Bildungslücke: Wo das Schulsystem gut, wo höchstens Mittelmaß ist

Es ist ein viel zitierter Satz: Österreich ist ein Land ohne Rohstoffe, deshalb ist Bildung die wichtigste Ressource. Und es stimmt natürlich: Wäre das Bildungsniveau in Österreich nicht so hoch, wäre es wohl nicht eines der reichsten Länder der Welt.
Womit das jedenfalls zu tun hat: Österreich gibt viel Geld für das Schulsystem aus: 11,99 Milliarden Euro jährlich. Laut OECD liegen wir mit Ausgaben von 10.447 Euro jährlich pro Schüler (in Kaufkraftparitäten) im absoluten Spitzenfeld.
Sicher: Vieles läuft dafür gut. Hervorzuheben sind an erster Stelle jene Pädagoginnen und Pädagogen, die mitunter selbstlos und mit viel Enthusiasmus und Engagement den Schulalltag bestreiten und ihre Schülerinnen und Schüler zu Höchstleistungen inspirieren. Die gab es immer und wird es wohl immer geben, auch wenn etwa der mediale Fokus öfter auf jenen wenigen Lehrkräften liegt, die nicht mehr oder nie glücklich waren in ihrem Job.
Vorbild duale Ausbildung
Aber auch das Schulsystem hat – bei aller Kritik – einige herausragende Institutionen. Insbesondere die berufliche Ausbildung sticht im internationalen Vergleich heraus: Nicht nur die duale Ausbildung, also die klassische Lehre, ist ein großer Standortvorteil für Österreich, der international immer noch Vorbild ist. Auch die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sind weltweit eine Besonderheit – die Handelsakademien, die Bildungsanstalten für Elementarpädagogik, die Höheren Technische Lehranstalten etc.
Podiumsplätze bei WorldSkills-Meiterschaften
Diese Schulen bereiten besonders gut darauf vor, was in den Betrieben und im Arbeitsleben verlangt wird. Beleg dafür sind die Podiumsplätze, die Lehrlinge aus Österreich bei den alle zwei Jahre stattfindenden WorldSkills-Meisterschaften besetzen. Zuletzt gab es in Lyon 2024 drei Mal Gold (für je einen Floristen, Betonbauer und Fliesenleger), ein Mal Silber und drei Mal Bronze, samt 22 Mal einer „Medaillon of Excellence“. Beim Blick ins Ausland fällt außerdem auf, dass die Bildungseinrichtungen, in manchen Bundesländern auch Kindergärten, kostenlos sind, was im internationalen Vergleich alles andere als selbstverständlich ist. So ist die Chance auf einen Aufstieg durch Bildung jedenfalls besser möglich.
Fast alle gehen in den Kindergarten
Positiv auch: Jetzt schon sind 97 Prozent aller Fünfjährigen in einem Kindergarten, eine vergleichsweise sehr hohe Quote. Österreich leistet sich zudem viele Kleinstschulen, das macht zwar das System teuer, aber hilft den ländlichen Regionen.
Statistisch haben wir zudem 12,7 Kinder je Lehrkraft in der Volksschule und acht Schülerinnen und Schüler pro Lehrkraft in der Sekundarstufe I – der OECD-Schnitt liegt bei etwa 15 bzw. 13. Und auch die Gehälter der Lehrerinnen und Lehrer liegen im internationalen Vergleich im obersten Bereich. Auch schön. 90 Prozent der Jugendlichen haben einen Oberstufenabschluss.
Über eines können die guten Werte nicht hinwegtäuschen: Im Bildungssystem ist in vielen Bereichen noch Luft nach oben. Besonders die hohe Zahl an Jugendlichen, die die Schule verlassen, ohne Grundlegendes zu beherrschen, muss ein Alarmsignal für die Politik sein.
Wo Österreichs Bildungssystem besser werden muss
Österreich liegt bei Bildungstests wie PISA gerade einmal im Mittelfeld. Das gilt auch für die meisten anderen großen Bildungsvergleichstests: Bei PIRLS (Lesetest für 10-Jährige) 2021 sanken die Leseleistungen gegenüber 2016; bei TIMSS (Mathe und Naturwissenschaften) liegen wir auf Platz 11; oder die aktuelle „PIAAC“-Auswertung, die zeigt, dass 29 Prozent der Erwachsenen oder 1,7 Millionen Menschen Probleme beim Lesen haben. Auch im Rechnen gibt’s viele Defizite.
