Österreich hat "zögerlich gelernt, Demokratie zu sein"

Österreich hat "zögerlich gelernt, Demokratie zu sein"
Was Korrespondenten vom U-Ausschuss und dem Anti-Korruptionspaket der Regierung halten.

Sind die jüngsten Korruptionsfälle – von der BUWOG bis zu den Verfahren gegen Ex-Minister wie Ernst Strasser – ein Beleg dafür, dass die einschlägigen Gesetze zu lax waren? Oder haben’s die Österreicher und ihre Volksvertreter grundsätzlich nicht so mit Moral und Anstand?

Charles Ritterband, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Wien, beobachtet seit mehr als elf Jahren das Land. Der Schweizer befundet Österreich ein grundsätzliches, in der Geschichte der Zweiten Republik verhaftetes Problem, das sich an den aktuellen Causen zeigt: "Das Land hat zögerlich gelernt eine funktionierende Demokratie zu sein. Die Demokratie und manches was damit an Transparenz verbunden ist, wurde den Österreichern von den Alliierten oktroyiert – und das belastet immer noch die politische Kultur."

Den Einwand, dass jüngere Generationen Politik machen, lässt er eingeschränkt gelten. "Den Anfang der Zweiten Republik markiert ein tabuisierender Umgang mit Schuld und Verbrechen. Emigranten und Flüchtlinge wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht korrekt behandelt, dafür wurden nicht wenige Nazis in Regierungsämter und Parteipositionen gehievt." Ein selbstgefälliges "Naja, wollma nicht so streng sein" habe die politische Kultur geprägt – das sei bis heute spürbar. Der Schweizer macht das vor allem an den informellen Regeln fest, die in der Politik gelten: "Schauen wir uns die Rücktrittskultur an: Hier reichen oft nicht einmal rechtskräftige Verurteilungen, damit jemand sagt: ,Ich kann nicht mehr im Parlament sitzen.’ Das wäre in der Schweiz oder in Deutschland undenkbar."

Machtverlust

Für Ritterband sind Rücktritte als Gradmesser der Kultur mindestens ebenso wichtig wie strafrechtliche Verurteilungen. "Bei einem Rücktritt verzichtet jemand auf über Jahre hinweg erarbeitete Macht. Für Politiker ist das ein großer und schmerzhafter Schritt."

Auch Cathrin Kahlweit, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, ortet bei der heimischen Demissionskultur gröbere Mängel. Im Unterschied zu Ritterband ist sie aber überzeugt, "dass die Rücktrittskultur mit der Schärfe der Straf- und Parteiengesetze zunimmt".

Außerdem dürfe man die Parteien und ihre inneren Mechanismen nicht außer Acht lassen: "Es wird auch in Zukunft zwei Parteischulen geben." Die eine, das seien jene Bewegungen, bei denen sich zunehmend die Ansicht durchsetzt: "Das machen wir nicht, das geht nicht."

Und dann gibt es für Kahlweit noch Parteien, in denen sich ein "dehnbares Verständnis von Recht und Unrecht" halten dürfte. Kahlweit: "Einer wie Uwe Scheuch wird vielleicht nie ein Unrechtsbewusstsein entwickeln, das sich an hohen moralischen Maßstäben orientiert; doch seine Partei hält trotzdem zu ihm."

Das von der Bundesregierung präsentierte Anti-Korruptionspaket beurteilt die Deutsche durchwegs positiv: "Das ist ein guter Anfang und entspricht westeuropäischen Standards."

Faktum sei, dass Österreich damit dem Drängen von OECD und EU nachkomme und bei der Korruptionsbekämpfung zahlreiche Experten-Forderungen umsetze. "Im Großen und Ganzen kann sich das sehen lassen." Die Journalistin mahnt nun zur Geduld: "Politische Haltungen ändern sich nicht über Nacht. Auch in Deutschland hat es nach dem ersten Flick-Skandal rund 25 Jahre gedauert, bis sich eine entsprechende politische Kultur etablierte."

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