Christoph Wiederkehr: "Unser Ziel ist nicht der Pranger"

Christoph Wiederkehr (Neos), meint, es sei Zeit, "Reformen anzugehen".
Der Salzburger Christoph Wiederkehr (Neos) ist seit März 2025 Bundesminister für Bildung, zuvor war er Wiener Bildungsstadtrat. Als Buchautor („Schulangst – Notenfrust – Bürokratie – Wie gelingt es, dass Kinder wieder gerne zur Schule gehen?“) hat er 2024 in einem Rundumschlag deutliche Worte zum Ist-Zustand gefunden. Was will er jetzt anders machen?
KURIER: Sie sind mit viel Enthusiasmus gestartet. Ist inzwischen Ernüchterung eingekehrt, weil Sie auf Grund des Sparpakets nur kleine Brötchen backen können?
Christoph Wiederkehr: Ich glaube, dass jetzt die Zeit ist, um große Reformen im Bildungsbereich anzugehen und eine echte Aufholjagd zu starten. Wir sind nicht gut genug, was die Leistungen der Schülerinnen und Schüler anbelangt, aber auch die Chancengerechtigkeit ist im internationalen Vergleich nicht optimal. Es wird meine Aufgabe sein, hier mit vollem Einsatz und Leidenschaft, aber auch Vision, unser Bildungssystem zu verbessern.
In ihrem Buch haben Sie die Vision, dass Kinder angstfrei in die Schule gehen sollen. Was braucht es da?
Wenn Kinder gerne in die Schule gehen, lernen sie besser. Schule soll nicht nur Wissen, sondern auch Kompetenzen wie kritisches Denken, Kreativität und Kommunikation vermitteln. Darauf ziele ich ab – vom Kindergarten bis zur Matura.
Aber wie soll so eine Vision von ganz oben im Bildungsministerium bis in die Klassenzimmer von 5.600 Schulen kommen?
Über eine andere Schulkultur – mit mehr Schulautonomie und Freiheit und weniger engmaschiger Kontrolle. Seit 2017 können Schulen Anfangszeiten, eigene Fächer oder Cluster selbst festlegen – viele nutzen das noch zu wenig. Wir professionalisieren Direktionen, vernetzen Vorzeigeschulen und erleichtern gesetzlich den Ausstieg aus den starren 50-Minuten-Einheiten.
Die Schulautonomie wird noch wenig genutzt, aus mangelndem Wissen der Schulleitung oder, weil sie im Schulalltag dauernd andere Probleme lösen muss. Wie wollen Sie das ändern?
Wir schaffen Austauschforen für Direktorinnen und Direktoren, bauen Führungskräfteprogramme aus und holen erfolgreiche Modelle wie die „Innovative Schule“ vor den Vorhang, damit Autonomie gelebt wird und nicht am Papier bleibt.
Ein anderes Problem sind die Lehrpläne, die völlig überfrachtet sind. Was ist da der Plan?
Die Reform aller Lehrpläne muss eine moderne Wissensvermittlung ermöglichen. Daran arbeiten wir.
Vor allem mit der Lösch-Taste?
Mein Ziel ist die Weiterentwicklung. Da wird auch einiges gelöscht werden müssen, anderes kommt dazu. Wissen in unserer Gesellschaft vermehrt sich rasant, da können wir aber nicht alles in die Schulen bringen. Priorität bleiben die Grundkompetenzen und was für ein selbstbestimmtes Leben wichtig ist.
Derzeit läuft die mündliche Matura. Seit Corona zählt die Note der 8. Klasse zu 50 Prozent für das Maturazeugnis, das heißt, mit einem Dreier kann man nicht durchfallen.
Wir sehen derzeit das Problem, dass es vereinzelte Schülerinnen und Schüler gibt, die das System ausnützen und dann bei der mündlichen Matura keinen Beitrag mehr leisten. Das wird nicht so bleiben. Ab 2026 wird es ein anderes System geben, beispielsweise, dass die Note der Abschlussklasse nicht mehr so stark gewichtet wird – ein Dreier reicht dann nicht mehr.
Sie wollen auch mehr Ganztagsschulen, da gibt es aber auch Widerstand, etwa der Lehrer.
Die Akzeptanz ist inzwischen vorhanden. Es gibt noch Probleme mit den Rahmenbedingungen, die wollen wir lösen, das steht im Regierungsprogramm. Der Nutzen der Ganztagsschule ist eine Erleichterung für Lehrkräfte, weil ganztägig die Herausforderungen, Probleme und Lernschwierigkeiten der Kinder anders bearbeitet werden können.
Auch für die Integration?
Ja, vor allem für Integration und die Sprachförderung ist das gut. Ich würde hier werben, dass eine ganztägige Schulform auch die Arbeit für unsere Lehrkräfte verbessern kann.
