MedUni-Rektor: „Spitäler sind keine perfekte Umgebung für Patienten“

Ein Baustellenbesuch am Wiener AKH-Gelände. Neue Forschungsinstitute entstehen hier.
KURIER: Würden Sie Ihren Kindern noch raten, Medizin zu studieren?
Markus Müller: Der einzige Tipp, den man der Jugend geben kann, ist, sich auf die eigenen Talente zu konzentrieren und auf sein Herz zu hören. Denn wenn man etwas gerne macht, macht man es auch gut, das gilt ganz besonders für die Medizin. Zu meinem Studienbeginn Mitte der Achtzigerjahre wurde übrigens vom Medizinstudium abgeraten. Es war die Rede von einer „Medizinerschwemme“, obwohl es nur halb so viele Ärzte gab wie heute.
Sie waren sogar Sub auspiciis-Absolvent, hatten also überall die Bestnote. Strebt man so etwas an?
Erst am Ende des Studiums kam eine gewisse Ambition. Bis dahin hatten solche Promoventen automatisch eine Stelle, leider wurde das knapp vor meinem Studienende abgeschafft. So habe ich meine ersten Jahre als Mediziner quasi in prekären Anstellungsverhältnissen verbracht, trotzdem war es eine tolle Zeit.
Man hat also gar keine Vorteile?
Es ist sogar ein wenig ein Stigma, weil man als „Nerd“ gilt. Ich habe es nie an die große Glocke gehängt.

Sie sind als Rektor derzeit auch Bauherr, der MedUni Campus wird erweitert. Mitten drinnen wurde mit KI das Gemälde „Medizin“ von Gustav Klimt rekonstruiert und auf eine Fassade appliziert. Ein Signal, dass das AKH wieder an die gloriose Zeit der „Wiener Medizinischen Schule“ anknüpfen will?
Das AKH Wien ist ein sehr, sehr gutes und bekanntes Spital, in internationalen Rankings stehen wir laut Newsweek derzeit auf Platz 27. Das Bild ist sozusagen zu uns zurückgekommen. Gustav Klimt hat es 1901 für die medizinische Fakultät gemalt, aber es wurde abgelehnt, u. a., weil eine nackte Frau abgebildet ist. Es wurde nun von Google und dem Belvedere rekonstruiert.
Es werden viele betuchte internationale Patienten im Wiener AKH wegen des guten Rufes behandelt. Ist es nicht provinziell, wenn ein Wiener Stadtrat niederösterreichische Patienten abschrecken will?
Es ist schade, dass dieser Budgetkonflikt auf dem Rücken von Patienten ausgetragen wird. Aber man hört ja schon versöhnlichere Töne.
Rund um das AKH entstehen neue Forschungsinstitute. Was hat der Patient davon?
Wir leben derzeit in einem Phasenwechsel der Medizin: Krankheiten sollen aufgrund neuer Techniken – Molekularbiologie, Künstliche Intelligenz – gar nicht mehr entstehen, weil man sie sehr früh erkennen bzw. maßgeschneidert präzise hinschauen kann. Wir wollen weg von einer Spitals-zentrierten, hin zu einer Patienten-zentrierten Medizin. Patienten sollten möglichst wenig im Spital und besser daheim betreut werden.
Was tun mit den vielen, vor allem älteren Alleinstehenden?
Die Pflegefrage macht uns tatsächlich derzeit am meisten Sorgen.
Aufgrund des Pflegemangels sind auch viele Abteilungen gesperrt.
Uns geht derzeit eine dreistellige Zahl an Pflegekräften ab. Wir haben daher Chirurgen, die nicht operieren können. Österreich hat zu lange nur auf Ärztezahlen geschaut. Abgesehen davon geht es auch um Wertschätzung für die Pflege.
Viele Patienten weichen in die Privatmedizin aus, nimmt die Zwei-Klassen-Medizin zu?
Im Moment fährt der Zug in die falsche Richtung, obwohl wir global gesehen noch immer ein sehr gutes Gesundheitssystem haben. Wobei es auch Ungleichgewichte gibt: Wir haben zum Beispiel viel zu wenig Kinderpsychiater, aber gleichzeitig mehr plastische Chirurgen, als für die Routineversorgung nötig wären. Und weil die Kassenmedizin offenbar so unattraktiv geworden ist, wollen viele Junge lieber Wahlarzt werden, daher gibt es mittlerweile mehr Wahl- als Kassenärzte und damit mehr Marktorientierung.
