Peter Rabl: "Das Grundübel sind die Wahltage"

Es ist ein unbequemes Buch, das der langjährige KURIER-Chefredakteur und Herausgeber Peter Rabl geschrieben hat.
In seinem ersten Buch skizziert der Top-Journalist, in welcher sozialen Schieflage wir uns bald befinden könnten.

200.000 Asylberechtigte bis Ende 2016 sind möglich. 470.000 Arbeitslose im Jahr 2017 wahrscheinlich. Dass ein Nettozahler in Österreich drei Nettoempfänger finanziert, ist Fakt. Wer sich auf das 176 Seiten starke Buch "Der Unwohlfahrtsstaat" einlässt, dem werden viele Zahlen zugemutet. Das weiß und will der Autor. "Ich habe mich darübergetraut, weil ich glaube, dass sie notwendig sind, um zu verstehen." Notwendig ist buchstäblich zu verstehen. Es gelte die Not zu wenden.

Was der Leser nicht weiß, etwaig den Impetus seines ersten Buches (mit-)erklärt, wird im Gespräch offenbar: "Ich erinnere mich an die 90er und bekenne mich mitschuldig als Journalist, dass wir damals überhaupt nicht unterschieden haben: ,Wo hat Haider mit seinen Ansätzen und in der Sache recht? Wo gibt es tatsächlich ein bestehendes Problem, und wo ist es übertrieben und Hetze?‘ Wir, und damit meine ich Parteien wie Medien, haben bei Haider alles unter Hetze verbucht und damit eine notwendige und offene Diskussion verhindert. Jetzt sind wir mittendrin, die gleichen Fehler zu begehen", bezieht Peter Rabl Stellung und sich auf die Wahlerfolge der Strache-FPÖ.

Peter Rabl: "Das Grundübel sind die Wahltage"
Peter Rabl, ehemaliger Herausgeber und Chefredakteur der Tageszeitung KURIER, im Interview über sein erstes Buch "Der Unwohlfahrtsstaat". Wien, 28.09.2015

Hetze & Haider

Vergangene Fehler, die allgegenwärtig spürbar sind, und zum Untertitel seines Buches gereichen: "Hat unser System noch Zukunft?" Hat es nicht aus des Autors Sicht. Es sei denn, "wir machen wirklich politisch wie gesellschaftlich einen totalen Bauchaufschwung", ist sich der über vier Jahrzehnte lange Beobachter der zweiten Republik sicher.

Es ist ein unbequemes, Gedanken anregendes und teils verstörendes Buch, das der langjährige KURIER-Chefredakteur und Herausgeber geschrieben hat.

Teils verstörend, weil die heimischen Zahlen dem internationalen Vergleich betreffend Bildung, Pensions- und Gesundheitssystem nicht standhalten – Österreich seit Jahren ein vernichtendes Zeugnis ausstellen. Weil die von ihm bemühten Zahlen von zitierten Experten wie den Ökonomen Stephan Schulmeister, Margit Schratzenstaller und Christian Köck sowie AMS-Chef Johannes Kopf seitenweise untermauert werden.

Anschaulich bricht Rabl auf Österreich herunter, worüber FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher im "Methusalem-Komplott" vor einem Jahrzehnt in Deutschland schrieb: Über die Überalterung der Gesellschaft. Über die Unmöglichkeit, das derzeitige Pensionssystem auch ob der geringen Geburtenrate längerfristig aufrechtzuerhalten. Und: Über das vermeintliche Unvermögen, das überstrapazierte Wort "Integration" realpolitische Wirklichkeit werden zu lassen.

Bedingung & Bildung

Ginge es nach ihm, geht es nur mit Bildung. "Noch bevor ein Asylantrag positiv beschieden wird, muss man die Menschen in entsprechende Erwachsenenbildungseinrichtungen holen, Sprache und durchaus, was man früher Staatsbürgerkunde genannt hat, und heute vielleicht Demokratieunterricht nennt, vermitteln. Damit sie wissen, von welcher Gesellschaft sie Teil werden wollen."

