Der Staatsvertrag: Österreichs diplomatisches Meisterwerk

Mit dem Ende der Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs in Österreich begann der zehnjährige Kampf um die Freiheit. Große Teile der österreichischen Bevölkerung starben im Krieg als Soldaten, wurden vom NS-Regime ermordet oder kamen im Kampf gegen die vorrückenden alliierten Armeen im Osten, Westen und Süden des Landes ums Leben. Brücken, Bahnhöfe, Straßen und Hunderttausende Gebäude lagen in Schutt und Asche.
Alles, was wir heute als selbstverständlich ansehen – in einem prosperierenden, freien und demokratischen Land leben zu können – hatte seinen Ursprung in jenen Tagen vor 80 Jahren.
Das Erstaunliche war, dass Österreich das einzige europäische Land der Nachkriegszeit war, in dem die Rote Armee der Sowjetunion stationiert war – und es schaffte, deren Abzug zu verhandeln, ohne zum Vasallenstaat des Ostblocks und damit bis zum Zerfall der UdSSR 1991 Teil des sowjetischen Imperiums zu werden.
Ostdeutschland
Deutschland gelang das nicht: Die im Osten Deutschlands stationierte Rote Armee blieb, das Land wurde in Ost- und West geteilt – eine Spaltung, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Anders als das Baltikum, Polen, die Tschechoslowakei oder Ungarn hatte Österreich keinen besonderen strategischen Wert für Moskau, zumal es kein direkter Nachbar der Sowjetunion war. All diese Staaten mussten sich am 14. Mai 1955 – also einen Tag vor der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags – dem Militärbündnis Warschauer Pakt anschließen, der als Reaktion auf die zunehmenden Spannungen der Alliierten und als ein Höhepunkt des Kalten Krieges entstand.
Der außergewöhnliche Erfolg Österreichs war vor allem das Ergebnis geschickter Diplomatie zwischen 1945 und 1955 – mit (zuletzt) Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP), Vizekanzler Adolf Schärf (SPÖ), Außenminister Leopold Figl (ÖVP) und Staatssekretär Bruno Kreisky (SPÖ) an der Spitze. Ihnen gelang es, schrittweise das Vertrauen der Sowjetführung zu gewinnen und alle politischen, wirtschaftlichen und militärischen Hürden aus dem Weg zu räumen.

Seinen Ursprung hatte der Staatsvertrag gewissermaßen schon während des Krieges: Auf der Moskauer Konferenz im Oktober 1943 einigten sich die Außenminister der drei führenden alliierten Mächte – Cordell Hull (USA), Anthony Eden (Großbritannien) und Wjatscheslaw Molotow (UdSSR) – in einer Deklaration darauf, „dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll“.
Aus dieser Erklärung konstruierte Österreich später die (unhaltbare) These, selbst Opfer und nicht Täter in der NS-Zeit gewesen zu sein. Doch half die "Moskauer Deklaration" dabei, dass Österreich nach dem Krieg jedenfalls milder behandelt wurde als Deutschland.
Bewegung in die stockenden Verhandlungen kam erst mit dem Tod Josef Stalins im März 1953 und dem Machtantritt seines gemäßigteren Nachfolgers Nikita Chruschtschow, der an einem Ausgleich mit dem Westen interessiert war.
Im April 1955 reiste schließlich eine hochrangige österreichische Regierungsdelegation zu Chruschtschow nach Moskau. Dort wurde am 15. April eine politische Vereinbarung unterzeichnet – heute bekannt als "Moskauer Memorandum" –, die den Weg zum Staatsvertrag ebnete.
Genau hier kommt die Neutralität ins Spiel: Die österreichische Bundesregierung versprach, nach Unterzeichnung des Staatsvertrags von sich aus eine immerwährende Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz zu erklären. Die Neutralität war somit Teil des Deals – ohne sie hätte Moskau einem Abzug der Roten Armee niemals zugestimmt. Der diplomatische Erfolg bestand aber auch darin, dass die Neutralität nicht Bestandteil des Staatsvertrags mit den Siegermächten wurde, sondern das nun souveräne Österreich freiwillig und eigenständig die militärische Bündnisfreiheit beschloss.
"Österreich ist frei!"
So kam es schließlich auch: Am 15. Mai 1955 unterzeichneten Außenminister Figl und je zwei Vertreter der vier Siegermächte im Schloss Belvedere den Staatsvertrag. Er enthielt unter anderem ein Verbot des Anschlusses an Deutschland, Minderheitenrechte für Slowenen und Kroaten, ein Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung sowie die Bestätigung der Habsburgergesetze von 1919. Figl sprach anschließend jenen Satz, der bis heute im kollektiven Gedächtnis verankert ist: „Österreich ist frei!“
Für den Abzug der Besatzungstruppen (und ihrer mittlerweile zahlreichen Angehörigen) wurde im Vertrag ein Zeitraum von 90 Tagen nach Inkrafttreten (27. Juli) vereinbart, also bis spätestens 25. Oktober – was auch geschah.
Am 26. Oktober – einen Tag nach Ablauf dieser Frist – beschloss der Nationalrat nach Schweizer Vorbild die immerwährende Neutralität per Verfassungsgesetz. Übrigens stimmte nur der VdU – der „Verband der Unabhängigen“, ein Sammelbecken früherer Nationalsozialisten und der Vorläufer der heutigen FPÖ – dagegen.
Kommentare