Stefan Sagmeister: "Es geht uns besser als je zuvor"

Existenzphilosoph Stefan Sagmeister.
Der Designer und Existenzphilosoph erklärt, warum wir viel zu oft negativ denken.

Er hat einen Status erreicht, der es Stefan Sagmeister erlaubt, Fragen zu erforschen, die weit über seine eigentliche Profession hinausgehen. Der weltberühmte Grafikdesigner aus Österreich agiert nun als Philosoph. Er untersuchte die Formen des Glücks und widmet sich nun der Schönheit. Im KURIER-Interview erklärt er, warum unsere Lust auf das Negative so schwer zu überwinden ist.

KURIER: Herr Sagmeister, woher kommt unser aller Lust am Untergang, wenn das Schöne gerade in unserer Gesellschaft doch so nahe ist?

Stefan Sagmeister: Wir all haben eine „Negativity Bias“, das heißt, negative Meldungen erreichen unser Hirn schneller als positive. Negative Eindrücke wie Gefahr oder Angst gehen durch die Amygdala (das Gebiet ist im Gehirn an der Entstehung von Emotionen wie Angst beteiligt, Anm.) und erreichen den relevanten Teil des Hirns schneller. Die Evolution gestaltete diesen Vorgang der Sicherheit wegen: Wenn wir die Banane zu spät sehen, ist der Schaden nicht groß, wenn wir den Löwen zu spät erkennen, schon.

Noch nie ging es den Menschen so gut. Noch wie war der Lebensstandard in der westlichen Welt so hoch. Noch nie konnte die Bevölkerung so gesund und fit und alt werden. Warum dominieren trotzdem die Zukunftsängste?

Es gibt dazu kompetente Studien von Stephen Pinker von der Harvard University, die sehr schlüssig aufzeigen, dass es uns in praktisch allen relevanten Lebensbereichen wie Langlebigkeit, Gesundheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Gewalttätigkeit besser geht als je zuvor. Das gilt überraschenderweise auch für große Teile der Dritten Welt. Wer in den letzten zehn Jahren in Kenia gewohnt hat, der ist „jünger“, sprich gesünder, geworden: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist dort in den letzten zehn Jahren um über elf Jahre gestiegen.

Sollten auch die Medien weniger Energie investieren, negative Schlagzeilen zu finden, und sich mehr den schönen Seiten des Lebens widmen, beziehungsweise mehr konstruktiven Journalismus bieten, also gleich Lösungen dazu liefern?

Ja, das wäre eine große, wunderbare und auch sehr schwierige Aufgabe, da wir alle negative Meldungen lieber lesen. Das heißt, ein positiver Artikel müsste besser, interessanter und fesselnder geschrieben sein, um die gleiche Leserschaft zu erreichen. Das fordert von den Journalisten mehr.

Bereitet der Journalismus mit den permanenten Negativ-Schlagzeilen das Feld für die Populisten auf?

Ich habe da eine kleine, private Theorie: Der US-Watergate-Skandal, der von Bernstein und Woodward aufgedeckt wurde und Nixon stürzte, machte die beiden zu internationalen Stars, dargestellt von Robert Redford und Dustin Hoffman in dem Film „All the President’s Men“. Seither scheint es der größte Traum von vielen Journalisten rundum die Welt geworden zu sein, eine Artikelserie zu schreiben, die den Präsidenten des jeweiligen Landes stürzt. Dadurch hat sich in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern ein Journalismus durchgesetzt, der unerreichbar hohe Standards für Politiker setzt. Was die alles nicht dürfen, was sie alles können müssten. Ich weiß von mir selber, dass ich diese Standards nie erfüllen könnte.

Beschleunigen soziale Medien die Negativspirale in der Gesellschaft, weil hier nur die Wut in den Filterblasen dominiert und niemand versucht, über den Tellerrand zu schauen?

Die Möglichkeit zur individuellen Gruppenbildung, von der wir uns während der Anfangsphase der sozialen Medien positive Resultate erwarteten, hatte – wie immer bei neuen Entwicklungen – unvorhergesehene Nebenwirkungen. Ich glaube aber, dass es auch gegen diese Nebenwirkungen eine Strategie geben wird.

Wie können wir das Schöne mehr in den Mittelpunkt rücken?

Indem wir die Schönheit neben der Funktion zum selbstverständlichen Ziel unserer Arbeit machen. Dinge werden leider nicht von selber schön, es muss viel Liebe und Arbeit in ein Projekt – egal ob es sich dabei um einen Text, ein Bild, ein Haus oder ein Computerprogramm handelt – gesteckt werden, um dieses schön zu machen.

Wie definieren Sie Schönheit?

Ein Definition ist einfach: Schönheit ist die Kombination von Gestalt, Farbe, Materialität, Komposition und Form, die meine ästhetischen Sinne anspricht, speziell mein Sehen.

Ist es nicht auch einfacher, sich von den negativen Gefühlen dominieren zu lassen? Für Optimismus muss man handeln, damit sich die Träume erfüllen ...

Wenn ich in einem Meeting sitze und es gibt dort eine Person, die „Bedenken“ hat, die immer die möglichen Schwierigkeiten heraushebt, dann ist diese Person meist die dümmste Nuss im Zimmer.

Sie haben sich sehr lange auch mit Glück auseinandergesetzt. Welche Arten von Glück gibt es?

Man kann die Glücksarten nach Zeitdauer einteilen: Da gibt es das ganz kurze, wie den sekundenlangen Glücksmoment oder auch den Orgasmus, ein mittellanges Glück wie die Zufriedenheit – das kann stundenlang anhalten, etwa auf dem Sofa mit der Zeitung und dem Hund am Sonntagnachmittag – und das ganze lange Glück: Das zu finden, was man mit seinem Leben machen will, den Lebenszweck, also etwas, was sehr eng mit Sinn verbunden ist.

Was muss von der Politik unternommen werden, damit unsere Gesellschaft wieder mehr Zufriedenheit anstatt Angstgefühle empfindet?

Die Politik könnte sich an den Strategien derjenigen Länder, die bei internationalen Glücksumfragen meist ganz vorne landen, orientieren. Diese Länder scheinen ja doch einiges richtig zu machen. Dänemark oder auch die Schweiz wären Kandidaten. Die Medien könnten es sich zum Ziel setzen, auch positive Entwicklungen mit viel Saft und Kraft zu beleuchten. Die Wochenzeitung Die Zeit ist da ab und zu sehr erfolgreich unterwegs in Deutschland.

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