigmar Gabriel: Auf die Nationalstaaten kommt es an. Man darf nicht erwarten, dass Donald Trump die Institution, die Idee einer Europäischen Union versteht. Da darf man dann auch nicht erwarten, dass er deren Repräsentanten besonders ernst nimmt. Das ist nicht schön, das ist manchmal sogar unhöflich, aber im Kern müssen die Nationalstaaten die Europäische Union dort gemeinsam vertreten. Das ist nicht ganz einfach, weil wir Mitgliedsstaaten haben, die auch die EU dekonstruieren wollen. Ihr Nachbarstaat Ungarn gehört da dazu. Aber bei Weitem nicht nur der. Denen fehlt allen nur ein Anführer. Wenn Frau Le Pen den nächsten Präsidenten stellen sollte, dann gibt es den. Insofern ist Europa selber nicht ohne Gefahr.

Was ist das Mittel dagegen?

Es kommt sehr darauf an, dass die starken liberalen Demokratien zusammenhalten. Und auch überlegen, wie sie diese liberalen Demokratien innerhalb Europas stärken und dann gemeinschaftlich in Washington auftreten. Das wird nicht anders gehen.

Kann Deutschland wieder eine der treibenden Kräfte in der EU werden? In der Dreier-Regierung unter SPD-Führung wurde Europa eher vernachlässigt.

Deswegen war es auch nicht gut. Die Deutschen haben Europa nachhaltig vernachlässigt. Die letzte Regierung hat sich nicht für Frankreich interessiert und das Verhältnis auf einen Nullpunkt gebracht. Die letzte Regierung hat sich zu sehr auf Deutschland konzentriert und hat die Aufgaben Deutschlands, seine Kraft in den Dienst der Europäischen Union zu stellen, vernachlässigt. Und zwar sträflich.

Besteht Hoffnung, dass sich das unter dem neuen CDU-Kanzler Friedrich Merz wieder ändert?

Was man sehen kann: der neue Bundeskanzler Friedrich Merz versteht sich als außenpolitischer Bundeskanzler. Und das ist richtig.

Wie gefestigt ist Ihrer Meinung nach die CDU/CSU/ SPD-Koalition?

Ich halte die für sehr gefestigt. Dass da jetzt Streufeuer kommt aus Reihen der SPD, das ist leider eine Krankheit, die die SPD immer wieder hat. Opposition in der Regierung spielen. Aber ich denke doch, dass der Parteivorsitzende und die Bundestagsfraktion das beenden werden. Ich vermute in der typischen Art, indem man am Parteitag irgendeinen Formelkompromiss beschließt, hinter dem sich jeder verstecken kann. Das einzige Problem, das dabei dann entsteht: Wofür die SPD dann wirklich steht, bleibt unklar.

Sie haben in einem Interview Ihre SPD wegen der Positionierung schwer kritisiert. Dabei haben Sie auch darauf verwiesen, dass sie zu akademisiert ist. Was meinen Sie damit?

Die Sozialdemokratie ist ein bisschen Opfer ihres Erfolges. Wir haben sehr viel dafür getan, dass weit mehr Menschen Abitur machen oder studieren können. Als ich Schüler war, haben ganze 10 Prozent meines Jahrgangs Abitur gemacht, mehr nicht. Inzwischen sind das 40 bis 45 Prozent. In der Politik finden wir die häufig wieder. Was uns aber völlig fehlt, sind Handwerker, Polizeibeamte, Krankenschwestern, Angestellte, Unternehmer, Facharbeiter. Die kommen schon nicht, weil wir ihre Sprache nicht mehr sprechen. Und weil sie wissen, dass sie sich kulturell bei uns fremd fühlen. Für eine ursprüngliche Arbeitnehmerpartei ist das fast schon ein Todesurteil.

Für die Arbeitnehmerpartei SPD ist es auch schwierig, dass der Migrationskurs komplett geändert, verschärft worden ist.

Nein, das wird ihr helfen. Dass sie dabei mithilft, den Migrationskurs so zu verändern, damit wir mit der Migration fertig werden und nicht jedes Jahr 300.000 illegale Einwanderer in Deutschland bleiben können. Und dass wir endlich dazu kommen, konsequenter abzuschieben, auf der anderen Seite aber dafür sorgen, dass wir nicht weiterhin so schlechte Integrationsmaßnahmen haben. Das alles kann ja nur helfen. Ein drastischerer Kurs zur Begrenzung der illegalen Zuwanderung, der von der CDU/CSU vorangetrieben wird, wird auch der SPD helfen.

Österreich hofft aus Eigeninteresse sehr darauf, dass der deutsche Wirtschaftsmotor jetzt anspringt. Ist die Hoffnung berechtigt?

Die Konjunktur wird durch diese riesigen Milliarden-Pakete, die Friedrich Merz da losgetreten hat, anspringen. Bei der Verteidigung kann es sogar noch mehr werden. Was fehlt, sind die Strukturreformen, die Deutschland machen muss, um auch wieder attraktiv für Investoren, für Start ups, die wachsen wollen, zu sein. Meine Hoffnung ist, dass die jetzige Regierung nicht den Fehler macht, zu glauben, Geld in die Volkswirtschaft zu schmeißen würde langfristig Wirtschaftswachstum bedeuten. Das funktioniert nur, wenn Deutschland als Investitionsstandort, als Platz für Unternehmen, die sich bei uns ansiedeln oder die ausbauen wollen, interessant bleibt. Dafür ist Bürokratieabbau eines der wichtigsten Themen.

Es geht irgendwie immer um Bürokratie. Auf EU-Ebene, in Deutschland, natürlich auch in Österreich.

Aber wir stimmen immer zu. Es ist ja nichts, was in der EU erfunden worden ist, das nicht vorher durch die Nationalparlamente gegangen ist. Es gibt für jedes Einzelne dieser Gesetze oft einen Grund, aber in der Summe ersticken wir daran.

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