Sicherheitsleck bei Bürgerkarte: Rückschlag für Internet-Nation Estland
Öffis benutzen, Behördenwege online erledigen, bargeldlos zahlen, Rezepte und Befunde abrufen, eine Firma per Internet gründen und online wählen – das und mehr können volljährige Esten, die einen elektronischen Personalausweis besitzen. Und das sind mehr als 750.000 der 1,3 Millionen Einwohner des baltischen Landes.
Nur heiraten, sich scheiden lassen, Grundstücke verkaufen und die ID-Karte erstmalig abholen müssen sie noch persönlich.
Datenschutzbedenken sind den Menschen fremd, sie vertrauen auf die Sicherheit der verwendeten Technologien. Dass dieses Gefühl trügerisch sein kann, zeigte sich erstmals 2007 bei wochenlangen Hackerattacken auf staatliche Stellen und neuerlich vor zwei Monaten.
Update nötig
Damals wurde eine Sicherheitslücke beim Sicherheitszertifikat der ID-Karten entdeckt. Laut Experten gibt es im Internet bereits Schadsoftware, die die Lücke ausnutzen kann, um Gesundheitsdaten von Karteninhabern und andere heikle Informationen auszulesen.
Um deren erwarteten Einsatz durch Hacker zuvorzukommen, setzte die Regierung Freitag Mitternacht das Zertifikat und damit die Karten außer Kraft. Austauschen können das Zertifikat nur Ärzte und Justizmitarbeiter, die die Karte für ihre Arbeit benötigen.
Alle anderen Bürger sollen bis zur Behebung des Problems durch ein Update Identifikationssysteme basierend auf SIM-Karten verwenden.
"e-Residency"
Für E-Estonia, so nennt sich Estland selbst, ist das Sicherheitsleck zumindest peinlich. Seit den 1990er-Jahren ist das Land Vorreiter in Sachen Digitalisierung, hat diese zu seinem Identitätsmerkmal gemacht und treibt sie als derzeitiges EU-Vorsitzland europaweit voran. Ämter arbeiten in Estland ebenso internetbasiert wie Schulen oder Spitäler.
Nirgendwo in Europa werden im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr erfolgreiche Start-ups gegründet als hier – Stichwort Skype.
Estland wirbt damit, dass man eine Firma binnen Minuten online gründen könne und bietet das auch Ausländern in Form der "e-Residency" an. Mehr als 23.000 Menschen nahmen diese virtuelle "Staatsbürgerschaft", die keine wirkliche Einbürgerung ist, seit 2015 in Anspruch und profitieren so von der digitalen Infrastruktur des Landes.
Es gibt auch immer mehr britische "e-Residents", die sich via Estland den Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten wollen.
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