ÖVP will bei Jobsuche mehr zumuten – für Grüne ein No-Go
Es ging schnell.
Am Sonntag zu Mittag forderte der scheidende Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, in der ORF-Pressestunde eine Ausweitung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose. Vereinfacht gesagt heißt das, dass, wer nicht bereit ist, für einen Job etwa von Wien nach Tirol zu ziehen, ein geringeres Arbeitslosengeld bekommen soll.
Nicht einmal vierundzwanzig Stunden später erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Rahmen einer Pressekonferenz, „das Arbeitslosengeld ist nicht für Menschen da, die nicht arbeiten wollen“. Es sei sinnvoll, Menschen aus Ostösterreich beispielsweise in Westösterreich (wo es in vielen Branchen einen Arbeitskräftemangel gibt, Anm.) zu beschäftigen. Gerade wenn sie noch nicht lange in Österreich und daher nicht tief an einem Ort verwurzelt sind – wie zum Beispiel Asylberechtigte.
Wiederum weniger als einen Tag später wurde ÖVP-Klubobmann August Wöginger in ein einem Ö1-Interview gefragt, ob das heiße, man wolle arbeitslose Asylberechtigte zum Umziehen verpflichten. Er antworte, er könne sich vorstellen bei den 30.000 arbeitslosen Asylberechtigten, anzusetzen und Anreize schaffen, damit sie beispielsweise bereit seien, für einen Job von Salzburg nach Tirol zu gehen.
Forderung nicht neu
Der Ansatz ist nicht neu – auch Integrationsministerin Susanne Raab hatte Ähnliches in einem Interview mit der Tageszeitung Österreich bereits vorgeschlagen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck wiederum betonte schon während der schwarz-blauen Regierungszeit, es brauche Maßnahmen, um Arbeitslose besser auf die Regionen aufzuteilen. Sie nannte die hohe Arbeitslosigkeit in Wien "inakzeptabel".
Das wiederum empört Bürgermeister Michael Ludwig. Das "Wien-Bashing" werde nahtlos fortgesetzt beim Thema Arbeitsmarkt, beklagte der Stadtchef am Dienstag am Rande eines Medientermins.
Wofür die ÖVP recht geschlossen Sympathie zeigt, davon hält der Koalitionspartner „gar nichts“.
Im Gespräch mit dem KURIER erklärt der grüne Sozialsprecher Markus Koza, die allgemeinen Bestimmungen hinsichtlich Zumutbarkeit seien bereits streng genug. „Ich wüsste nicht, warum die noch strenger sein sollen. Unser Ansatz war auch immer, eher zu unterstützen und zu motivieren, statt zu strafen.“
"Rechtlich gar nicht möglich"
In den Koalitionsverhandlungen eine Ausweitung der Zumutbarkeit kein Thema gewesen. Lediglich die zeitliche Mindestverfügbarkeit sei bei entsprechenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten von 16 auf 20 Stunden ausgedehnt worden.
Ähnlich ablehnend wie bei einer Ausweitung der allgemeinen Zumutbarkeit zeigt sich Koza hinsichtlich der Idee, sie für Asylberechtigte einzuführen. Allerdings dürfte die Diskussion darüber ohnehin obsolet sein, denn die Zumutbarkeitsbestimmungen nur für eine bestimmte Personengruppe zu verstärkern, verstößt laut Experten-Einschätzungen gegen das Diskriminierungsverbot.
Generell sei der Plan nicht sinnvoll, um „die wirklichen Probleme“ zu lösen, etwa der Langzeitarbeitslosigkeit den Kampf anzusagen, sagt Koza.
Auch dem Österreichischen Gewerkschaftsbund missfällt der türkise Vorstoß. „Erhöhter Druck führt in erster Linie dazu, dass Arbeitsuchende schlechtere Stellen annehmen. Damit kommt es zu Lohndruck und in weiterer Folge zu einem noch größeren Niedriglohnsektor und damit zu höherer Erwerbsarmut,“ erklärt Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB in einer Aussendung. Zusätzlich rücke dadurch die Qualifizierung von ArbeitnehmerInnen in den Hintergrund.
"Unterdrucksetzung und Sanktionierung"
Was es mit den von Wöginger angesprochenen „Anreizen für Arbeitslose“ auf sich hat, kenne man schon aus der Vergangenheit. Es handle sich dabei laut Reischl um ein Instrument der Disziplinierung, Unterdrucksetzung und Sanktionierung von Arbeitsuchenden.
Bereits jetzt gibt es beim Arbeitsmarktservice (AMS) Projekte zur überregionalen Vermittlung von Arbeitssuchenden. Über Statistiken, wie oft solche Versuche aufgrund der Distanz zum aktuellen Wohnort gescheitert sind, verfügt das AMS allerdings nicht. Die überregionale Vermittlung sei laut ÖGB zwar nicht grundsätzlich abzulehnen, es gehe aber immer um die Rahmenbedingungen.
Das AMS verhängte im Vorjahr insgesamt 145.671 Mal Sanktionen, um 12.251 oder 9 Prozent öfter als 2018. Während die Sperren wegen Versäumens des Kontrolltermins zurückgingen, stieg die Zahl der Sanktionen wegen Verweigerung oder Vereitelung einer Arbeitsaufnahme oder Schulungsmaßnahme um rund ein Drittel.
Rund 42 Prozent der Sperren betrafen laut AMS die eigentlichen "Missbrauchsfälle". Konkret gab es 59.999 (plus 15.266/plus 34 Prozent) Sperren nach § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz (ALVG) wegen Verweigerung oder Vereitelung einer Arbeitsaufnahme oder Schulungsmaßnahme. Dabei wird das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe für sechs Wochen, im Wiederholungsfall für acht Wochen gesperrt.
Bei gänzlicher Arbeitsunwilligkeit (nach § 9 ALVG) kann das Arbeitslosengeld ganz gestrichen werden. Das kam 2019 in 797 Fällen vor (plus 276 oder 52,98 Prozent).
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