Schlechte Bildung - weniger gutes Leben
Das hat für die Betroffenen Folgen: Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in Armut leben, sind öfter von Arbeitslosigkeit betroffen, brauchen öfter staatliche Unterstützung, sind weniger gesund und eher unglücklich.
Auch für die Volkswirtschaft ist das eine schlechte Nachricht – fehlen doch die dringend benötigten Fachkräfte.
Und das bei einem Bildungssystem, das – ohne Kindergärten oder Unis – jährlich bereits 11,99 Milliarden Euro kostet. Aber was ist faul am Bildungsstandort Österreich?
Ein kurzer Überblick über die Fehlentwicklungen
- Von null bis drei Jahren: In keiner Lebensphase lernt der Mensch so schnell und so viel wie in den ersten drei Jahren, der KURIER berichtete regelmäßig von solchen Forschungsergebnissen. Hier ist das Elternhaus entscheidend. Doch durchgehende Begleitung der Familien, wie es sie z. B. in Finnland gibt, gibt es bei uns nicht. Dabei könnte man hier mit wenig Geld große Effekte erzielen.
- Im Kindergarten: In der ersten außerfamiliären Bildungseinrichtung werden die Grundlagen für jene Fähigkeiten gelegt, die ein Kind für die Schule braucht. Damit der Kindergarten diese Aufgabe erfüllen kann, braucht er Ressourcen. Und die sind knapp: Während in der Mittelschule statistisch eine Lehrkraft auf acht Kinder kommt, liegt der Fachkraft/Kind-Schlüssel im Kindergarten zwischen 1 zu 13 und 1 zu 17 (je nach Bundesland). Hinzu kommt: Die Qualität der Einrichtungen wird kaum kontrolliert.
- Migration: Der Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache steigt. Darauf ist das Bildungssystem zu wenig ausgerichtet. Das Problem ist nicht nur das Sprachdefizit vieler Migranten. Vielen Kindern aus bildungsfernen Milieus fehlen die Grundkompetenzen, die für eine erfolgreiche Schullaufbahn nötig sind: Sie können weder eine Schere benutzen noch einfachste Alltagsgegenstände benennen – weder auf Deutsch noch in der Muttersprache. Für die Politik hat der Deutscherwerb Priorität, nur zeigt sich das bisher zu wenig.
- Volksschule: Bis zu vier Jahre beträgt der Entwicklungsunterschied von Kindern bei der Einschulung. In einer Klasse, in der nur eine Lehrperson steht, ist es kaum möglich, jedem Kind gerecht zu werden, wenn manche lesen, andere nicht einmal einen Stift halten können.
- Disziplin: Viele Lehrkräfte bemängeln, dass es immer schwieriger wird, Regeln durchzusetzen. Dabei gibt es ohne Disziplin keinen Lernerfolg.
- Entscheidung mit neun Jahren: Dass Kinder ab dem 10. Lebensjahr in unterschiedliche Schulen gehen, ist eine Besonderheit deutschsprachiger Länder. Die Folge: Besonders in städtischen Gebieten entscheidet die Schulwahl nach der Volksschule über den weiteren Bildungsverlauf eines Kindes. Die frühe Trennung Mittelschule und AHS wird politisch nicht infrage gestellt.
- Mittelschulen: Obwohl aufgrund des Teamteachings (zwei Lehrer in der Klasse) besonders teuer, ist das Ergebnis vergleichsweise mager, wie der Rechnungshof kritisiert.
- Ganztägige Schulen: Die Aufgaben, die an die Schulen gestellt werden, sind in einer Halbtagsschule kaum zu bewältigen. Eine gute Ganztagsschule könnte Defizite verringern.
Polytechnikum: Sie ist in einigen Regionen zur Restschule verkommen. Wer nur die Poly absolviert hat, hat kaum eine Chance auf dem Lehrstellenmarkt. - AHS-Unterstufe: Weil die Mittelschule in Ballungszentren einen schlechten Ruf hat, drängen bildungsaffine Eltern ihr Kind ins Gymnasium – unabhängig davon, ob das Kind geeignet ist. Folge: Die Klassen sind heterogener, die Schulen nicht darauf eingestellt.
- Schulleitung: Wo eine Direktion engagiert ist und eine Vision hat, ist die Leistung der Schülerinnen und Schüler meist gut – unabhängig von deren sozialem Hintergrund. Doch Direktoren werden auf ihre Aufgaben wenig vorbereitet, oft entscheidet das Parteibuch und nicht die Qualifikation, wer den Posten bekommt.
- Lehrerausbildung: Sie wird wieder überarbeitet, weil zu praxisfern – zu viele Junglehrer hören rasch wieder auf.
Kommentare