„Sehe kein neues Brexit-Referendum“
KURIER: Herr Eichtinger, im Moment deutet alles auf einen harten Brexit hin. Ist das realistisch oder steckt dahinter ein Kräftemessen, wer als Erster am Verhandlungstisch die Nerven wegschmeißt? Martin Eichtinger: Der harte Brexit kann als Worst Case -Szenario passieren. Deswegen hat Österreich bereits eine Task Force eingerichtet, wo auch die Bundesländer eingebunden sind, um sich kontinuierlich auf den harten Brexit vorzubereiten. Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viel mit meinen Kontakten in Großbritannien telefoniert. Es gibt positive Signale für ein Austrittsabkommen, aber alle meine politischen Kontakte sagen auch: Bereitet euch auch auf einen harten Brexit vor.
Wenn es eine Task Force gibt, bedeutet das im Umkehrschluss: Österreich glaubt nicht mehr an eine Einigung?
Wir hoffen auf eine vernünftige Einigung. Es wäre aber fahrlässig, würden wir nicht alle Szenarien andenken. Denn wenn es keinen Deal gibt, trifft uns das buchstäblich am 29. März 2019 über Nacht. Wenn die Exporte behindert werden, reduziert das das Wirtschaftswachstum. Allein Österreich hat zehn Milliarden Euro Handelsvolumen und sieben Milliarden direkte Investitionen in Großbritannien. Die No-Deal Situation ist für die EU mit sehr negativen Folgen behaftet, aber für die Briten eine Katastrophe. Deswegen glaube ich an die Vernunft und hoffe, dass es in letzter Minute eine Einigung geben wird. Solange Chefverhandler Michel Barnier nicht mitteilt, dass es einen substanziellen Fortschritt gibt, wird es im November keinen Sonder-EU-Gipfel geben. Auf der anderen Seite würden wir bei einer „No Deal“-Situation viel verlieren, was bereits ausverhandelt ist – etwa die Rechte der EU-Bürger. Nach dem Referendum hatten wir pro Tag 200 Anrufe in der österreichischen Botschaft, weil Auslandsösterreicher nicht wussten, wie es mit der Aufenthaltsgenehmigung weitergeht.
Ein weiterer Punkt sind die britischen finanziellen Leistungen für die Verbindlichkeiten, die man eingegangen ist, etwa die Pensionsrücklagen für EU-Beamte oder Haftungen im Rahmen der Europäischen Investitionsbank. Da geht es um 40 bis 50 Milliarden Euro, zu deren Zahlungen sich Großbritannien verpflichtet hat. Deswegen ist es wichtig, sehr schnell diese große Unsicherheit, die momentan herrscht, zu beseitigen.
Der Knackpunkt bei den Verhandlungen ist die Grenze zwischen Irland und Nordirland. Warum sind hier die Standpunkte so eingefroren?
Die EU steht auf dem richtigen Standpunkt, wenn sie darauf beharrt, dass das Karfreitagsabkommen von 1998 nicht gefährdet werden darf. Diese offene Grenze zwischen Irland und Nordirland war ein fundamentales Element dieses Friedensabkommens, das die EU damals mitverhandelt hat. Wird die Grenze nun geschlossen, kann der Konflikt jederzeit wieder ausbrechen. Das heißt eine für beide Seiten akzeptable Lösung für eine offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland muss im Zuge der Austrittsverhandlungen gefunden werden.
Was kann die Lösung sein?
Für die EU ist es klar, dass eine Lösung die Integrität des Binnenmarktes sicherstellen muss. Die von Premierministerin May im Chequers-Weißbuch vorgelegte britische Verhandlungsposition entspricht diesem Grundsatz nicht. Großbritannien hat sich aber dazu verpflichtet, dass Nordirland – für den Fall, dass es keine Lösung für eine offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland gibt – Nordirland weiterhin im europäischen Binnenmarkt verbleiben würde. Dies wird jedoch von der nordirischen DUP, die im britischen Parlament die Regierungsmehrheit der Konservativen absichert, und von Premierministerin May abgelehnt, weil dann zwischen der irischen Insel und dem übrigen Großbritannien eine Grenze bestehen würde.
Es ist nur mehr bis Dezember Zeit, eine Lösung zu finden. Läuft es auf eine Verlängerung der Frist um ein Jahr hinaus?
Für Premierministerin May ist es sicher schwierig, eine Verlängerung der Übergangsfrist durch das britische Parlament zu bringen. Das Lager, das sich für einen klaren Schnitt ausspricht, lehnt eine Verlängerung der Übergangsfrist ab. Großbritannien muss in dieser Zeit alle neuen Gesetze der EU mittragen, aber man sitzt nicht mehr am Verhandlungstisch.
Es gibt Umfragen, wie das aktuelle Euro-Barometer, die glauben machen wollen, dass die Briten heute nicht mehr für einen Austritt aus der EU bei einem neuerlichen Referendum stimmen würden. Glauben Sie diesen Umfrageergebnissen?
Großbritannien ist in dieser Frage nach wie vor ein sehr gespaltenes Land. Ich sehe das große Momentum nicht, dass man zu einer Vollmitgliedschaft zur EU zurückkehren möchte. Die Briten haben ein besonderes Verständnis für Demokratie. Daher wird das Ergebnis des Referendums nicht in Frage gestellt. Allerdings ist ein zweites Referendum über ein Verhandlungsergebnis nicht auszuschließen, wenn es vorliegt. Dabei geht es um die Frage: Wollen die Briten einen weichen oder harten Austritt? Wollen sie künftig näher an die EU gebunden sein oder nicht?
Aber gestern gab es in London eine Demonstration für einen zweites Brexit-Referendum, wo immerhin rund 100.000 Briten teilnahmen ...
Der Abstand zwischen den beiden Lagern ist nach wie vor ein sehr knapper. Es ist keinesfalls so, wie oft in Österreich angenommen wird, dass die Briten eine Vollmitgliedschaft zur EU wieder anstreben.
War der Ausgang des Brexit-Referendums ein demokratiepolitisches Lehrstück für die jungen Briten?
Es gibt viele, die nachträglich sagen, dass das Referendum ein Fehler war. Gleich danach sind die ersten wirtschaftlichen Auswirkungen für die Briten spürbar geworden. Die Inflation ist von Null auf 2,5 Prozent gestiegen, das Wirtschaftswachstum für kommendes Jahr wird nur bei 1,3-1,5 Prozent liegen. Zum Zeitpunkt des Referendums lag es bei drei Prozent. Die Briten waren immer sehr pragmatisch und sind sehr darauf bedacht, dass der britische Wohlstand erhalten bleibt. Deswegen bin ich überzeugt, dass die Briten am Ende ein Abkommen erzielen wollen, damit ihr Wohlstand gesichert ist. Durch den Brexit hat sich die Stimmung in den EU 27 verändert – zum Positiven. Allen ist jetzt klar, was ein Ausstieg bedeuten kann. So geschlossen wie bei den Brexit-Verhandlungen hat die EU noch selten zuvor agiert. Das sehe ich als eine positive Entwicklung.
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