Rabl führt das Gesetz an und aus, dass "psychologische Hilfe für zum Teil schwerst traumatisierte Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten unbedingt nötig ist. Wir haben Hunderte arbeitslose Psychologinnen, aber Staat, Regierung und Gesellschaft sind nicht imstande, ein Netzwerk der Betreuung für die Traumatisierten zu schaffen."

Dass kaum ein Politiker die Probleme anspricht, über die der Journalist schreibt, irritiert beim Lesen bisweilen. Lässt beim Zuhören aufhorchen. "Wenn sich Österreich gesellschaftlich denn so wahnsinnig verändert hat, hätten die Grünen, die sich als einzige Partei zur Willkommenskultur der Flüchtlinge bekannt haben, doch in Oberösterreich 15 Prozent und mehr bekommen müssen, oder?" Haben sie aber nicht. (Grüne erreichten 10,32 %)

Peter Rabl: "Das Grundübel sind die Wahltage"
Peter Rabl, ehemaliger Herausgeber und Chefredakteur der Tageszeitung KURIER, im Interview über sein erstes Buch "Der Unwohlfahrtsstaat". Wien, 28.09.2015

Gefühle & Grüne

Nicht nur deshalb hält er das "Wohlgefühl, das einigen Tausend Engagierten zu verdanken ist, als Fehlein- und Überschätzung" und dagegen: "An der Grundströmung der Sorge, der Angst und der Unsicherheit hat sich nichts geändert. Die hat sich eher verschlimmert". Besonders schlimm sei es um das Bildungssystem bestellt.

"Wir werden am 17. November (erwarteter Termin der Bildungsreform–Ergebnisse) einen Kompromiss von der Koalition vorgesetzt bekommen, der nicht annähernd dem entsprechen wird, was notwendig wäre", befürchtet der Befürworter des Pflichtkindergartens ab 4 Jahren und der verschränkten Ganztagsschule.

Dennoch: "Das Grundübel der Demokratie sind die Wahltage. Je weniger Qualität die Politik hat, je mehr sich Parteien wie Politiker auf den Machterhalt konzentrieren, desto weniger sind sie fähig, auch nur über eine Wahl hinauszudenken, vorausschauend zu handeln", sagt Rabl, der dem Land eine Austro-Sklerose diagnostiziert. Was den Gesundheitsbereich betrifft, davon ist der 67-Jährige überzeugt, "sind wir schon mittendrin in 3- und 4-Klassenmedizin".

Die digitale Revolution erfasst die Medizin und frisst Jobs auf, schreibt er. Und darüber, dass es Lohndumping und einen Mittelweg zwischen der Mindestsicherung und dem deutschen Hartz IV-Arbeitslosengeld in Österreich geben wird – müssen.

Auf die Frage hin, welcher Politiker hierzulande das Potenzial hat, in den genannten Bereichen über den Wahltag hinauszudenken, verstummt Rabl.

Probleme & Persson

"Ich sehe den österreichischen Persson immer noch nicht." Das Pendant zum ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Göran Persson, der Schweden kraft eines harten Sparkurses aus der Schuldenkrise in den Wohlstand geführt hat, gibt es für ihn nicht. Die Bundeskanzler Figl, Klaus und Kreisky fallen Rabl ein. Doch das sei Vergangenheit. "Wir sind mittendrin" und am Ende des Gesprächs.

"Ich würde mir wünschen, nicht nur für meine Enkelkinder, denen ich dieses Buch gewidmet habe, dass die Politiker sich erfrauen und ermannen, sich jenseits aller Gewohnheiten, aller ideologischen Mauern, mit denen wir uns die letzten 40 Jahren blockiert haben, zusammenzusetzen und sagen: ,Wir haben ein Riesenproblem. Was müssen wir tun, damit wir eine gute Zukunft haben?‘" Wann beginnt die Zukunft? "Jetzt!"

„Der Unwohlfahrtsstaat. Hat unser System noch Zukunft?“ Brandstätter Verlag. 22,50 Euro. Ab 5.10. im Buchhandel

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