Werden wir uns teure Behandlungen weiter leisten können?
Ich vergleiche das gerne mit dem Mobiltelefon: Das kann mehr als der Computer, der seinerzeit für die Mondlandung verwendet wurde, und ist auch noch viel billiger. Technologie ist am Ende immer bezahlbar gewesen und hat den Weg in die Patientenversorgung gefunden.
Gleichzeitig ist man nicht vor so Banalem wie Spitalskeimen gefeit: Angeblich hat sich Tony Wegas im AKH einen eingefangen.
Ich kenne seine Krankengeschichte nicht. Das Thema wird es immer geben, weil die Welt nicht keimfrei ist. Je mehr man Antibiotika einsetzt, desto größer wird das Problem, weil man resistente Erreger erzeugt. Das ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass Spitäler keine perfekte Umgebung für Patienten sind. Bezeichnend für das heimische Gesundheitswesen ist ja, dass das AKH eine eigene U-Bahn-Station hat und mit der U5 sogar noch eine zweite bekommen wird. In Wien ist die Selbsteinweisung einer der wichtigsten Faktoren.
Wie verhindern Sie Überbeanspruchung? Wir haben eine vorgeschaltete Ambulanz mit Allgemeinmedizinern geschaffen. Einfache Beschwerden können dort vergleichsweise günstig abgefangen werden.
Zum ausführlichen Gespräch mit Rektor Markus Müller
Sind die Patienten fordernd?
Die Anspruchshaltung ist enorm – und auch die passive Haltung: Es muss jemanden geben, der mich behandelt und meine Leiden übernimmt. Wir sollten mehr auf Eigenverantwortung, Gesundheitswissen und Selbsthilfe setzen.
Auch Bewegung gilt ja mittlerweile selbst für sehr Kranke als therapeutisch wichtig.
Ja, früher hat man Patienten mit Herzinfarkt einfach ins Bett gelegt, was nicht gut war, weil sie dann oft Lungenembolien bekommen haben. Mobilisierung und Versorgung zu Hause sind wichtige Elemente einer modernen, menschlichen Medizin.
Sie sind auch Präsident des Obersten Sanitätsrates (OSR). Wird die neue Corona-Impfung empfohlen? Warum ist es so still darum?
Weil sich das Virus verändert hat und der Vergleich mit der Influenza, der in der Pandemie gar nicht gestimmt hat, nun weitgehend zutrifft. Die politisch am Achensee beschlossene und vom OSR nicht propagierte Impfpflicht war jedenfalls ein Fehler, weil Vertrauen zerstört wurde.
Zur Person:
Markus Müller ist seit Oktober 2015 Rektor. Er ist Professor für innere Medizin und klinische Pharmakologie und seit 2018 auch Präsident des Obersten Sanitätsrates. Das Wiener AKH wurde von Josef I gegründet. Der MedUni Campus wird derzeit um mehrere neue Forschungsinstitute erweitert, eines davon wird Josef Penninger leiten.
Was halten Sie vom Trend zur Alternativmedizin?
Österreich hat eine Tradition der Wissenschaftsskepsis. Ein Kollege hat einmal gemeint, er glaube an die Homöopathie erst, wenn es eine homöopathische Antibabypille gibt. Da oder dort kann man alternative Schulen einbinden, wenn Patienten meinen, es tue ihnen gut. Aber es darf nie naturwissenschaftlich basierte Medizin verdrängen.
Das AKH galt lange als Intrigantenstadel egozentrischer Professoren. Wie dirigieren Sie diese Gruppe?
Das war in der Zeit als Professoren noch Beamte und politische Verbindungen sehr viel wichtiger waren. Etwa die Hälfte unsere Klinikleiter kommt mittlerweile aus dem Ausland. Und außerdem gibt es nun viel mehr Frauen. Dadurch haben wir ein anderes Betriebsklima. Wir haben am AKH immer noch unsere Themen, aber ich glaube, es ist besser geworden.
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