Rechtsgutachten soll Sebastian Kurz entlasten: "Keine konkrete Verdachtslage"
Während die Regierung die vierte Corona-Welle dämpfen will, beschäftigt sich die ÖVP intern mit Sebastian Kurz und seinem Beschuldigtenstatus. Ein neuer Schachzug, der Kurz ein Comeback ermöglichen soll: Peter Lewisch, renommierter Experte für Strafprozessrecht am Institut für Strafrecht der Universität Wien, hat ein 17-seitiges Gutachten über die Anordnung für die Hausdurchsuchung erstellt.
Auf 17 Seiten zerpflückt Lewisch die Ermittlungsarbeit der Korruptionsstaatsanwaltschaft (kurz WKStA). Juristisch lehnt sich Lewisch bei seiner Analyse weit aus dem Fenster. Seine Conclusio: Nach der Analyse der Anordnung der WKStA und der von der Staatsanwaltschaft selbst vorgebrachten Beweismittel und Überlegungen kann von „einem Beschuldigtenstatus in Bezug auf die Person Sebastian Kurz keine Rede sein.“ Mutet nach Freispruch an – ein gewagtes Urteil für einen Experten.
Inkorrekte Textanalysen
Lewisch kritisiert gleich mehrere Punkte. Fatal findet er vor allem die Recherchearbeit der WKStA. So meint Lewisch: „Sie besteht im Kern aus inkorrekten Textanalysen, Mutmaßungen und Spekulationen, auf methodisch verfehlten Zirkelschlüssen und auch einer – von ihr besonders betonten, tatsächlich aber inhaltsleeren – Gesamtschau von Einzelumständen“.
Auch die Rolle von Sophie Karmasin, über das der KURIER vor wenigen Tagen berichtete, greift Lewisch im Gutachten auf. Die WKStA behauptet, dass Kurz im März 2016 persönlich mit Sophie Karmasin Kontakt aufnahm, um das sogenannte „Beinschab-ÖSTERREICH-Tool“ zu installieren. Für die WKStA ein Nachweis, dass sich Kurz zur Umsetzung des kriminellen Plans auch selbst eingebracht habe. Stimmt nicht, sagt Karmasin. Bei dem geplanten Treffen ging es darum, sie vom Rücktritt als Familienministerin abzuhalten. Lewisch dazu: „Gibt man nun die Worte ,Karmasin’ und ,Mitterlehner’ gemeinsam mit ,März 2016’ in Google ein, so erhält man zahlreiche Treffer, die von einem handfesten Krach innerhalb der ÖVP-Regierungsmannschaft am 14. März 2016 berichten“.
Innerhalb von „fünf Minuten“ hätte sich der Sachverhalt aufklären lassen. „Es erscheint geradezu unbegreiflich, wieso die WKStA eine solche Beweisaufnahme einfachster Art unterlassen hat“.
Keine Korruption?
Auch einige Rechtsbehauptungen der WKStA seien materiell-rechtlich unzutreffend. Vor allem den Tatbestand der Korruption kann Lewisch nicht nachvollziehen. Der ÖVP-Gutachter meint nämlich, dass „ÖVP-freundliche Berichterstattung“ von Zeitungen, die sich dafür großzügige Inseratenaufträge erwarten, nicht als „Korruptionsvorteil“ im Sinne der Bestechung gelten könne.
Lewisch argumentiert im Gutachten: "Nimmt man sie ernst, müsste etwa der Theaterdirektor einen Korruptionsstraftatbestand erfüllen, wenn er eine politisch gefällige Stückeauswahl in der Erwartung trifft, deshalb Subventionserhöhungen zu lukrieren und selbst für eine weitere Funktionsperiode wiederbestellt zu werden". In Wahrheit handle es sich um "sozial-adäquate Verhaltensweisen".
Was aber sagen andere Rechtsexperte zu diesem Gutachten? Der KURIER ließ das Gutachten von Alois Birklbauer, Vorstand des Instituts für Strafrechtswissenschaften der Johannes Kepler Universität, analysieren.
Warum keine Beschwerde?
Er sieht das Gutachten kritisch, zumal der Rechtsweg nicht ausgeschöpft wurde. „Wenn man das Gutachten liest, ist es auch eine Kritik am Gericht, das die Hausdurchsuchung genehmigte. Warum hat man dann keine Beschwerde beim Oberlandesgericht gegen die Hausdurchsuchung eingebracht, wenn man der Meinung ist, die Justiz arbeite schleißig?“ Die Beschwerde beim Oberlandesgericht hätte spätestens zwei Wochen nach der Hausdurchsuchung eingebracht werden müssen - diese Frist ist bereits verstrichen.
Allerdings kann die ÖVP das Gutachten zur Grundlage einer Anregung an die Generalprokuratur machen, um eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an den Obersten Gerichtshof zu erheben.
Auch die Kritik, dass Kurz als Beschuldigter geführt wird, sieht Birklbauer anders. „Die Bestimmungstäterschaft ist sehr eng gefasst, insofern hat die WKStA hier vielleicht ungeschickt agiert. Aber das lässt sich jederzeit auf Beitragstäterschaft ändern, denn das Gericht sei in der rechtlichen Wertung frei. Dieser Tatbestand ist sehr weit gefasst. Da genügt es beispielsweise, wenn man via Chats psychische Unterstützung leistet, um einen kriminelle Handlung fortzusetzen. Diesen Aspekt hat Lewisch gar nicht berücksichtigt."
Was detto für Kritik sorgt, ist die Tatsache, dass Gutachten von Lewisch auf dem Briefpapier der Universität Wien geschrieben wurde. Allerdings handelt es sich um ein Privatgutachten von Lewisch im Auftrag von Sebastian Kurz und nicht um eines der Institution.
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