Polit-Rhetorik: "Haben uns bis heute nicht von Jörg Haider erholt"
Seit 25 Jahren arbeitet Tatjana Lackner als Rhetorik-Coach – und trainierte in dieser Zeit Politiker fast aller österreichischen Parteien. Polternde Politiker und manipulierende Formulierungen sind mittlerweile Usus, sagt Lackner im Gespräch mit dem KURIER.
KURIER: Welche Rhetorik herrscht in der heimischen Politik vor?
Tatjana Lackner: Die Brüskierer sind bislang auf dem Vormarsch. Wer poltert, der punktet. Und wer zu leise ist, der geht unter.
Wie kam es zum „Vormarsch der Brüskierer“?
Wir haben uns bis heute nicht von Jörg Haiders Rhetorik erholt. Mitte der 1980er-Jahre brachte der damalige FPÖ-Chef mit seinem Rededuktus und seiner Gangart, Leute öffentlich zu diffamieren, eine neue Sprachkultur ins Parlament. Dieser bedienen sich heute fast alle Parteien. Zum Erfolg dieser Strategie trug auch die Political-Correctness-Keule bei, die ab Ende der 80er-Jahre über uns kam. Man durfte plötzlich viele Dinge nicht mehr sagen. Haider traf mit seiner polternden Rhetorik da den Nerv all jener, die sich an diesen moralischen Redeverboten störten. Seitdem gilt: Wer brüskiert, wird gehört. Doch vielleicht gibt es bald einen Paradigmenwechsel.
Warum?
Sebastian Kurz fährt eine andere Strategie und bleibt sanft und höflich. Und er hat großen Erfolg damit. Sogar die FPÖ fährt dieses Mal eine Doppelstrategie: Herbert Kickl kocht Emotionen hoch, der Ex-Rhetoriktrainer Norbert Hofer kalmiert.
Geht es für Politiker überhaupt noch ohne Rhetoriktraining?
Nein. Wahlen sind mittlerweile reine Persönlichkeitswahlen. Mit den richtigen Worten, mit beeinflussenden Formulierungen und mit guter Stimme und Rhetorik erzeugt man Gefühle und Stimmungen. Und nur über diese Gefühle bekommt man Wählerstimmen, nicht über sterile Fakten. Das müssen viele Politiker noch lernen.
Wie schneiden die Spitzenkandidaten bisher ab?
Sebastian Kurz ist rhetorisch hervorragend. Er ist ein Medientalent und versteht es, sich zu inszenieren. Nur wenn seine Stimme ab und zu nach oben geht, wirkt das postpubertär und befremdlich.
Wie beurteilen sie die Rhetorik der SPÖ-Chefin?
Pamela Rendi-Wagner ist eine echauffierte Angreiferin. Sie spricht mit geschlossenen Zähnen und schmallippig. Dadurch spricht sie einige wichtige Vokabel falsch aus, wie etwa das „ö“ in Österreich oder SPÖ. Rendi-Wagner ist rhetorisch nicht die Beste.
Welche Rhetorikstrategie verfolgt der Spitzenkandidat der FPÖ, Norbert Hofer?
Norbert Hofer tritt auf wie ein gewiefter Verharmloser. Er spricht immer ruhig und sanft. Und möchte das Gefühl geben, ein Verbinder zu sein. Mit seiner einfachen Satzstruktur ist sein Rededuktus überschaubar und verständlich für seine Zielgruppe. Er ist rhetorisch okay, aber müsste unbedingt am „Denglish“ arbeiten. Zum Beispiel, wenn er sagt: "Ich bin ein Troubleshooter." Da wird’s dann ein bissl wild und peinlich.
Wie beurteilen Sie die medialen Auftritte von Beate Meinl-Reisiger?
Sie ist quirlig, schlagfertig und kann sehr schnell reagieren. Sie ist eine gute Rhetorikerin. Allerdings hat sie die Angewohnheit, sich oft zu wiederholen und Stehsätze zu benutzen. Deswegen muss man öfter nachhaken, um eine klare Antwort zu bekommen. Das konnte man auch beim ORF-Sommergespräch mit Tobias Pötzelsberger sehen.
Wie schlagen sich Maria Stern und Werner Kogler rhetorisch?
Werner Kogler als authentischer Steirer wirkt mit seinem Dialekt-Kolorit und den flotten Sprüchen sympathisch, aber reagiert in seiner Rhetorik oft trotzig. Er kann deshalb mit den sehr aufgeräumten in seiner Partei nicht immer geschickt umgehen. Maria Stern neigt zu sehr verkürzten und moralisierenden Stehsätzen. Sie wirkt im Rededuktus lahm und fast unbeholfen. Zusätzlich bringt sie Sätze, die weder rhetorisch noch taktisch gekonnt scheinen. Rhetorisch übel ist, dass sie Namen immer mit Artikeln verwendet. Sie sagt zum Beispiel "der Sebastian Kurz".
Wie bereiten Sie als Coach Politiker auf Auftritte vor?
Unter anderem trainiert man Atem-, Sprechtechnik oder Stimmmodulation. Hier arbeiten Politikern an ihrem verbalen Charisma – damit können sie stimmlich eine gute Atmosphäre schaffen. Elementar ist das Training rhetorischer Strategien. Also, welche Wortwahl und welche Analogien man für seine Zielgruppe verwenden soll und welche nicht.
Wie unterscheidet sich das Rhetorik-Coaching in der Wahlkampfphase von dem Training in der Nicht-Wahlkampfphase?
Der größte Unterschied ist die Häufigkeit des Trainings. Während des Wahlkampfs kommen Politiker sehr fleißig. Wenn gerade nicht Wahlkampf betrieben wird, nehmen die Politiker nur Trainingseinheiten, wenn sie etwa zur ORF-Pressestunde oder zu einer TV-Diskussion müssen. Wir üben dann hauptsächlich, wie das jeweilige Format funktioniert. Das will gelernt sein.
Was muss man dabei lernen?
Wenn ein Politiker zu Gast in der "ZIB2" bei Armin Wolf ist, dann muss er dieses Format verstehen. Wolf stellt eine Frage und man hat 25 Sekunden Zeit, darauf zu reagieren. Es ist wichtig zu verstehen, dass es darum geht, innerhalb dieser Zeitspanne die eigene Botschaft auf den Punkt zu bringen, am besten mit Beispiel, sprachlichem Bild und Begründung. Nur so kann man erfolgreich die gewünschten Informationen platzieren.
Wie beeinflusst die Sprache die Wahrnehmung?
Sprache erzeugt Wirklichkeit. Das heißt nicht, dass wahr ist, was gesagt wird. Aber in dem Moment, in dem es artikuliert wird, wird das Gesagte zur Wirklichkeit - und zwar für die, die es glauben. Wir müssen davon ausgehen, dass die Bevölkerung sich durch Unwahrheiten beruhigen lässt. Das Mittel der Unwahrheit wird in der Politik oft genutzt. Das sehen wir nicht nur in Österreich. Als Barack Obama bei der BP-Öl-Katastrophe sagte "Ich stopfe das Bohrloch", war allen klar, dass er nicht persönlich klempnern würde. Aber Unwahrheiten dieser Art scheinen akzeptiert zu sein, denn sie beruhigen.
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