Gezerre um Pilnacek-Gutachten

Wie schwer kann es sein, drei schriftliche Gutachten zu organisieren?
Offenbar sehr. Vor fast vier Monaten, am 22. April, bekam die Staatsanwaltschaft Krems eine Weisung der Oberstaatsanwaltschaft, zu prüfen, ob zum Todesfall Christian Pilnacek doch noch Ermittlungen eingeleitet werden sollen.
Der Auftrag: Jene Gutachten (genau genommen sind zwei davon nur Stellungnahmen), die Ex-Politiker Peter Pilz in seinem Buch „Der Tod des Sektionschefs“ zitiert, zu beschaffen. In seinem Buch zweifelt Pilz die offizielle Erzählung, Pilnacek habe sich das Leben genommen, an – und stellt in den Raum, dass der einst mächtigste Mann im Justizministerium getötet worden sein könnte.
Fachliches Unterfutter dafür lieferten ihm drei Mediziner, die den Obduktionsbericht analysiert haben. Pilz zitiert in seinem Buch nur einzelne Textstellen. Um sich ein seriöses Bild zu machen, braucht die Behörde die Originaltexte.
Europäische Anordnung
Ein Bericht stammt vom Wiener Unfallchirurgen Wolfgang Schaden und liegt den Kremser Staatsanwälten seit 9. Mai vor. Aus seiner Sicht passten fünf Verletzungen am Leichnam nicht in das Bild eines Sturzes.
Die Einschätzung, dass diese von fremder Hand stammen könnten, liefert Michael Tsokos, ehemaliger Leiter der Rechtsmedizin der Berliner Charité, dem Buchautor in seiner „rechtsmedizinischen Stellungnahme“. Demnach könnte Pilnacek in einen Kampf verwickelt gewesen sein, bevor er ins Wasser flüchtete, stürzte oder gestoßen wurde. Wie berichtet, wurde sein Leichnam am 20. Oktober 2023 in einem Seitenarm der Donau bei Rossatz, Niederösterreich, gefunden.
In Berichten auf zackzack.at und in der Krone wurde unlängst kritisiert, dass Tsokos bis heute keine Aufforderung der Staatsanwaltschaft Krems erhalten habe, sein Gutachten zu liefern.
So einfach gehe das nicht, erklärt eine Behördensprecherin auf KURIER-Anfrage. Österreich habe in Deutschland keine hoheitlichen Befugnisse, deshalb sei zeitnahe zur Weisung eine „europäischer Ermittlungsanordnung“ gestellt worden. Die deutsche Behörde habe den Eingang bestätigt, aber noch kein Ergebnis geliefert.
Direkt versucht hat es die Staatsanwaltschaft Krems hingegen beim Innsbrucker Gerichtsmediziner Stefano Longato – und das schon am 30. April, also etwas mehr als eine Woche nach der Weisung. Der aber wollte sein „Privatgutachten“, das Pilz bei ihm in Auftrag gegeben hatte, nach einem einfachen Ersuchen nicht herausgeben und stattdessen die Rechtsgrundlage erfahren.
Daraufhin stellte die Behörde eine formelle Sicherstellungsanordnung. Und die bekämpft Longato nun beim Landesgericht Krems mit einem „Einspruch wegen Rechtsverletzung“. Zu den Gründen gibt der Mediziner auf KURIER-Anfrage keine Stellungnahme ab, da sein Einspruch derzeit noch geprüft werde, wie er sagt.
Obduktionsfotos
Longato hält laut Pilz’ Buch einen Suizid für „wenig wahrscheinlich“ und glaubt eher an ein Unfallgeschehen. Aufgrund seiner Einschätzung zum Todeszeitpunkt spekulierte Pilz, dass Pilnacek nachts, als er das Haus seiner Freundinnen Karin W. und Anna P. in Rossatz verließ, noch jemanden getroffen haben könnte.
Über eine weitere Beschwerde wurde jüngst am Landesgericht Krems entschieden: Anwalt Volkert Sackmann wollte gemeinsam mit dem Berliner Gerichtsmediziner Tsokos die Obduktionsfotos begutachten. Die Staatsanwaltschaft lehnte das ab. Sackmann sei als Opfervertreter berechtigt, die Bilder vor Ort einzusehen, „unbeteiligte Dritte“ aber nicht. Das sieht das Landesgericht auch so und hat Sackmanns Einspruch zurückgewiesen. Er kann dagegen noch Beschwerde einlegen.
Sackmann hat deshalb Akteneinsicht, weil er Karin W. vertritt und die Staatsanwaltschaft Krems ihr den Opferstatus zugestanden hat. In einem Medienprozess vertritt Sackmann aktuell auch Zack Media mit Herausgeber Pilz.
Nach dem Tod von Christian Pilnacek tauchte ein Tonmitschnitt auf, auf dem der frühere Justiz-Sektionschef über Interventionsversuche aus der ÖVP spricht. Gegen Ex-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wurde das Verfahren bereits eingestellt, ermittelt wird noch gegen „unbekannte Täter“. Eine Vertraute Pilnaceks aus dem Parlament soll kürzlich von der WKStA als Zeugin dazu befragt worden sein.
Rund um den Verbleib von Pilnaceks Laptop wurden ein Verfahren gegen Peter Pilz und einen Journalisten wegen Hehlerei eingestellt und stattdessen Ermittlungen wegen „dauernder Entziehung“ gegen Karin W. und Anna P., Freundinnen Pilnaceks, bei der er zeitweise wohnte, eingeleitet. Gegen die beiden Frauen wird zudem wegen Falschaussage ermittelt, weil es bei Fragen zu besagtem Laptop Widersprüche gab.
Gegen Zack Media läuft aktuell ein medienrechtliches Verfahren am Wiener Straflandesgericht: Vier Polizeibeamte fordern die Einziehung von Pilz’ Buch. Vor wenigen Tagen wurde erneut vertagt. Im September wird weiterverhandelt, Pilz will dazu auch Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz als Zeuge laden lassen, da dieser am Todestag von einem Suizid Pilnaceks sprach.
Im Mai wurde Zack Media nach einer Klage von Polizist Hannes F. wegen übler Nachrede zu einer Entschädigungszahlung von 8.000 Euro verurteilt und hat dagegen Berufung angemeldet.
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