Wie sehen Sie die Rolle der Eltern im Schulsystem?
Wesentlich sind die Beteiligung zur Bildung und in der Erziehung der Kinder, um einen Bildungserfolg sicherzustellen. Diese Verantwortung müssen wir klar ausschildern, aber auch nicht Eltern alles umhängen, denn das Lernen ist insbesondere der Ort der Schule. Wenn wir das Lernen in die Elternhäuser delegieren, dann wird nur die Bildungsungerechtigkeit verstärkt.
Geplant ist, Eltern finanziell strafen zu können, wenn sie sich nicht an der Bildung ihrer Kinder beteiligen? Wie soll das funktionieren?
Es gibt eine Verantwortung der Eltern. Wir haben als Staat die Aufgabe, schweres Fehlverhalten auch zu sanktionieren – wenn jemand zu schnell mit dem Auto fährt, bekommt er ja auch eine Strafe. So soll auch schweres Fehlverhalten oder Nicht-Kooperation in der Schule in letzter Konsequenz sanktioniert werden, etwa durch eine Verwaltungsstrafe.
Die Neos haben sich immer für Transparenz eingesetzt. Jetzt gibt es enorm viele, nicht zugängliche Daten über Schulen und Schulerfolge. Was wollen Sie ändern?
Das diskutieren wir gerade intensiv, da gibt es noch keine finale Entscheidung. Es ist sicher nicht sinnvoll, das auf das einzelne Kind herunterzubrechen, wie das in London gemacht wurde, das geht zu weit. Was ich mir vorstellen kann, ist am Ende die besten Schulen vor den Vorhang zu holen. Ein reines Ranking wird nicht viel bringen, weil die Schulen so unterschiedlich sind. Ziel ist ja nicht der Pranger, sondern Inspiration: Jede Schulgemeinschaft soll sehen, was möglich ist, und erfolgreiche Strategien übernehmen.
Eigentlich haben wir auch Schulqualitätsmanager, die scheinen nicht besonders effektiv zu sein, sonst hätten wir einige Probleme nicht. Was wollen sie hier ändern?
Es wird immer auch eine Schulaufsicht benötigt, um sicherzustellen, dass wichtige Indikatoren in die richtige Richtung gehen und auch politische Ziele zur Verbesserung des Bildungssystems umgesetzt werden. Wir müssen aber auch die Schulaufsicht und die Bildungsdirektionen weiterentwickeln, nämlich serviceorientierter gestalten, damit die Schulen besser unterstützt werden in ihrer Entwicklung.
Wir haben rund 600 Brennpunktschulen, zuletzt gab es einen Chancenindex für 100 Schulen. Wie soll das weiterentwickelt werden?
Derzeit wird der alte Chancenindex evaluiert, auf dem Ergebnis wollen wir aufbauen. Wir messen drei Faktoren: erstens den Bildungshintergrund der Eltern (höchster Abschluss), zweitens ob Deutsch Erstsprache ist und drittens, ob ein Elternteil arbeitslos ist. Kombiniert ergibt das einen fairen Chancenindex, der kommt ab dem Schuljahr 2026/2027, um Schulen mit großen Herausforderungen besser unterstützen und begleiten zu können. Zusätzliche Unterstützung heißt aber auch Schulentwicklung am Standort, damit mehr Ressourcen auch zu besseren Leistungen führen.
Gleichzeitig fehlen Lehrkräfte – heuer gehen bis zu 2.000 in Pension. Wie füllen Sie die Lücke?
Wir beschleunigen den Quereinstieg, holen Technik- und Sprachabsolventen in jene Fächer, wo Engpässe am größten sind, erhöhen die Studienplatzkapazität für Pädagogik und bieten besondere Unterstützung für Brennpunktschulen. Wichtig ist mir, dass niemand ohne didaktische Grundschulung in die Klasse geht – Qualität vor Quantität.
Woran erkennen wir am Ende der Legislaturperiode, ob Sie einen guten Job gemacht haben?
Mein Ziel ist, dass wir dann keinen Lehrkräftemangel mehr haben. Zweitens dass wir sehen, dass die Aufholjagd schon gegriffen hat, nämlich dass wir weniger außerordentliche Schülerinnen und Schüler aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse haben. In den letzten Jahren ist die Zahl massiv gestiegen. Deutsch wird ein großer Schwerpunkt von mir sein. Und drittens, dass die Chancengerechtigkeit im Schulsystem schon verbessert worden ist, weil wir viele Maßnahmen vorhaben, wie etwa den Chancenindex. Ich finde, dass alle Kinder in Österreich die besten Bildungschancen verdienen.
Kommentare