Wie man die ÖVP zerzausen und dennoch mit ihr koalieren kann

Man kann Nina Tomaselli ja manches nachsagen – übertriebene Rücksicht auf die Volkspartei gehört eher nicht dazu.
Als erste Fraktion haben die Grünen ihren Abschlussbericht über den ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss vorgelegt. Und das 91 Seiten zählende Dokument ist eine kompromisslose Abrechnung mit dem Koalitionspartner.
Gleich vorweg wird klargestellt, dass die ÖVP „die gesamte Bevölkerung manipuliert“, „Postenschacher betrieben“ und „Superreichen Spezialbehandlungen“ bei Behörden verschafft habe.
Der Bericht ist handwerklich sehr ordentlich gemacht. Er ist optisch ansprechend, durchaus leicht zu lesen, er hat viele Fußnoten und birgt allerlei kuriose Zahlen (auf 46 Sitzungen mit 219 Stunden Befragungszeit kamen mehr als 27 Stunden Sitzungsunterbrechungen; insgesamt wurden 26,5 Millionen Seiten Akten geliefert, nur sechs der 2.160 gelieferten Ordner enthielten „streng geheime“ Informationen etc.).
„Der Bericht enthält recht eigenwillige Wahrnehmungen“, findet Andreas Hanger, Fraktionschef der ÖVP im U-Ausschuss. Und das ist von seiner Seite noch durchaus vornehm formuliert.

Für Außenstehende stellt sich freilich die Frage: Wie geht sich das eigentlich aus? Wie können die Grünen ihrem Koalitionspartner ein nachgerade vernichtendes Urteil ausstellen und trotz allem nicht mit ihm brechen?
Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Gründe: Der eine heißt Sebastian Kurz.
Wann immer Tomaselli Malversationen in Ministerien, das „Beinschab-Tool“ oder die „Wer zahlt, schafft an“-Attitüde erklärt und anprangert, ist sie semantisch bemüht, nicht vom amtierenden Regierungschef Karl Nehammer, sondern vielmehr von einem „kleinen, türkisen Machtzirkel“ rund um Nehammers Vor-Vorgänger zu sprechen.
„Es war allen Beteiligten klar, dass wir uns bei unserer Kritik und im U-Ausschuss vor allem um die Vergangenheit und deren Aufarbeitung kümmern“, heißt es im Führungsteam der Grünen. Auch sei die Mehrzahl von Kurz’ engsten Vertrauten (z. B. die Ex-Minister Gernot Blümel, Elisabeth Köstinger, Kurz’ Trauzeuge und Kabinettschef Bernhard Bonelli) heute nicht mehr in der Politik.
Der zweite Aspekt: Zwischen den Führungsteams von ÖVP und Grünen gab es schon vor dem Start des ÖVP-Korruptions-U-Ausschusses das stille Abkommen, das Gremium als „Überdruckventil“ zu begreifen.
„Es war immer klar, dass der U-Ausschuss eine politische Spielwiese von Tomaselli ist und wir nicht jede ihrer Äußerungen auf die Goldwaage legen“, heißt es in der ÖVP. Zudem sei man eines Sinnes mit dem Juniorpartner, dass Thomas Schmids Chats in Tonalität und Inhalt völlig inakzeptabel seien.
Damit U-Ausschüsse in Zukunft besser laufen, will Tomaselli diese im Fernsehen oder im Internet übertragen. Das wiederholte die Abgeordnete bei der Präsentation des Abschlussberichts.
SPÖ, Neos sowie die Freiheitlichen können sich das gut vorstellen. Und auch ÖVP-Mann Hanger stimmt den Grünen zu. Mit einer Einschränkung: Die Befragung von Nicht-Politikern solle nicht übertragen werden. „Beamten der zweiten und dritten Reihe“, sagt Hanger, „sind keine Personen des öffentlichen Interesses. Sie darf man daher nicht auf eine politische Bühne zerren.“
Kommentare